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Psychodynamische Paar- und Familientherapie

Psychodynamische Paar- und Familientherapie

Günter Reich, Antje von Boetticher, Nina Heinrichs, Rita Rosner, Günter H. Seidler, Carsten Spitzer, Rolf-Dieter Stieglitz, Bernhard Strauß

 

Verlag Kohlhammer Verlag, 2020

ISBN 9783170323070 , 163 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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22,99 EUR

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Psychodynamische Paar- und Familientherapie


 

5          Kernelemente der Therapie


 

 

 

5.1       Einstellungen, Haltungen und Techniken


5.1.1     Das »Aktivitätsniveau«


Familien und Paare kommen oft in Therapie, wenn sie in eingefahrenen Interaktionsschleifen und wechselseitigen Projektionen »gefangen« sind. Wie strukturell gestörte Einzelpatienten haben sie oft große Schwierigkeiten, sich von ihren festgefahrenen Wahrnehmungsmustern zu lösen, die Perspektive ihres Gegenübers einzunehmen. Paarbeziehungen sind zudem die Beziehungen im Leben von Erwachsenen, die der Eltern-Kind-Beziehung am ähnlichsten sind ( Kap. 4.1.2, Kap. 4.1.3, Kap. 4.1.4 und Kap. 4.1.5); entsprechend hoch sind die Erwartungen, die Enttäuschungen und Kränkungen und das Aggressionspotenzial. Auch im sonstigen Leben »gut funktionierende« Paare und Familienmitglieder sind innerhalb ihres Beziehungssystems oft deutlich regrediert. Von daher ist in Paar- und Familientherapien insgesamt ein höheres Aktivitätsniveau der Therapeuten gefragt als in Einzelbehandlungen bei Patientinnen und Patienten mit mittlerem oder höherem Strukturniveau. Die Interventionen ähneln oft denen bei psychoanalytisch-interaktioneller Psychotherapie (Streeck 2018).

5.1.2     Vielgerichtete Parteilichkeit


Die Grundeinstellung in der psychodynamischen Familientherapie ist die der vielgerichteten Parteilichkeit. Dies bedeutet, dass im Verlauf von mehreren Therapiegesprächen die Perspektiven aller Familienmitglieder bzw. beider Partner berücksichtigt werden. Alle sollen das Gefühl haben, dass die Therapeutin bzw. der Therapeut die Entwicklungen auch durch »ihre Brille«, ihre Perspektive sieht. Vorübergehend stellen sich hier immer »Einseitigkeiten« ein. Diese müssen mit der Zeit ausgeglichen werden. Dabei darf allerdings die Toleranzgrenze der Partner bzw. Familienmitglieder nicht überschritten werden. Eine künstliche »Neutralität« oder »Unparteilichkeit« lähmt oft die therapeutische Handlungsfähigkeit. Auch der Begriff der »Allparteilichkeit« ist missverständlich. Er suggeriert, dass die Therapeuten immer gleichen Abstand zu allen Familienmitgliedern halten. Dies ist aufgrund der intensiven Übertragungs-Gegenübertragungsverstrickung illusorisch und kann zu einer »blutleeren« Therapieatmosphäre führen, die emotional wenig bewegt.

5.1.3     Die »Ressourcen« beachten


Wenn sich Familien oder Paare gemeinsam der unsicheren und verunsichernden Situation eines Familien- oder Paargesprächs stellen, ist dies bereits eine »Ressource«. Sie zeigen damit eine Stärke, die viele andere nicht haben, auch viele Psychotherapeuten nicht (Reich 2005). Über die positive Konnotation dieses Sachverhalts hinaus sollten in Familiengesprächen immer auch die Stärken und Gemeinsamkeiten der Familie oder des Paares betont und die positiven Beziehungsaspekte herausgearbeitet werden. Dies wirkt der irrigen Vorstellung entgegen, dass es in Familien- und Paartherapien ausschließlich um Konflikte geht. Es geht um Entwicklung insgesamt. So kann es zum Beispiel heißen: »Bevor wir weiter auf Ihre Konflikte eingehen, was mögen Sie aneinander?«, »Schreiben Sie in der nächsten Woche jeden Abend auf, was Sie an Ihrer Frau/Ihrem Mann gut fanden.«, »Was soll in Ihrer Familie nicht verändert werden?«. Dabei sollte allerdings kein künstliches oder unauthentisches Betonen von »Stärken« oder »Ressourcen« stattfinden. Dies wird in der Regel bemerkt und ist keine wirkliche Hilfe. Manchmal gibt es bei Familien oder Paaren allerdings tatsächlich wenig Positives. Künstliches Harmonisieren hilft hier nicht, zumal Paar- oder Familiengespräche auch als »Alibi« aufgesucht werden können, um Beziehungen endgültig scheitern lassen zu »dürfen« oder die Ausstoßung von Familienmitgliedern zu rechtfertigen (»Wir haben alles probiert, waren ja auch bei der Familientherapie bzw. Paartherapie. Die konnten uns auch nicht weiterhelfen.«).

