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Vertrieb von Waren und Dienstleistungen in Zeiten von Corona - Ein Rechtsleitfaden zu COVID-19-bedingten Vertragsstörungen

Vertrieb von Waren und Dienstleistungen in Zeiten von Corona - Ein Rechtsleitfaden zu COVID-19-bedingten Vertragsstörungen

Marius Mann, Ute Schenn, Benjamin Baisch

 

Verlag Verlag C.H.Beck, 2020

ISBN 9783406760617 , 56 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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5,49 EUR

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Vertrieb von Waren und Dienstleistungen in Zeiten von Corona - Ein Rechtsleitfaden zu COVID-19-bedingten Vertragsstörungen


 

14C. Gesetzliche Regelungen für COVID-19-bedingte Leistungsstörungen


Fehlen vertragliche Regelungen für coronabedingte Leistungsstörungen oder sind die Voraussetzungen dieser Regelungen nicht erfüllt oder unwirksam, sind die gesetzlichen Regelungen maßgeblich für die Frage, wie mit Leistungsstörungen umgegangen wird. Welche Vertragspartei also welches Risiko und im Ergebnis welche Schäden und Kosten zu tragen hat, ergibt sich in diesen Fällen aus den gesetzlichen Regelungen.

Im Zusammenhang mit COVID-19 spielen insbesondere die Regelungen zur Unmöglichkeit der Leistung und der Störung der Geschäftsgrundlage eine zentrale Rolle. Der deutsche Gesetzgeber hat zur Bewältigung der „Corona-Krise“ Neuregelungen für bestimmte Dauerschuldverhältnisse erlassen (Art. 240 §§ 1 ff. EGBGB). Diese speziell auf die Corona-Krise zugeschnittenen gesetzlichen Regeln werden nachfolgend zunächst dargestellt bevor wir die Unmöglichkeit der Leistung und Fälle des Wegfalls der Geschäftsgrundlage abhandeln.

I. Spezielle Neuregelungen für bestimmte Vertragstypen


Der Gesetzgeber hat nach Ausbruch und der flächendeckenden Verbreitung des COVID-19-Virus insbesondere bei bestimmten Vertragstypen, namentlich Dauerschuldverhältnissen im Versorgungsbereich (Strom- und Gaslieferungsverträge, Pflichtversicherungsverträge und Verträge über Telekommunikationsdienste) sowie bei Miet- und Pachtverhältnissen und bei Verbraucherdarlehensverträgen Handlungsbedarf gesehen. Er hat für diese Vertragstypen daher insbesondere Stundungsrechte und Regelungen zu Kündigungsverboten geschaffen. Diese Regelungen erläutern wir nachfolgend.

1. Dauerschuldverhältnisse mit Verbrauchern und Kleinstunternehmen


Verbraucher und Kleinstunternehmen werden vom Gesetzgeber als besonders schutzwürdig erachtet. Ihnen wird daher durch die Neuregelungen das Recht eingeräumt, ihre vertraglichen Leistungen temporär zu verweigern (Leistungsverweigerungsrecht, Art. 240 § 1 EGBGB). Durch das Leistungsverweigerungsrecht sollen Verbraucher und Kleinstunternehmen finanziell entlastet werden, deren Haushaltseinkommen bzw. Umsatz sich infolge der COVID-19-Pandemie verringert hat oder sogar ganz weggebrochen ist. Dieses Leistungsverweigerungsrecht kann weder durch allgemeine Geschäftsbedingungen noch durch Individualvereinbarung abbedungen werden.

