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Vom Pogrom in den Widerstand - Walter Felix Suess (1912-1943): Musiker - Arzt - Gestapo-Opfer

Vom Pogrom in den Widerstand - Walter Felix Suess (1912-1943): Musiker - Arzt - Gestapo-Opfer

Andrea Hurton

 

Verlag Studienverlag, 2020

ISBN 9783706560498 , 128 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz frei

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15,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Vom Pogrom in den Widerstand - Walter Felix Suess (1912-1943): Musiker - Arzt - Gestapo-Opfer


 

Walter Felix Suess: Ein ungewöhnlicher Weg in den Widerstand


Medizin und Musik – Ein Lebensentwurf zwischen Pflicht und Neigung


Walter Felix Suess wurde am 18. April 1912 als Sohn des Arztes Dr. Julius Suess und dessen Frau Anna geboren. Er war das zweite Kind seiner Eltern; die 1907 geborene Schwester Johanna („Hansi“) starb im Alter von vier Jahren.3 Sein Vater stammte aus einer jüdischen Familie, die Mutter war Nicht-Jüdin.

Walter Felix Suess als Kind, mit der Eisenbahn spielend.

Dr. med. Julius Suess betrieb in der Molkereistraße 7 (Wien II.) ein florierendes zahnärztliches und zahntechnisches Atelier.4 Anna Suess arbeitete in der Praxis ihres Mannes als Zahntechnikerin – damals ein eher ungewöhnlicher Beruf für eine Frau.

Walter im Alter von etwa zehn Jahren mit seinen Eltern Anna und Julius Suess im Garten vor dem Wohnhaus (Molkereistraße 7/Ecke Ausstellungsstraße 25) mit Blick auf das etwa 300 Meter entfernte Riesenrad.

Promotionsanzeige von Walter Suess, Dezember 1936.

Walter Felix Suess besuchte nach der Volksschule acht Klassen Realgymnasium.

Von 1931 bis 1932 studierte er an der Wiener Staatsakademie für Musik und ausübende Kunst. Gleichzeitig nahm er an der Universität Wien ein Medizinstudium auf und erlangte im Dezember 1936 seinen Doktoratsabschluss.

Nur ungefähr drei Wochen nach der Promotion starb der Vater, Julius Suess, am 15. Jänner 1937 im Alter von 66 Jahren.

Parallel zu seinem Studienabschluss als Mediziner legte Walter Suess an der Staatsakademie für Musik die Staatsprüfung zum Kapellmeister ab. Politisch ein „unbeschriebenes Blatt“, gehörte er zwischen 1934 und 1938 der „Vaterländischen Front“ an. Über seine politische Einstellung äußerte er sich in einer späteren Vernehmung: In seiner Jugendzeit sah er sich demnach „politisch links eingestellt d. h. sozialistischer Gesinnung“,5 doch schloss er sich keiner Partei an und war auch sonst nicht organisiert.

„Als dann der Nationalsozialismus die Macht übernahm, habe ich mich von der Politik bewusst immer mehr und mehr zurückgezogen und möchte sagen, dass ich auch innerlich unpolitisch war. Als Sozialist wäre ich der NSDAP beigetreten. Da ich jedoch Mischling I. Grades bin, wusste ich, dass ich von dieser Partei vielleicht sogar nur Schwierigkeiten zu erwarten hätte, da es mir vollkommen klar war, dass ich die NSDAP nicht unterstützen konnte. Gegenteilige Handlungen zu unternehmen und zu unterstützen, widerstrebte mir aber und auch meiner damaligen Einstellung. Ich habe auch für die Vaterländische Front (VF) wie überhaupt für das Schuschnigg-Regime keine Tätigkeit entfaltet, weil ich mir klar war, dass sich auch ein sozialistisches Österreich, besonders aber ein nicht reaktionäres Österreich, zwischen dem NS-Deutschland und dem faschistischen Italien halten könne.“6

Vor dem „Anschluss“ dirigierte Walter Suess Konzerte in Wien und Salzburg. Von diesen Aktivitäten zeugen Einladungskarten und Fotografien, die ihm bei seiner Verhaftung im April 1941 abgenommen wurden und die als rare biographische Quellen im umfangreichen Akt des Volksgerichtshofs erhalten geblieben sind.

