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Juister Lüge. Ostfrieslandkrimi

Juister Lüge. Ostfrieslandkrimi

Sina Jorritsma

 

Verlag Klarant, 2020

ISBN 9783965862180 , 200 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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4,99 EUR

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Juister Lüge. Ostfrieslandkrimi


 

Kapitel 1


 

Kommissarin Antje Fedder wäre lieber am Strand gewesen, als Bürodienst zu schieben. Zu den Vorzügen ihrer Arbeit als Inselpolizistin auf Juist gehörte der häufige Aufenthalt an der frischen Luft. Als tief verwurzelte Einheimische wollte sie an gar keinem anderen Ort auf der Welt leben. Außer während der Ausbildungszeit und einem alptraum­haften Großstadteinsatz unmittelbar danach war sie dem »Töwerland« immer treu geblieben.

Momentan saß Antje an ihrem Schreibtisch in der kleinen Inselwache. Sie musste noch ein paar Protokolle tippen, dann konnte sie endlich nach draußen gehen und sich den Sommerwind um die Nase wehen lassen. Die Kommissarin hielt engen Kontakt zu den Bewohnern und Besuchern des Eilands. Bei jeder Streife durch den Ort gab es den einen oder anderen »Klönschnack«. Das war ihrer Meinung nach die beste Art der Verbrechensvorbeugung – zu erkennen, wo den Menschen der Schuh drückte.

Die Tür wurde aufgestoßen. Antje blickte auf. Sie rechnete damit, Roland Witte eintreten zu sehen. Er war dienstlich ihr Kollege und privat ihr Freund. Die Kommissarin wunderte sich darüber, dass sein Termin mit der Bürgermeisterin so schnell beendet wurde. Doch es war nicht Roland, der nun zögernd das Wachlokal betrat.

Antje hatte die junge Frau, die im Eingangsbereich verharrte, noch nie zuvor gesehen. Das musste nichts bedeuten, denn auf einer so beliebten Ferieninsel waren die Touristen gegenüber den Einheimischen stets in der Überzahl. Die Kommissarin kannte praktisch alle gebürtigen Juister beim Namen, und auch die Saisonkräfte in Hotels und Lokalen waren ihr spätestens nach ein paar Wochen vertraut. Bei Urlaubern, die nur eine oder zwei Wochen auf der Insel blieben, sah die Sache schon anders aus.

Antje schätzte die Besucherin auf Ende zwanzig oder Anfang dreißig. Sie trug knielange Jeans-Shorts, ein ärmelloses T-Shirt sowie Flipflops. Ihr blondes, schulter­langes Haar war nur unwesentlich dunkler als das der Kommissarin.

»Störe ich?«, fragte die Fremde. Ihre ganze Körpersprache drückte Unsicherheit und Zurückhaltung aus. Sie drückte ihre Knie gegeneinander, die Schultern waren hochgezogen, und sie vermied den Augenkontakt mit der Inselpolizistin. Antje erhob sich von ihrem Stuhl und machte eine einladende Geste.

»Nein, treten Sie doch bitte näher. Möchten Sie Platz nehmen?«

Antje deutete auf ihren Besucherstuhl. Die junge Frau zögerte kurz, kam dann auf die Kommissarin zu. Sie setzte sich so vorsichtig auf das Möbelstück, als ob sie befürchtete, dass es unter ihr zusammenbräche.

»Wie lautet Ihr Name?«, forschte die Inselpolizistin.

»Lotta Dolke.«

Frau Dolke hatte grüne Augen, deren Blick unruhig wirkte. Die Besucherin schaute nur einen Moment lang Antje ins Gesicht, dann starrte sie Richtung Fenster. Ob sie befürchtete, dass jemand sie verfolgte und irgendwo an der Carl-Stegmann-Straße lauerte? Im nächsten Moment senkte die Frau den Kopf und packte die Handtasche auf ihrem Schoß fester. So, als würde sie befürchten, dass Antje ihr die Tasche entreißen könnte. Der Kommissarin fiel ein altmodisch wirkender Siegelring auf, den sie am linken Ringfinger trug. Er passte nicht so richtig zu ihrem modischen Outfit.

Antje kam direkt zur Sache.

»Ich bin Kommissarin Fedder. Was kann ich für Sie tun?«

Die junge Frau atmete tief durch und antwortete: »Ich glaube, dass ich jemanden anzeigen möchte.«

Die Kommissarin runzelte die Stirn und hakte nach.

»Also geht es um eine strafbare Handlung?«

Lotta Dolke nickte. Sie biss die Zähne so stark aufeinander, dass die Wangenmuskulatur hervortrat.

»Könnten Sie etwas genauer werden?«, bat Antje.

»Ich spreche von einer Lüge.«

»Es verstößt nicht unbedingt gegen Gesetze, die Unwahrheit zu sagen«, erklärte die Inselpolizistin. Für sie stand fest, dass ihre Besucherin unter großem innerem Druck stand. Allerdings wusste Antje noch nicht, ob die Polizei ihr überhaupt helfen konnte.

»Also ist es in Ordnung, wenn man lügt?«, fragte Lotta Dolke. Die Kommissarin schüttelte den Kopf.