5.1.4     Das Loyalitätssystem beachten


Familien- und Paarloyalität sind im Zweifelsfall stärker als die Therapie. Von daher ist es zentral, die Loyalitätsdynamik zu erfassen und zu überlegen, wie diese Dynamik therapeutisch genutzt werden kann. Zu sehr gegen die Loyalität zu arbeiten, kann zum Scheitern von Therapien und zu Abbrüchen führen. Fördern die Interventionen der Therapeuten die bezogene Individuation in ihrer »dialektischen Spannung«, betonen sie also beide Pole? Vertiefen sie die Bezogenheit, indem sie gleichzeitig die Eigenständigkeit fördern? Dies ist die zentrale Frage, an der Therapien auch immer wieder scheitern können.

5.1.5     Die Wirkung von Interventionen »im System« beachten


Familien- und Paartherapien unterscheiden sich von Einzeltherapien dadurch, dass jede Intervention, jede Frage, jede Bemerkung an eine Person von der bzw. den anderen gehört und interpretiert wird. Daher sollten folgende Aspekte beachtet werden:

•  Fördern die Interventionen die Möglichkeit, sich wechselseitig verständlicher zu machen?

•  Fördern sie das wechselseitige Verstehen?

•  Fördern sie das Einnehmen unterschiedlicher Perspektiven?

•  Fördern sie differenzierte Wahrnehmungen?

Werden Empathie, Konfrontationen oder Deutungen destruktiv verwendet, z. B. durch

•  Rechthabereien,

•  Verstehen als einseitige Parteinahme,

•  Entwertungen,

•  Bloßstellungen,

•  …?

Manchmal können zum Beispiel Explorationen über die Entwicklung der Ursprungsfamilie eines Elternteils oder Partners vom anderen als »Munition« in einer rechthaberischen Auseinandersetzung oder zu Schuldzuweisungen verwendet werden (»Habe ich doch schon immer gewusst, dass Du aus einer konfliktvermeidenden Familie kommst. Daher haben wir die Probleme.«).

Bei allen »Interventionen« in Paar- und Familiengesprächen ist die Grundhaltung entscheidend. Wir haben es hier mit einem Lebenskontext zu tun, anders als in Gruppentherapien, in dem sich Einzelpatienten zu einer Gruppe zusammenfinden. Die Paare und Familienmitglieder müssen weiterhin ihren Alltag zusammen gestalten und sind zum Teil auch abhängig voneinander. Sie haben zudem eine Beziehungsgeschichte und, wie auch immer, eine Zukunft. Dies bestimmt die grundlegende Bedeutung der genannten Beziehungsaspekte für die Behandlung.

5.1.6     Techniken


Auf dieser Basis werden zunächst die »bewährten« analytischen beziehungsweise psychodynamischen Techniken verwendet (vgl. hierzu und zum Weiteren auch Reich et al. 2007).

5.1.6.1       Klärung (Klarifizierung)


Bei der Klärung (Klarifizierung) handelt es sich um die Exploration von Erlebens- und Verhaltensweisen von Familienmitgliedern und Partnern im Umgang miteinander in der therapeutischen Situation sowie im Alltag und in der Vergangenheit. Es geht im Schwerpunkt um das »Wie«. Durch Klärung sollen bedeutsame Interaktions- und Lebenssequenzen in ihrer äußeren Abfolge sowie, wenn möglich, auch in der inneren Bedeutung für die Beteiligten herausgearbeitet werden.

Gegen Klärungen werden oft bereits starke Abwehrmuster eingesetzt wie Vermeiden, Ausweichen, Bagatellisieren, Verleugnen oder Verschieben. Wenn Klärung gelingt, wirkt sie oft bereits konfliktentlastend und lösungsfördernd. Klärung ist die Grundlage für alle weiteren Interventionen. Sie bereitet ein tieferes Verständnis familien- und paardynamischer Prozesse vor.

5.1.6.2       Konfrontation


Die Konfrontation macht Familienmitglieder und Partner auf abgewehrte, verleugnete, verdrängte, bagatellisierte oder vermiedene Verhaltens- und Erlebnisweisen sowie deren Wirkung auf andere aufmerksam. Dies kann sich auf die therapeutische Situation wie auf Alltagssituationen und die Biographie beziehen. Sie dient wie die Klärung auch der Verdeutlichung familiärer Interaktionsmuster. Dabei ist das familien- oder paartherapeutische Setting selbst oft schon eine Konfrontation mit bisher verleugneten interpersonellen Konflikten. Konfrontation ist neben der...