Walter Suess beim Dirigieren, 1937.

Zeitungsausschnitt zur Ankündigung des Symphoniekonzerts im Ehrbar-Saal, Wien IV, mit Walter Suess als Dirigent, Februar 1937.

Ankündigung für ein Symphoniekonzert mit Walter Suess als Dirigent, 1937.

Einladung zu einem Auftritt von Walter Suess, Mai 1937.

Neben seiner praktischen Tätigkeit als Dirigent betätigte sich Walter Suess auch volksbildnerisch als Musiktheoretiker und versuchte, eine Brücke zwischen seinen beiden Berufen als Arzt und Kapellmeister zu schlagen.

In der Wiener Urania referierte er über die „Physiologie des Dirigierens“: Die anatomischen Grundlagen der auch physisch herausfordernden Tätigkeit des Dirigierens sollten in allgemein verständlicher Form erläutert werden.

Davon zeugt diese Einladungskarte:

In der Urania referierte Walter Suess über die „Physiologie des Dirigierens“.

Nach Abschluss des Medizinstudiums arbeitete Walter Suess an der Wiener Universitätsklinik. Dort lernte er Gertrude Jennewein, eine angehende Sängerin und Schauspielerin, kennen. Charlotte Kohn, Gertrude Jenneweins Tochter aus 2. Ehe, teilte der Verf. mit, Walter Suess sei wohl die „große Liebe“ ihrer Mutter gewesen.7 Sie habe ihn als sehr intelligenten und beeindruckenden Menschen beschrieben.

Am 20. März 1938 heirateten sie am Standesamt Donaustadt (damals Wien II.).

Gertrude Suess am Tag ihrer Hochzeit mit Walter Suess, 20. März 1938.

Walter und Gertrude Suess teilten ihre Affinität zu Budapest. Sie hielten sich gerne in der ungarischen Hauptstadt auf, und Walter Suess hatte zeitweilig dort auch eine Stellung als Kapellmeister in einer Musikgruppe.8 Das in den 1930er Jahren in Budapest sehr populäre Café Ostende schien es ihm besonders angetan zu haben, dort spielte auch eine Gypsy-Formation. Eine Postkarte dieser Gruppe findet sich jedenfalls im Archiv der Familie. Welche Rolle Walter Suess in dieser Kapelle spielte, ist nicht gesichert bzw. aus heutiger Sicht nicht mehr eruierbar. Gertrude Suess fühlte sich, so ihre Tochter aus 2. Ehe (Charlotte Kohn), in Budapest wohler als in Wien.

Café Ostende, Budapest.

Novemberpogrom in Bad Gastein: Der Anfang vom Ende


1937 und 1938 hielt sich Walter Suess mehrfach auch in Bad Gastein auf. Im August 1937 dirigierte er ein Symphoniekonzert des Bad Gasteiner Kurorchesters zugunsten des Forschungsinstituts Gastein. Auf dem Programm standen die „Akademische Festouverture“ von Brahms, Schuberts Symphonie Nr. 5 in B-Dur, das Klavierkonzert Nr. 1 von Mendelssohn sowie Smetanas „Moldau“.

Im August 1937 dirigierte Walter Suess das Bad Gasteiner Kurchorchester. Am Klavier begleitete ihn Olga Novakovic, die auch seine Frau unterrichtete.

