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Auf der Suche nach der SEELE DES WHISKYS - Schottische Reise-Impressionen

Auf der Suche nach der SEELE DES WHISKYS - Schottische Reise-Impressionen

Carlo Reltas

 

Verlag epubli, 2020

ISBN 9783752945430 , 218 Seiten

8. Auflage

Format ePUB

Kopierschutz frei

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9,99 EUR

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Auf der Suche nach der SEELE DES WHISKYS - Schottische Reise-Impressionen


 

Über Berg und Tal – über Bens und Glens    



    Seine romantischen Vorstellungen von Schottland muss Karl zwar nicht revidieren, aber er muss mehr Schweißperlen dafür vergießen als erwartet. Am kleinen Flughafen von Inverness, der Hauptstadt der Highlands, wo er an einem Augustabend nach einem Zwischenstopp in London eingetroffen war, begegnete er als erster einer „Klimaflüchtlingin“, einer in Valencia lebenden Deutschen. Der Hitzwelle an der Ostküste Spaniens wolle sie für eine Woche entfliehen, erklärte sie ihm, als sie gemeinsam auf den Flughafenbus in die City warteten. Sie ahnte noch nicht, dass ausgerechnet in diesem August auf den britischen Inseln Temperaturrekorde erreicht würden.

Karl freut sich an diesem  Morgen nach der Ankunft über den Sonnenschein, auf den er eigentlich nicht zu hoffen gewagt hatte. Im „Local Hero“ war der Ölkonzernagent „Mac“ Mac Intyre aus dem fernen Texas unter grauen Wolken über die Hügel der schottischen Hochküste gefahren, akustisch untermalt von der genialen Musik des Dire-Stait-Kopfs Mark Knopfler. Dieses Bild-Ton-Gesamtkunstwerk hatte Karls schottische Ambitionen befeuert. Ihm ist aber klar, dass er grauen Himmel noch oft genug zu sehen bekommen würde. Umso zufriedener ist er, als er nun durch die blendende Morgensonne – nur mit einem prallen Rucksack bewehrt – über die blumengeschmückte Fairfield Road zur Innenstadt von Inverness marschiert, um dort bei einem Bike Hire das bestellte Rad für die Tour in die Single-Malt-Region abzuholen.

Am späten Vorabend war er noch samt Rollkoffer in entgegengesetzter Richtung die „Schönefeld-Straße“ entlanggezogen, wo die hübschen Bed & Breakfeast-Pensionen manchmal Haus an Haus stehen. Mit seiner Pension „Invernevis“ hatte er es gut getroffen. Das Frühstück war reichhaltig und ließ – im Gegensatz zu manch späterer Station – selbst für den kontinentalen Geschmack nichts zu wünschen übrig. Bei seiner Ankunft hatte er auf seinem Nachttischchen gar ein Welcome-Gedeck vorgefunden: Ein gläsernes Krüglein mit einem Willkommensschluck Whisky, eigentlich nur ein Schlückchen, das einem das Einschlafen erleichtern sollte – a very wee dram, sagen die Schotten, ein winziger Schluck, vergleichbar mit dem „wönzigen Schlock“ aus der „Feuerzangenbowle“. Daneben stand das klassische Tulpen-Gläschen, ideal für das Beschnuppern des edlen Tropfens vor dem Trunk. Damit nicht genug: Vor dem Holzbrettchen mit Vertiefungen für die zwei Glasgefäße lagerten ein schokoliertes Mintcreme-Plättchen sowie ein in Staniol gefasster Schokotaler. Und um die Einstimmung auf das schottische Hochland zu komplettieren, prangte an der Wand in einem Rahmen als Kohlezeichnung eine grimmig dreinschauende Highland cow. Umso freundlicher reagierte die Pensionswirtin Shella, als Karl sie fragte, ob er seinen Rollkoffer für ein paar Tage bei ihr parken könne, während er per Rad auf Whisky-Tour gehe. „No problem, my lovely“, erwiderte sie. 

Karl musste noch lernen, dass freundliche Schotten sehr vieles sehr schnell „lovely“ nennen, wozu ein Deutscher vielleicht nur „prima“ oder in neudeutscher Begeisterung sogar das seiner eigentlichen Bedeutung entkleidete „geil“ sagen würde.  „Lovely“ fand er jedenfalls am Morgen auch den Blick in den Garten und Hinterhof des Invernevis: Ein perfekter Rasen mit blumenbewachsenen Säulchen, ein ovalrund beschnittener Strauch, blühende Büsche und darüber ein blauer Himmel mit zuckerweißen Wölkchen. Beim Frühstück teilte er den schlicht, aber geschmackvoll gedeckten Tisch mit Rosalyn, einer eleganten Dame mittleren Alters, die an der Westküste ein Resort mit selfcatering cottages betreibt. „Ich bin nach Inverness gekommen, weil ich hier geschäftlich zu tun habe. Aber auch, weil mir ab und an das Stadtleben fehlt. Und Shella ist wirklich eine wunderbare Gastgeberin. Ich steige immer wieder hier ab“, erklärte sie. Karl konnte sich diesem Lob nur anschließen.



Überquerung des Ness in Inverness

Nun also nach dem Frühstück strebt er – um seinen Koffer erleichtert, den er dank Shella in ihrer viktorianischen Villa hat lassen dürfen – dem River Ness entgegen. Die Schönheit der Vorgärten an der Fairfield Road, die sich anscheinend an Blumenvielfalt gegenseitig zu übertreffen suchen, hat seine Vorfreude auf die 55-Meilen-Radtour zum Old Manse im Whisky Heartland zwischen Glenfiddich und Glenlivet noch  gesteigert. Als er den Ness auf der Brücke zur Innenstadt überquert, blinzelt er hinüber zu  einem der Wahrzeichen der Stadt, der eisernen Hängebrücke für Fußgänger von 1881, die auf der City-Seite von zwei historischen Kirchtürmen flankiert wird, die der Free Church of Scotland und der Old High Church. In der Fußgängerzone der Church Street inmitten der City erhält er endlich beim Inverness Bike Hire seinen stummen Gefährten für die nächsten Tage, einen „Drahtesel“ mit 21 Gängen.



