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Der Tod macht leicht - Sich mit dem eigenen Sterben auseinandersetzen

Der Tod macht leicht - Sich mit dem eigenen Sterben auseinandersetzen

Andreas Hase

 

Verlag nymphenburger Verlag, 2020

ISBN 9783485061810 , 208 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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14,99 EUR

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Der Tod macht leicht - Sich mit dem eigenen Sterben auseinandersetzen


 

Wenn die Eltern gehen

Ich habe an seinem Bett gesessen. Und ich möchte erzählen von dem, was dort war. Es hat lange gedauert, bis ich darüber hinweggekommen bin. Damals, als mein Vater mit 77 Jahren gestorben ist. Sein Weg war ein anderer als der meiner Mutter; freilich, jeder Weg ist eigen, einmalig und unverwechselbar. Doch seiner war sehr entschlossen, er nahm fast keine Umwege, er ging sehr gerade durch das wartende Tor, er wankte kaum. Natürlich hatte seine Krankheit ihm den Weg gewiesen, da gab es kein Rechts oder Links, keine Wahl und kein Entkommen. Er wurde in den Tod gezogen wie an einer Schnur.

Der Gedanke ließ mich damals lange nicht los: »Ich werde nie wieder einen Vater haben.« Ich dachte immer wieder an meinen Vater, seinen Kampf, seinen Tod, aber auch an sein Leben, was er war, wofür er stand. Ich erinnere mich, dass ich als junger Mann noch mit nachsichtigem Lächeln an die Erdbeeren dachte, die er in seinem Kleingarten geerntet hatte. Erdbeeren. Ich dachte oft an ihn. Ich erinnerte mich an vieles, viele Begebenheiten, die ich längst vergessen wähnte. Es gab viel Gutes, manches Schlechte, viel Vertragen, schöne Zeiten und Zeiten mit viel Streit. Aber eines war immer da, mein ganzes Leben lang war es immer da: er. Und es dauerte Tage, Wochen, bis ich merkte: Er ist noch immer da. Nicht so, wie ich ihn als Kind gebraucht hatte – aber so, wie ich ihn als Mann brauchte, selbst längst Vater erwachsener Kinder. Und ich begriff: Er wird immer da sein. Da ist kein Ende. Ich werde immer einen Vater haben. Und Erdbeeren zu ernten, in Frieden und Freiheit, ist etwas Großartiges, auf das man stolz sein kann.

Es waren diese Gedanken, als ich am Bett meiner Mutter saß, und Gott sei Dank hatte ich diese Zeit, diesen halben Nachmittag, um mich an ihrem Bett von ihr zu verabschieden. Sie war tot. Verstorben letzte Nacht in ihrem Bett. Als ich sie anfangs betrachtete, sah sie für mich sehr fremd aus. Ja, ich glaube fast, ich hätte die Gesichtszüge kaum erkannt, hätte ich nicht gewusst, dass sie es ist. Ich saß neben ihr und stellte mir vor, dass ich ihr die Hand reiche. Ich stellte mir vor, dass sie sie nimmt. So saßen wir eine Weile schweigend.

Ich erinnerte mich an viele Situationen, kleine Geschichten und große. Ich erinnerte mich, dass sie früher mit mir betete, wenn sie mich ins Bett brachte – es war immer »Müde bin ich, geh zur Ruh …«, oder zumindest will es meine Erinnerung so. Ich erinnerte mich an diesen Tag, an dem ich eine harmlose ambulante Operation an meiner linken Hand hatte, vielleicht war ich acht oder neun. Abends ließ die Betäubung nach und ich lag auf unserem grünen Sofa im neongrellen Wohnzimmer und weinte vor Schmerz. Sie saß neben mir, ihre Hand auf meiner Stirn. Und weinte mit. Das tut nur eine Mutter. Ich erinnerte mich an viele Dinge, kleine und große. Und eines war immer da, mein ganzes Leben lang war es immer da: sie. All diese Gedanken zerronnen auf einmal zu einem klaren Bild: Ich sah sie als kleines Kind, vier oder fünf, sie rannte los und, als sei sie mir vom Schoß gesprungen, sah ich ihr hinterher, sie rannte auf ihre Eltern zu, auf Oma und Opa, die sie mit offenen Armen und riesiger Freude und jungen Gesichtern in Empfang nahmen. Ich rief im Geist: »Ja, lauf, renn, flieg …«, und wusste: Alles ist gut. Genau so, wie es jetzt gerade ist, alles ist gut so.