Kleinstunternehmen sind Unternehmen mit bis zu neun Beschäftigten und einem Jahresumsatz von nicht mehr als EUR 2 Millionen.

a) Voraussetzungen des Leistungs­verweigerungsrechts

Nach der Neuregelung können Verbraucher ihre Leistung (also insbesondere ihre Zahlungspflicht) in einem wesentlichen Dauerschuldverhältnis mit einem Unternehmen verweigern, wenn dem Verbraucher die Erbringung seiner Leistung aufgrund der Folgen der COVID-19-Pandemie ohne Gefährdung seines angemessenen Lebensunterhalts oder des angemessenen Lebensunterhalts seiner unterhaltsberechtigten Angehörigen nicht möglich wäre. Ein Dauerschuldverhältnis ist für einen Verbraucher ein wesentliches Dauerschuldverhältnis, wenn es zur Eindeckung mit Leistungen der angemessenen Daseinsvorsorge erforderlich ist. Hierzu zählen insbesondere: Strom- und Gaslieferungsverträge, Pflichtversicherungsverträge und Verträge über Telekommunikationsdienste.

Ein Kleinstunternehmen hat ein Leistungsverweigerungsrecht, wenn dem Kleinstunternehmen die Erbringung seiner Leistung aufgrund der Folgen der COVID-19-Pandemie nicht oder nicht ohne Gefährdung der wirtschaftlichen Grundlagen seines Erwerbsbetrieb möglich wäre. Ein Dauerschuldverhältnis ist für ein Kleinstunternehmen wesentlich, wenn es zur Eindeckung mit Leistungen zur angemessenen Fortsetzung des Erwerbsbetriebs erforderlich ist. Auch hier sind insbesondere Strom- und Gaslieferungsverträge, Pflichtversicherungsverträge und Verträge über Telekommunikationsdienste relevant.

Miet- und Pachtverträge fallen nicht unter die Neuregelung. Für diese hat der Gesetzgeber eine eigenständige Regelung geschaffen (dazu  C. I.2.).

b) Zeitliche Geltung des Leistungs­verweigerungsrechts

Das Leistungsverweigerungsrecht besteht – nach der derzeitigen Regelung – sowohl für Verbraucher 15als auch für Kleinstunternehmen nur bis zum 30. Juni 2020. Es gilt darüber hinaus nur für Verträge, die vor dem 8. März 2020 abgeschlossen wurden.

Der Gesetzgeber geht davon aus, dass Verträge nach dem 8. März 2020 in Kenntnis einer möglicherweise bevorstehenden Veränderung des Wirtschaftslebens geschlossen wurden bzw. werden. Diese Verträge seien daher nicht schutzwürdig.9 Man mag diese Differenzierung des Gesetzgebers für wenig sachgerecht halten, insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass nicht klar ist, wie die Pandemie verläuft und sich das Wirtschaftsleben entwickelt. Sie ist aber für die Gerichte grundsätzlich verbindlich es sei denn, die gesetzliche Regelung wurde von einem Verfassungsgericht ausdrücklich aufgehoben.

c) Ausübung des Leistungsverweigerungsrechts und Folgen

Das Leistungsverweigerungsrecht muss von dem Verbraucher bzw. dem Kleinstunternehmen ausdrücklich geltend gemacht – also erhoben – werden, das heißt, die Leistungsverweigerung muss dem Vertragspartner mitgeteilt werden. Es reicht nicht aus, wenn der Verbraucher oder das Kleinstunternehmen die Leistung nicht erbringt, indem er schlicht nicht bezahlt.

Wenn der Verbraucher oder das Kleinstunternehmern die Leistung verweigert, kann der Vertragspartner den Anspruch auf die Leistung bis 30. Juni 2020 nicht mehr durchsetzen. Bis zu diesem Zeitpunkt kann die Leistung auch durch Zwangsvollstreckung nicht eingetrieben werden. Der Vertragspartner hat aber seinerseits die Gegenleistung weiterhin zu erbringen.

