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Feuer ins Herz - Wie ich lernte, mit der Angst zu tanzen

Feuer ins Herz - Wie ich lernte, mit der Angst zu tanzen

Gerald Ehegartner

 

Verlag J. Kamphausen, 2021

ISBN 9783958835191 , 280 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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15,99 EUR

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Feuer ins Herz - Wie ich lernte, mit der Angst zu tanzen


 

EINE SCHNAUZE VOLLER LIEBE


»Aufstehen! Willst du den ganzen Tag verschlafen? Der Kaffee ist schon fertig.«

»Was? Moment, wo bin ich? Was ist los?« Ich saß aufrecht im Bett und versuchte mich zu orientieren.

»Schon sechs Uhr morgens und du schläfst immer noch. Ist das dein Ernst?«

Kannte ich die Stimme nicht? Ich schüttelte mich und blinzelte. Es war frühmorgens. Die ersten Lichtstrahlen hatten sich ihren Weg durch die Schlitze meiner Jalousien gebahnt.

Die Silhouette eines Mannes mit Cowboyhut und einem buschigen Schweif am Hinterteil. Ein breites Grinsen, der kleine Spalt zwischen den Vorderzähnen, der Geruch von Lagerfeuer, Salbei, Rosen und …

»Ko-ko-ko-Kojote? Old Man Coyote – du? Echt?« Ich klopfte mir auf den Kopf, zwickte und schüttelte mich.

»Wer denn sonst? Dein Freund und Helfer.«

»Ich fass es nicht, du bist es wirklich! Mein komischer, äh, kosmischer Freund?«

Ich sprang auf und rannte wie ein kleiner Junge in die offenen Armen des stattlichen Mannes, der über das ganze Gesicht strahlte. Ich konnte und wollte ihn nicht mehr loslassen.

»Ups, kannst du dich anstecken, Coyote?«

»Ja, mit dem Virus der Liebe.«

Er lachte, ein Lachen, das noch viel ansteckender war, als es das Virus sein konnte.

»Wenn ihr euch fürchtet, seid ihr schon geschlagen. Die Furcht macht Teufel aus Engeln, sie sieht nie richtig.

Sei gegrüßt, ich bin’s. Der alte und ewig junge Mann.«

Ich weinte und lachte vor Freude. Wir tanzten vom Schlafzimmer ins Wohnzimmer. Kurz wurde mir schwummerig, ich musste mich setzen. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis ich mich wieder gefasst hatte.

»Coyote, was machst du hier? Außer Shakespeare zu zitieren?«

Tränen der Freude liefen über meine Wangen. So sehr hatte ich diesen verrückten Alten vermisst. Oft hatte ich an ihn gedacht, seinen Namen gerufen. Gespürt hatte ich ihn, manchmal intensiv, und ich wusste, er half mir in schwierigen Momenten. Aber dann war Coyote wieder wie vom Erdboden verschluckt gewesen.

»Noah, ich will dich ein wenig an das Leben erinnern. Die Zeiten sind ja nicht so einfach im Moment. Also, im eigentlichen Moment immer. Sie sind nur derzeit nicht so einfach, wenn man sich nicht auf den Moment einlässt.«

»Wo hast du die ganze Zeit gesteckt? Was macht man als Kojote?«

»Ach, ich bin einfach. Und dabei nehme ich viele Rollen ein. Du weißt schon. In diesem Theater suche ich mir meist eine Rolle, die bester Zeitvertreib mir ist. Das wechselt oftmals überaus geschwind! Gern bin ich hier auf Erden bei einer meiner Herden.«

»Ich bin Teil einer Herde?«

»Ja. Und kein Fohlen mehr. Das ist schön.«

»Und auch kein Wallach. Das ist auch schön.«

»Übertreib mal nicht. Jetzt verwandeln wir dich wieder in ein Wildpferd, damit sie dich nicht reiten können.«

»Wen meinst du genau?«

»Egal, eigentlich ist es der Teil, der an die Trennung glaubt, der dich stetig reiten möchte. Dein kleines Ich. Seine Peitsche ist schrecklich, die Sporen auch. Und es will nur deine Kraft. Wirf es ab.«

»Meine Freunde haben dich als John Fox vermisst. Immer wieder fragen sie, wann du wiederkommst.«

»Nun bin ich da, in Quarantäne.«

»Nein, hier ist keine. Einige Nachbarorte sind in Quarantäne. Auch ein paar Täler. Und nebenan das Bundesland Tirol. Die Grenze zu Deutschland ist geschlossen. Hier ist alles streng, in Quarantäne sind wir aber noch nicht.«

»Ich bleibe jetzt bei dir. Mein Koffer steht ja noch im Raum. Ich hoffe, er ist keine olfaktorische Belastung.«

»Oh, das warst also du. Der Donner?«

Coyote lachte.

»Und wie komme ich zu dieser Ehre, dass du bei mir einziehst? Noch dazu mit so einem gewaltigen Koffer?«

»Du hast mir gefehlt, mein Steckenpferd. In dir steckt so viel. Aber du musst noch lockerer werden. Manchmal kommst du daher, als hättest du einen Stecken verschluckt. Sei nicht allzu steif.«

Coyote hüpfte auf einem imaginären Steckenpferd durch die Wohnung. Schlief ich noch und träumte ich, dass ich aufgestanden war?