Ich glaube, meine Eltern waren das Beste, was mir passieren konnte. Sie haben mich nicht nur immer getragen, manchmal haben sie mich auch gezogen, geschoben und geschubst. Nur – losgelassen haben sie mich nie.

Dann klopfte es an der Tür. Als ich meinen Blick wieder anhob und in ihr Gesicht sah, hatte es sich verändert. Ich bin mir sicher, es hatte sich verändert. Da war wieder das Liebevolle, das Sanfte in ihrem Ausdruck. Doch noch etwas hatte sich dazugelegt: Es sah aus wie … Weisheit. Ich habe nie Weisheit im Gesicht meiner Mutter gesehen, jetzt war sie da. Schönheit. Als sie ging, war sie schön. Eine Königin. Es klopfte wieder. Der Bestatter. Da ist kein Ende. Sie werden immer sein für mich. Ich widme beiden dieses Buch, denn im Grunde ist es ihres.

Wir können uns auf den Tod vorbereiten

Meine Eltern starben nicht kurz hintereinander, wie man das manchmal von älteren Ehepartnern hört. Meine Mutter verbrachte nach dem Tod meines Vaters noch einige mehr oder weniger zufriedene Jahre in der vormals gemeinsamen Wohnung, bevor sie ihm letztlich folgte. Beide starben sie hinein ins Ungewisse, mein Vater von meiner Familie und mir begleitet, meine Mutter allein in der Nacht, halbwegs überraschend. Mit 87 ist das in Ordnung, möchte man meinen. Im Nachhinein betrachtet merkte ich aber, dass ich überhaupt keine Ahnung davon hatte, was ich bei der intensiven Begleitung meines Vaters gemacht hatte, und noch viel weniger von dem, was mit meinen Eltern eigentlich geschehen war. Wo waren sie hin? Sie waren gestorben, so viel wusste ich, aber sie starben in eine tiefe Ungewissheit hinein. Eine Ungewissheit, die ich teilte. Es stellte sich die Frage, ob das immer so sein muss – ob es nicht besser wäre, sich vorzubereiten auf diesen Tag, der für jeden kommen wird. Im Lärm des Alltags blickt man allzu oft nur nach hinten, da man insgeheim weiß, dass ganz weit vorn eine Frage wartet, auf die wir keine Antwort haben. Das Leben mag manche Möglichkeit bieten, sich wegzuducken. Nicht so der Tod.

So fasste ich den Entschluss, mich ehrenamtlich als Sterbebegleiter zu engagieren, und durchlief eine Ausbildung hierfür. Das vorliegende Buch enthält keine Checkliste, was wann wie vorzubereiten wäre – es ist keine Bedienungsanleitung zum Sterben. Es ist ein sehr persönliches und zutiefst spirituelles Buch, dem viele Erfahrungen zugrunde liegen, die ich während meinen Begleitungen machen durfte. Die Grundaussage? Sie steckt im Titel.