Verweigert der Verbraucher oder das Kleinstunternehmen auf Basis der genannten gesetzlichen Regelung die Leistung bis 30. Juni 2020, gerät der Verbraucher bzw. das Kleinstunternehmen dadurch auch nicht in Verzug. Trotz Leistungsverweigerung kann der Vertragspartner den betreffenden Vertrag aufgrund der Nichtleistung des Verbrauchers oder Kleinstunternehmens nicht außerordentlich kündigen.

d) Ausnahmeregelung

Das durch die Neuregelung eingeführte Leistungsverweigerungsrecht für Verbraucher und Kleinstunternehmen stellt einen schwerwiegenden Eingriff in ein bestehendes Vertragsverhältnis dar. Die Interessen des Vertragspartners, also z. B. des Strom- und Gaslieferanten oder des Versicherers dürfen dabei nicht unberücksichtigt bleiben.

Daher gilt das Leistungsverweigerungsrecht dann nicht, wenn die Leistungsverweigerung für den Vertragspartner unzumutbar wäre. Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn die Nichterbringung der Leistung von Seiten des Verbrauchers oder das Kleinstunternehmen die wirtschaftliche Grundlage des Erwerbsbetriebs des Vertragspartners gefährden würde. In diesen Fällen muss den Interessen beider Vertragspartner Rechnung getragen werden. Dies versucht der Gesetzgeber dadurch zu erreichen, dass dem Verbraucher bzw. dem Kleinstunternehmen statt des Leistungsverweigerungsrechts ein Kündigungsrecht zusteht, wenn der Vertragspartner die Leistung berechtigt fordert, weil ihm die Leistungsverweigerung unzumutbar ist. So kann sich der Verbraucher bzw. das Kleinstunternehmen durch Kündigung von den vertraglichen Pflichten lösen. Allerdings besteht das Kündigungsrecht nicht bei Neuverträgen, die nach dem 8. März 2020 geschlossen wurden und werden.

Dass die vorstehend beschriebene Ausnahmeregelung greift, ist allerdings insbesondere bei Strom- und Gaslieferungsverträgen oder bei Pflichtversicherungsverträgen nur schwer vorstellbar. Diese Leistungen werden in der Regel von verhältnismäßig großen Betrieben erbracht, während die Gegenleistung (Zahlung von einzelnen monatlichen Strom- und Gasrechnungen oder Versicherungsbeiträgen) für einen großen Betrieb wohl eher vernachlässigenswert sein und keinerlei systemisches Risiko darstellen dürfte.

2. Miet- und Pachtverträge über Grundstücke und Räume


Für Miet- und Pachtverträge über Grundstücke und Räume hat der Gesetzgeber eine eigenständige Neuregelung geschaffen (Art. 240 § 2 EGBGB). Durch diese sollen Mieter, gleich ob es sich um Verbraucher oder Unternehmer handelt, vor einer Kündigung geschützt werden, wenn sie die Miete aufgrund wirtschaftlicher Einbußen im Zusammenhang mit der Ausbreitung von COVID-19 nicht bezahlen können.

Der Vermieter kann nach der Neuregelung ein Miet- oder Pachtverhältnis nicht allein aus dem Grund kündigen, dass der Mieter im Zeitraum vom 1. April 2020 bis 30. Juni 2020 die Miete nicht bezahlt (Kündigungsausschluss). Weitere Voraussetzung des Kündigungsausschlusses ist, dass die Nichtzahlung auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht.

Anders als die oben beschriebene Regelung zum Leistungsverweigerungsrecht sieht die Regelung für Miet- und Pachtverträge keine Ausnahme für den Fall vor, dass für den Vermieter der Ausfall der Mietzahlungen unzumutbar ist. Nach Ansicht des Gesetzgebers ist der Eingriff in die Rechte des Vermieters geringer als bei Geltendmachung eines Leistungsverweigerungsrechts, 16da lediglich das Kündigungsrecht des Vermieters ausgeschlossen werde.10

Auch diese Corona-Gesetzgebung mag kritikwürdig erscheinen, denn ein Vermieter ist oftmals auf die Mietzahlungen angewiesen, insbesondere wenn die vermieteten Räumlichkeiten durch Kredit fremdfinanziert sind. Zahlt der Mieter nicht, besteht die Gefahr, dass der Vermieter seinen Verpflichtungen gegenüber seiner darlehensgebenden Bank nicht mehr...