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Psychoedukative Interventionen mit Krebspatienten - Das Therapiemanual

Psychoedukative Interventionen mit Krebspatienten - Das Therapiemanual

Joachim Weis, Ulrike Heckl, Susanne Seuthe-Witz

 

Verlag Schattauer, 2021

ISBN 9783608121001 , 196 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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39,99 EUR

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Psychoedukative Interventionen mit Krebspatienten - Das Therapiemanual


 

3 Psychosoziale Belastungen und Komorbidität bei Krebs


3.1 Allgemeine Übersicht


Eine Tumorerkrankung ist durch zahlreiche körperliche sowie seelische Belastungen gekennzeichnet, die das Leben der Betroffenen durch Beschwerden und Einschränkungen der Funktionsfähigkeit in Beruf und Alltag negativ beeinflussen. Die psychosozialen Aspekte einer Tumorerkrankung sind wissenschaftlich häufig untersucht worden, sodass wir über ein umfangreiches Wissen hinsichtlich der spezifischen psychosozialen Belastungen und der psychischen Komorbidität verfügen.

Bereits bei Vorliegen eines Krebsverdachts können für die Betroffenen je nach Dauer der Diagnostikphase psychische Belastungen und starke Verunsicherung entstehen. Die Mitteilung der Krebsdiagnose wird von den meisten Patienten als ein schwerer Schock erlebt, verbunden mit Gefühlen existenzieller Lebensbedrohung, Ohnmacht, Kontrollverlust und Irreversibilität (Weis et al. 2016). Zugleich bricht eine Fülle von Informationen auf den Betroffenen ein, die es zu ordnen und zu verarbeiten gilt. Sehr rasch muss sich der Patient für die notwendigen Therapiemaßnahmen entscheiden. Die Behandlung geht häufig mit vielfältigen Belastungen und Problemlagen einher, die durch vorübergehende oder bleibende körperliche Leistungseinschränkungen und funktionelle Störungen (wie Leistungseinbußen, Schmerzen, Sensibilitätsstörungen, neuropsychologische Störungen) gekennzeichnet sind und die Lebensqualität der Betroffenen beeinträchtigen. Durch die vielfältigen Probleme, die Lebensbedrohlichkeit der Erkrankung und die existenzielle Verunsicherung können nach Diagnosestellung, aber auch im gesamten Verlauf der Erkrankung und Behandlung Störungen der emotionalen Befindlichkeit auftreten, die je nach Schweregrad auch den Charakter einer psychischen Störung im Sinne einer ICD-Klassifikation (vor allem Angststörungen und depressive Störungen) annehmen können. Ferner hat die Erkrankung auch negative Auswirkungen auf die Partnerschaft und Familie, beispielsweise im Bereich der Kommunikation, Rollenveränderungen, Sexualität. Eine Tumorerkrankung wird häufig mit Unheilbarkeit, Tod und Sterben und starkem Leiden assoziiert und kann im sozialen Bereich daher bei den Betroffenen zu Rückzug und sozialer Isolierung führen; dies wird verstärkt bei denjenigen Tumorarten, bei denen durch die Sichtbarkeit der körperlichen Versehrtheit Ängste vor Stigmatisierung entstehen. Im Bereich der beruflichen Belastungen stehen neben den erlebten beruflichen Leistungseinschränkungen vor allem der drohende oder bereits erfolgte berufliche Ausstieg durch eine Frühberentung, erlebte Rückstufungen, Reduktion der Arbeitszeit oder Übernahme einer weniger verantwortungsvollen Tätigkeit und damit verbundene existenzielle und finanzielle Probleme im Vordergrund. Tabelle 3-1 fasst die psychosozialen Problembereiche nach einer Tumorerkrankung überblickartig zusammen.

Tab. 3-1 Psychosoziale Problembereiche bei Tumorerkrankungen

Belastung durch Krebs und seine Behandlung (bspw. körperliche und seelische Folgeprobleme, psychosomatische Störungen, Funktionseinschränkungen)

Partnerschaft und Familie (bspw. Kommunikation, Rollenänderungen, Sexualität)

Soziale und berufliche Integration (beispielsweise Rückzug, soziale Isolierung, Frühberentung, Arbeitsplatzwechsel, Umsetzung)

Existenzielle und spirituelle Probleme (bspw. Konfrontation mit der eigenen Endlichkeit, Suche nach Sinn, spirituellen, religiösen, philosophischen Erklärungen)