Begrüßung im Whiskyland

Nach 23 Meilen (36,8 Kilometern) und knapp zwei Stunden nicht immer spaßigen Pedalentretens entlang der vielbefahrenen Schnellstraße A96 nach Aberdeen wird Karl an seinen  selbstauferlegten Forschungsauftrag erinnert. Ein hübsches Schild steht zwischen Gräsern und wilden Blumen am Straßenrand. „Welcome to Moray – Malt Whisky Country“ steht neben dem Logo des ans Highland angrenzenden Verwaltungsbezirks. Zwar wird als Whisky-Kernland gemeinhin die Gegend um den Fluss Spey bezeichnet, aber richtig ist auch: Die Speyside Region liegt im Bezirk Moray. Nachdem er das Örtchen Brodie und sein abseits hinter einem Wäldchen verstecktes märchenhaftes Schloss passiert hat, kann er in der idyllischen Kleinstadt Forres die für Radler nicht gerade ideale Schnellstraße endlich verlassen. Durch grüne Felder geht die Fahrt auf recht einsamer, leicht ansteigender Straße nunmehr nach Südosten.



Auf dem richtigen Pfad

Zwischen Lower Rafford und Upper Rafford bestätigt ihm eine braune Tourismus-Tafel, dass er auf der richtigen Fährte ist. Sie begrüßt ihn mit den Worten „Welcome to the Malt Whisky Trail“. Unter der Hauptzeile steht das Wort „follow“, gefolgt von einem Piktogramm, das ein pagodenhaftes Dach darstellt. Solche „Pagoden“ waren typisch für die Mälzereien, in denen die gewässerte Gerste auf perforierten Zwischenböden zum Trocknen auslag. Unter den Böden brannte das sogenannte Kiln-Feuer, dessen Rauch durch Boden und Getreide zog. Die seitlich offenen Pagodentürme dienten sozusagen als Rauchabzugshauben. Früher wurde für das Kiln-Feuer Torf oder Kohle benutzt. In modernen Mälzereien wird heutzutage Gas verbrannt, um das mälzende Getreide mit heißer Luft zu trocknen. Aber die Pagoden sind bis heute das im Übrigen denkmalgeschützte Symbol für die Produktion von Malt Whisky.   

Nur wenige Minuten weiter weist ein solches Pagodenzeichen zur Dallas Dhu Distillery. Aber erstens ist diese Anlage aus dem 19. Jahrhundert nicht mehr in Betrieb, sondern dient nur noch als Museum. Sicher recht interessant – aber zweitens hat der Radler auf dem Weg ins Whisky Heartland noch die zweite gebirgige Hälfte seiner Tagesetappe vor sich. Also lässt er den Abzweig nach Dallas Dhu rechts liegen und pedaliert weiter geradeaus und bergan.

Nach einiger Zeit überholt ihn mit freundlichem Gruß eine sportliche Frau mittleren Alters auf einem Rennrad in zünftigem Dress. Er lässt sie davonziehen, schließlich ist sie ohne Gepäck und mit einem leichteren Gefährt unterwegs. Doch als sie ein Waldgebiet erreichen und die Steigung merklich zunimmt, merkt er, dass seine Vorderfrau in etwa hundert Metern Entfernung an Geschwindigkeit verliert. Das weckt seine niedersten Jagdinstinkte oder – freundlicher ausgedrückt – sportlichen Wettkampfambitionen. Offenbar hat sie in einen unteren Gang geschaltet. Er aber bleibt in einem mittleren Gang und aktiviert dafür umso mehr Muskelpower. Das treibt ihm zwar den Schweiß auf die Stirn, aber er rückt der Dame im bunten Dress Meter für Meter näher. Noch in deutlichem Abstand vor dem Ende der langen Steigung hat er sie tatsächlich eingeholt. Scheinbar beiläufig und unangestrengt fragt er sie, wie weit es denn bis zum Dorf Dallas sei, seinem Zwischenziel fernab der alten Destillerie Dallas. „Can‘t be too far anymore“, erwidert sie schnaufend, während sie mit dem Vorderrad bergan wedelt. Karl bedankt sich für die Auskunft und zieht nun seinerseits unter Aufbietung aller Muskelkraft davon. 

Hinter der Hügelkuppe lichtet sich der Wald. Es geht nun leicht downhill. Karl lässt sein Trekkingrad von allein laufen und verschnauft erst einmal. Da hört er das Rennrad heranrauschen. Beim Vorbeibrausen ruft ihm die Dame im Dress zu: „Look over there. Those houses in the valley. That must be Dallas“. Karl ruft ihr noch „Thanks“ hinterher und denkt nicht im Entferntesten daran, den ungleichen Wettkampf nochmals aufzunehmen. Er spürt, wieviel Kraft ihn die Wettfahrt bergauf gekostet hat. „Wenn ich die Suche nach der Seele des Whiskys fortführen möchte, sollte ich meine Kräfte fortan sparsamer einsetzen“, sagt er sich. 
  
Nach einer leichten Kurve verlässt Karl wie seine Vorfahrerin die Landstraße B9010 am Hang und „stürzt“ sich hinunter nach Dallas. Dort erwarten ihn keine Wolkenkratzer wie in der...