»Es kommt auf die Umstände an.«

»Wie meinen Sie das, Frau Fedder?«

»Wenn jemand beispielsweise lügt, um einen Kriminellen zu schützen, begeht er eine Straftat. Man nennt das Beihilfe. Aber wenn Ihr Freund behauptet, beim Sport gewesen zu sein, und sich stattdessen mit einer anderen Frau getroffen hat, dann ist das zwar verwerflich – doch gegen ein Gesetz verstößt er damit nicht.«

»Ich habe aber gar keinen Freund, jedenfalls nicht mehr«, erwiderte die Besucherin. Antje hätte am liebsten mit den Augen gerollt, beherrschte sich aber. Lotta Dolke ging ihr bereits jetzt auf die Nerven.

»Das war ja auch nur ein Beispiel. – Was ist denn geschehen?«

»Noch ist gar nichts passiert, Frau Fedder – aber ich fürchte Schlimmes.«

»Weshalb genau sind Sie denn hierher gekommen?«, fragte die Kommissarin mit erzwungener Ruhe.

»Wegen einer Lüge.«

»Solange Sie so vage bleiben, werde ich nichts für Sie tun können.«

Antje hatte diesen Satz nur von sich gegeben, um Lotta Dolke aus der Reserve zu locken. Auf dem Gesicht der Besucherin verschwand der ängstliche Ausdruck. Stattdessen wirkte sie nun enttäuscht. Jedenfalls kam es der Inselpolizistin so vor. Die junge Frau sprang auf.

»Es war ein Fehler, hierher zu kommen! Vergessen Sie bitte einfach, was ich gesagt habe!«

»Ich muss die Fakten kennen, bevor ich etwas unternehmen kann«, versuchte Antje zu erklären. Aber Lotta Dolke verließ bereits fluchtartig die Polizeistation. An der Tür wäre sie beinahe mit Roland Witte zusammen­gestoßen, der im letzten Moment ausweichen konnte. Der dunkelhaarige Kommissar schaute der Besucherin kopfschüttelnd nach.

»Was ist denn mit dem scheuen Reh los, Antje?«

»Frag mich etwas Leichteres«, gab die Inselpolizistin seufzend zurück. Dann berichtete sie von ihrem kurzen Gespräch mit der Frau. Roland setzte sich an seinen Schreibtisch, der dem seiner Kollegin gegenüberstand.

»Für mich hört es sich so an, als ob diese Frau Dolke zu lange in der prallen Sonne gewesen wäre«, mutmaßte er. »Unser schönes Juister Wetter bekommt eben nicht jedem.«

»Ja, sie machte einen verwirrten Eindruck«, murmelte Antje. »Dennoch könnte sie ernsthaft in Gefahr schweben.«

»Ich sehe keinen Grund für polizeiliches Eingreifen«, erwiderte Roland. »Vor allem heute nicht, wo wir uns über Mangel an Beschäftigung nicht beklagen können.«

Die Kommissarin wusste, dass ihr Kollege im Grunde recht hatte. Gewiss, die Besucherin hatte durcheinander und auch verängstigt gewirkt. Doch äußere Verletzungen oder andere verdächtige Anhaltspunkte hatte Antje bei ihr nicht feststellen können. Die Inselpolizistin hatte auch einen Blick durchs Fenster nach draußen geworfen. Womöglich gab es jemanden, der Lotta Dolke nachstellte.

Aber die Straße war leer.

Am Abend sollte auf Juist ein großes Strandfest stattfinden, und diese Veranstaltung würde die beiden Ordnungshüter wirklich in Atem halten. Zwar rechnete Antje nicht mit Ärger auf der friedlichen Urlaubsinsel, trotzdem mussten sie und Roland auf alles vorbereitet sein.

»Wie verlief denn dein Gespräch mit unserer verehrten Bürgermeisterin?«, wollte sie wissen. Der Kommissar grinste.

»Wenn Silke Meester sich selbst weiter so verrückt macht, wird sie noch vor Anbruch der Abenddämmerung einen Nervenzusammenbruch erleiden. Es ist ja nicht so, dass diese Veranstaltung noch nie zuvor stattgefunden hätte …«

»Genau genommen richtet die Gemeinde jedes Jahr im August das Strandfest aus«, stellte Antje klar.

»Richtig, und wir haben keine Hinweise auf anreisende Krawallmacher. Frau Meester befürchtet trotzdem, dass es Ärger geben könnte. Ich hoffe, dass die Anreise unserer Verstärkung vom Festland sie einigermaßen beruhigen wird.«

Die Kommissarin nickte. Auf Drängen der Bürgermeisterin hatten die Inselpolizisten sich dazu überreden lassen, zwei zusätzliche Kollegen für die Dauer des Strandfestes anzufordern. Nach Antjes Meinung war diese Vorsichtsmaßnahme unnötig. Vor einigen Jahren hatte sie noch ganz allein bei der Veranstaltung für Ruhe und Ordnung gesorgt. Aber damals war der alte Paulsen Bürgermeister gewesen, der nicht zu Panikreaktionen neigte.

Antje warf einen Blick auf die Uhr.

»Wir sollten allmählich Richtung Fähre aufbrechen, schließlich müssen wir den Kollegen noch ihr Quartier zuweisen«, sagte sie. Die Kommissarin stand auf, griff nach ihrer Dienstmütze und verließ die Polizeistation. Roland folgte ihr.

»Weißt du, was ich schade finde?«, fragte er.

»Lass...