Probleme des Versorgungssystems (bspw. inadäquate Arzt-Patienten-Kommunikation, entpersonalisierte Behandlung, Zeitmangel, fehlende Information, fehlende Intimität)

Funktionelle Störungen (bspw. neuropsychologische Störungen, Polyneuropathie)

Mit dem Konzept der psychosozialen Belastungen (psychosozialer Distress) als sechstes Vitalzeichen wird ein breites Spektrum von belastenden Erfahrungen physischer, psychischer, sozialer oder existenziell/spiritueller Art beschrieben, das im Sinne eines Kontinuums von normalen Gefühlen der Verletzlichkeit, Traurigkeit und Angst bis hin zu Depression und Angststörungen, sozialer Isolation und existenziellen Krisen reicht (Watson & Bultz 2010) (Abb. 3-1).

Abb. 3-1 Das Konzept Belastungserleben in der Psychoonkologie

Auch Ärger und Wut können als Reaktion auf das als ungerecht empfundene Schicksal auftreten und zu ungerechten Reaktionen im sozialen Umfeld führen. Häufig entsteht ein Gefühl des Ausgeliefertseins in Verbindung mit Hilflosigkeit und Ohnmacht gegenüber der Erkrankung und dem medizinischen System. Die Konfrontation mit den Grenzen der körperlichen Unversehrtheit und der Lebenszeit kann eine tiefe Verunsicherung bewirken.

In diesem Zusammenhang ist auch das Thema Scham zu nennen: Scham im Hinblick auf den eigenen Körper, der durch Operation, Bestrahlung, Chemotherapie verändert und verletzt wurde und oft als verunstaltet erlebt wird (beispielsweise Amputation, Stoma, Narben, Haarausfall). Dadurch ist oft auch die Sexualität von Krebspatienten stark beeinflusst. Viele Patienten wünschen sich zwar körperliche Nähe, doch ein verändertes Körpergefühl durch eine Amputation, massive operative Eingriffe oder auch durch eine Antihormontherapie können Unsicherheit und Unbehagen wie auch Libidoverlust zur Folge haben.

Nach aktuellen Untersuchungen wird davon ausgegangen, dass ca. 40–60 % aller onkologischer Patientinnen und Patienten unter hohem Distress leiden (Mehnert et al. 2018). Im Hinblick auf die psychoonkologische Versorgung stehen daher die Forderungen, den Grad der individuellen Belastung bei Krebspatienten durch geeignete Screeningverfahren zu erfassen und das Ergebnis diagnostisch weiter abzuklären, im Vordergrund (AWMF 2014; Herschbach & Weis 2008; Mehnert et al. 2006).

Im Folgenden soll auf einige der zentralen Belastungen und Folgeprobleme bei Tumorerkrankungen noch etwas detaillierter eingegangen werden.

3.2 Spezielle Belastungen


3.2.1 Tumorassoziierte Fatigue


Viele Tumorpatienten fühlen sich während und auch nach Abschluss der Behandlung in ihrer Leistungsfähigkeit stark eingeschränkt. Sie sind körperlich schnell erschöpft und erleben diese Erschöpfung in großer Diskrepanz zu der Zeit vor der Diagnosestellung. Dieses Erschöpfungssyndrom wird in der Fachwelt mit dem Begriff »tumorassoziierte Fatigue« benannt (Weis & Heim 2015). Der Begriff Fatigue leitet sich ab von dem lateinischen Wort »fatigatio«, was wörtlich übersetzt »Ermüdung«, »Erschöpfung« bedeutet. Im Vergleich zu Gesunden, die ihre Müdigkeit als ein normales, mit dem Tagesablauf und seinen Aktivitäten verbundenes Gefühl erleben, wird die tumorbedingte Fatigue als ein ungewöhnlicher Erschöpfungszustand charakterisiert, der nicht im Verhältnis zu vorangegangenen Aktivitätsänderungen steht und auch durch ausreichend Schlaf kaum gebessert werden kann (NCCN 2020). Die Betroffenen beschreiben die empfundenen Störungen und Einschränkungen sehr individuell, z. B. über Müdigkeit, Lustlosigkeit, Antriebslosigkeit, Konzentrationsstörungen, Hoffnungslosigkeit, Reizbarkeit oder seelische Erschöpfung (Harrington et al. 2010). Die tumorbedingte Fatigue beeinträchtigt die Lebensqualität und erschwert den...