Ein »Spirituelles Testament« anlegen

Die normale und bekannte Möglichkeit, sich auf den eigenen Tod vorzubereiten, ist das Verfassen eines Testaments, um zu regeln, was mit meinem Hab und Gut geschehen wird. Daneben mögen manche an Patientenverfügungen denken, an Betreuungsvollmachten und dergleichen. Ja, sicher: wichtig. Und deswegen finden sie hier auch Erwähnung. Doch in der Hauptsache geht es darum, die innere Einstellung zum Tod zu finden. Es geht darum, ein »Spirituelles Testament« im besten Sinn zu erstellen – nicht eines, das ich als Checkliste im Internet herunterladen kann, in dem ich ankreuze, ob ich nun Buddhist, Katholik, Protestant, Anthroposoph, Agnostiker oder Atheist bin. Ich kann meine Beerdigung akkurat planen, welche Musik gespielt werden soll, Friedhof, Ruhewald oder Seebestattung –- all dies ist gut zu regeln, nichts davon ist verkehrt. Doch ein »Spirituelles Testament«, wie ich es meine, geht darüber hinaus, es muss nicht einmal niedergeschrieben sein. Wenn es ans Sterben geht, dann ist das Wichtigste, dass ein »Spirituelles Testament« als innere Haltung der Würde in meinem Herzen eingeschrieben ist. Dass ich eine Vorstellung und – wichtiger – ein Gefühl dafür habe, was da auf mich wartet, welchen Unwägbarkeiten ich auf diesem letzten Weg begegnen kann, und die weitgehende Gewissheit, dass ich mich darauf bestmöglich vorbereitet habe. Ob auf meiner Beerdigung nun der Radetzky-Marsch gespielt wird oder ein Requiem, spielt dagegen keine so große Rolle.

Einladung zum Verweilen

Dieses »Spirituelle Testament« ist eine innere Entwicklung, es wird kaum von heute auf morgen entstehen; jede Haltung muss in einem Prozess entstehen. Sie wird beim Lesen durch viele Impulse angestoßen, die vielleicht auch zwischen den Zeilen aufzuspüren sind. Es geht darum, dem Tod hinter die Maske zu sehen, zu erkennen, dass er auch als guter Freund kommen kann. Der Tod ist unermesslich, und er ist mehr als immer nur der große Beender, der alles Leben in seiner Blüte bricht. Der Tod kann ein Freund sein.

Darüber hinaus folgen den einzelnen Abschnitten jeweils Einladungen und Übungsvorschläge, die während des Lesefortgangs des Buches gemacht werden können, um die Impulse zu vertiefen. In innerer Ruhe und Ausgeglichenheit. Manche dieser Einladungen kann man sicherlich mit einem Freund, einer Freundin gemeinsam machen, andere in der Gruppe, wieder andere macht man besser alleine.

Es ist nicht notwendig, die Übungen in der Reihenfolge des Leseflusses durchzuführen. Sicherlich ist es aber ratsam, sie mehr als einmal zu machen. Sie entfalten ihre Wirksamkeit nicht durch das Erlesen, sondern nur durch das Erleben. In ihrer Einfachheit werden sie jedes Mal eine andere Wendung nehmen, neue Perspektiven und Bilder entstehen lassen und neue Wege aufzeigen. Hat man sie einmal verinnerlicht, wachsen und gedeihen sie wie ein Samenkorn, das man in seinem Herzen gepflanzt hat. Es hilft, das Korn von Zeit zu Zeit zu wässern und Sonnenlicht hineinzulassen und so die Übungen nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.

Natürlich können diese themenbezogenen Anleitungen festgehalten und wie in einem Tagebuch notiert werden, um wertvolle Gedanken und Anstöße nicht wieder zu verlieren. Letztlich entsteht so ein ganz persönliches »Spirituelles Testament«, das aufbewahrt und auf das immer wieder zurückgegriffen werden kann. Die Übungen werden dazu beitragen, dass sich diese innere Einstellung zum Tod entwickeln kann, die auf wunderbare Weise viel mit unserem Leben zu tun hat. Sie sind auf das Einfachste reduziert, jeder kann dieser Einladung folgen. Sie sind die eigentlichen Themen des Lebens.

Die Einladungen zu den Übungen gehen zurück auf die Naturheilpraxis Nordmann in Diez, Bettina Nordmann und...