Im Juni 1938 übernahm Walter Suess mit Bewilligung der Salzburger Ärztekammer das zahnärztliche Atelier des jüdischen Arztes Dr. Hans Fuchs im Schöpfhaus am Kirchenplatz in Bad Gastein.9 Dr. Fuchs verließ den Salzburger Kurort aufgrund der sich rapide verstärkenden antijüdischen Stimmung nach dem „Anschluss“. Sein Nachfolger nahm zur Übernahme der Ordination einen Kredit auf und richtete die Ordination neu ein. Über die Schwierigkeiten beim Aufbau seiner neuen Existenz in der Salzburger Provinz gab Walter Suess später zu Protokoll:

„Da ich Mischling bin, habe ich mir bei den politischen und fachlichen Stellen Aufklärung geholt, ob ich die Praxis dort eröffnen könne. Überall wurde mir dies für vollkommen ordnungsmässig und rechtlich einwandfrei erklärt. (…) Als ich in Bad Gastein meine Praxis eröffnete, hatte ich zunächst wenig Patienten, da die Ortsgruppe (Anm. der NSDAP) sich mir gegenüber feindselig verhielt. Trotzdem kamen aber nach und nach mehr Patienten, sodass ich Hoffnung haben konnte, mein Auskommen leicht zu verdienen.“10

Offizielle Maßnahmen der Tourismusbehörden in Bad Gastein gaben der antisemitischen Stimmung zusätzlich Nahrung. Der mondäne Kurort mit internationalem Publikum sollte nach dem „Anschluss“ zu einer „judenfreien“ Zone mutieren, ungeachtet der Bedeutung der jüdischen Gäste für die Tourismuswirtschaft. Ein Rundschreiben der Kurkommission Bad Gastein vom 15. Juni 1938 setzte die Hotel- und Gastronomiebetriebe des Kurorts davon in Kenntnis, dass Bad Gastein „nichtarischen“ Gästen nicht mehr offen stehe.11 Betriebe wie „Der Kaiserhof“ verzeichneten starke Buchungsrückgänge, da Bestellungen „nichtarischer“ Gäste zurückgewiesen werden mussten, „was natürlich speziell einen Entgang an sehr zahlungskräftigem Publikum (ich erwähne nur die Bestellung von Frau Friedlaender-Fuld und drei amerikanischen Freundinnen) zur Folge hat“12.

Den Beruf des Zahnarztes hatte Walter Suess vor allem auf Drängen seines Vaters ergriffen.13 Weitaus mehr zog es ihn jedoch zur Kunst und Musik. Der Familie erschien diese Existenzform zu unsicher, weshalb er sich – wohl oder übel – für die vermeintlich „sichere“ Arztlaufbahn entschied.

Die gravierendsten Ausschreitungen während der Novemberpogrome in Österreich fanden in Wien und Innsbruck statt. Weniger bekannt sind die Exzesse in den anderen Bundesländern, auch in Fremdenverkehrsorten wie etwa Bad Gastein. In der NS-Presse war über die Ereignisse im Land Salzburg zu lesen:

„Auch aus dem ganzen Gaugebiet wird heute berichtet, dass die Erregung unter der Bevölkerung überall zu Aktionen gegen Judengeschäfte führte. Ausführliche Meldungen liegen zur Stunde aus Hallein und Bad Gastein vor. In Bad Gastein wurden von den Aktionen unter anderen betroffen das Hotel ,Bristol‘, das der polnischen Jüdin Kokisch gehört, das Kurhaus ,Cäcilia‘, das sich in Besitz des aus Berlin stammenden Juden Burger befindet, das Kurhaus Dr. Wassing und die Villa des Professor Hatschek; auch das Zahnatelier des Juden SÜSS, die Geschäfte Steininger, König, Posele, Horowitz und Rosenberg blieben nicht unverschont.“14

Jahre später erinnerte sich Walter Suess in der Gestapohaft an diese Ereignisse:

„Wie nun der Umbruch im Jahre 1938 kam, bot sich mir zufällig die Gelegenheit, in Gastein eine Praxis als Zahnarzt zu eröffnen. (…) Über verschiedene Erklärungen höherer Stelle, dass ich die Ortsgruppe Gastein nicht befragen brauche, weil diese da nichts zu bestimmen habe, habe ich die Ortsgruppe auch nicht befragt. In der...