Ich öffnete meine Augen ganz weit. Dann schloss ich sie, zählte bis drei und öffnete sie wieder. Immer noch sah ich diesen verrückten Coyoten. Ich schlich ins Bad, zählte bis zehn und kam zurück. Old Man Coyote war noch da. Im Pyjama schlurfte ich raus auf den Balkon, zündete mir eine Zigarette an und blickte in die Wohnung. Ich konnte es nicht fassen. Er war wirklich wieder bei mir.

Ich könnte die ganze Welt umarmen, dankte dem Universum, Gott, dem Leben.

Und Coyote? Er drehte Musik auf und tanzte wilder als erlaubt war. Was sollte ich Franziska erzählen? Würden meine Freunde von ihm erfahren? Bert? Welche Meinung hatte Kojote zum ersten weltweiten Shutdown der Menschheitsgeschichte? Was war von den nächsten Monaten und Jahren zu erwarten? Warum kam er gerade jetzt? Als Sterbebegleiter? Fragen über Fragen …

»Kaffee gefällig?« Coyote hatte bereits Kaffee aufgestellt und servierte in einem übergroßen Kaffeehäferl das pechschwarze Getränk. Zuerst dachte ich, er hätte schwarzen Pudding auf den Tisch gestellt.

»Wir Cowboys lieben starken Kaffee. Der Löffel soll Widerstand spüren.«

»Coyote, was hab ich nur ohne dich gemacht? Bist du per oder ohne Anhalter durchs Universum zu mir gereist?«

»Ich brauche weder Anhalter noch Zuhälter.«

Wieder verschmolzen Realität und Wahrnehmung zu einem eigenartig köstlichen Ereignis.

Ich blickte Coyote von der Seite an. Hatte er sich verändert? War er älter geworden? Oder jünger? Bei ihm wusste man ja nie. Er wirkte frisch und vital wie eh und je. Die Krise schien ihm nichts anzuhaben.

»Du siehst gut aus, Noah. Etwas gealtert. Aber so ist das nun mal unter der Sonne. Hast vieles gut gemeistert, so viel ich sehen konnte. Also, ein Gut von mir. Und von Gott würdest du ein Sehr gut erhalten, denn er kennt nur Sehr gut und Gut. Er ist nicht so streng wie ihr selbst es mit euch seid.« Coyote grinste.

»Oh, du hast mich beobachtet?«

»Ja, sicher, immer wieder. Solltest du nicht deinen Klasseneltern einen Fragebogen schicken, um zu erfahren, wie das Fernlernen diese Woche gelaufen ist?«

»Dir entgeht ja nichts.«

Ich schrieb eine kurze E-Mail an die Eltern. Danach sah ich nach, ob Coyote noch da war. Ja, er saß auf meinem Sofa. Anschließend telefonierte ich mit der Klassenelternvertreterin. Ich hatte Glück mit ihr und meiner Klasse, riesiges Glück. Die Gemeinschaft war großartig, die Leistungen der Schüler auch. Meine letzte Klasse hatte ich nur widerwillig abgegeben. Abschiede fielen mir schwer. Fast immer. Ich weinte, sodass Franziska sich schon sorgte, ob wir gleich per Boot in die Mongolei, unser Reiseziel, übersetzen könnten. Dann erschien die neue Klasse auf der Schulbühne und die Kinder eroberten wieder mein Herz. Jetzt waren wir in der vierten Mittelschulstufe, der achten Schulstufe insgesamt, gelandet und seit Kurzem hatte ich nur noch per Internet Kontakt zu den Schülern. Einige erhielten somit erstmals in ihrem Leben auch E-Mails. Irgendwie kurz nach Höhlenmalerei, Flaschenpost und Brief musste dieses langweilige Etwas erfunden worden sein. Generell konnten sich die Jugendlichen keine Welt ohne Internet vorstellen, waren sie doch zirka zehn Jahre nach Einführung des World Wide Webs auf die Welt gekommen. Mir ging’s ja ähnlich.

»Ich mag’s, dass du deinen Unterricht etwas mehr digitalisierst«, meinte Coyote. »Der Online-Rechtschreibtrainer ist wirklich gut. Du ersparst dir Arbeit beim Individualisieren.«

Ich war platt. »Du findest das gut? Echt, Coyote?«

»Klar. Adler und Kondor kommen wieder zusammen. Diese Lernformen haben Zukunft, sie werden vermehrt eingesetzt und können hilfreich sein. Aber nur eingebettet in etwas Größeres.«

Er sprach das Aber bedeutungsschwanger und langgezogen. »Deswegen bin ich hier bei dir. Die Zeit verlangt Großes, weil Großes vor sich geht. Etwas Neues wurde nun tatsächlich eingeläutet. Ich hab’s dir damals schon versprochen, nicht wahr?«

»Neues muss nicht immer Gutes heißen. Manche haben derzeit eher Angst vor einem tiefen Fall.«

»Ein tiefer Fall führt oft zu höherem Glück

»Woher kommt...