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Die verbotenen Küsse des Wikingers

Die verbotenen Küsse des Wikingers

Meriel Fuller

 

Verlag CORA Verlag, 2021

ISBN 9783751500456 , 256 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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4,49 EUR

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Die verbotenen Küsse des Wikingers


 

1. KAPITEL

September 1069 – der Nordosten von Lincolnshire

Das Sonnenlicht fächerte über das Wasser, ein Film aus gleißendem Gold überzog die blaugrünen Tiefen. Hell glitzernde Flecken zwangen Gisela dazu, die Augen zusammenzukneifen, als sie in ihrer Arbeit innehielt. Mit einer Hand berührte sie die Schließe am Hals und vergewisserte sich, dass die lange Nadel das Leinentuch zusammenhielt, das sie sich um Kopf und Schultern gelegt hatte. Traurig starrte sie über das Wasser zu den Langbooten, die soeben in die Mündung des Flusses bogen. Ihr sank das Herz. Oh nein, nicht das noch. Nicht die Dänen!

Sie ließ die Griffe der Holzeimer los, richtete sich auf und rieb sich die geröteten Hände, die von den Hanfstricken gezeichnet waren. An den Fingern hatten sich Blasen gebildet: weißliche, mit Flüssigkeit gefüllte Wölbungen, die schon bald schmerzen würden. Die Schiffe kamen näher. Rötliche Rundschilde, deren Buckel golden glänzten, zierten die Bordwände auf beiden Seiten. Die Segel hatte man eingeholt, und die Männer saßen an den Ruderriemen, um die schmalen, leichten Schiffe flussaufwärts zu bringen. Aufgezogenen Perlen gleich schimmerten die Wassertropfen in der leicht dunstigen Luft, wann immer die Riemenblätter auftauchten und wieder in den Wellen verschwanden. Ein tiefer, rhythmischer Gesang hallte über das Wasser. Die dröhnenden Laute überlagerten sich eigenartig mit dem leisen Schnattern der Watvögel, die durch das salzige Marschland stakten, das sich bis zu den Flussufern erstreckte. Die Strömung des Flusses war stark, das Wasser von bräunlichen Wirbeln bestimmt. Angst erfasste Gisela, heiß und sengend wie eine Brandwunde. Mit pochendem Herzen benagte sie ihre Unterlippe, zwang sich indes, ruhig und gleichmäßig zu atmen. Ihnen dreien würde nichts geschehen. Dafür würde sie schon sorgen.

Unweit von ihr brandete Jubel auf. Dann noch einmal. Einer nach dem anderen erblickten die Männer und Frauen, die in ihrer Nähe arbeiteten, die Schiffe und setzten die Eimer ab. Das trübe, salzige Wasser schwappte über die Ränder. Manch einer reckte jubelnd die Faust in die Höhe, viele wandten sich mit einem Lächeln auf den Lippen einander zu, klopften sich auf die Schultern, berührten einander an den Händen. Jemand zupfte an Giselas Ärmel. „Wir sind gerettet!“, rief die Frau, und ihre knochigen Finger bohrten sich in Giselas Unterarm. „Die Dänen werden uns helfen! Die Dänen werden diese Normannen fortjagen, wie Hunde, die den Schwanz einziehen!“

Gisela setzte ein breites Lächeln auf, in der Hoffnung, genauso freudig-aufgeregt zu wirken wie die Frau. Diese Leute konnten ja nicht ahnen, wer sie wirklich war! Sie musste auf der Hut sein. Wie froh all diese Menschen bei der Ankunft der Dänen waren! Sie konnten es nicht erwarten, die Normannen endlich los zu sein. Wie mochten sich die Leute wohl verhalten, wenn sie wüssten, dass eine Normannin unter ihnen war, die wie alle anderen Eimer mit salzigem Wasser schleppte? Man würde sie gewiss umbringen! Mit einem Mal wurde Gisela leicht schwindelig, daher bewegte sie schnell ihre Zehen in den groben Lederstiefeln und versuchte, das Gleichgewicht zu halten.

Die Frau sagte noch etwas zu ihr und stupste sie an, ein verschwörerisches Lächeln auf den Lippen. Doch auf die Schnelle verstand Gisela den Wortlaut nicht und konnte ohnehin im Augenblick keinen klaren Gedanken fassen. Obwohl sie schon längere Zeit auf englischem Boden verbracht hatte, hatte sie Mühe, die fremdartigen angelsächsischen Vokale zu verstehen. Daher sprach sie möglichst wenig, hielt die Stimme bewusst gesenkt und hoffte stets, sich nicht mit ihrem Akzent zu verraten. Sie durfte ihre wahre Identität nicht preisgeben. Ihrer Schwester Marie erging es nicht anders, auch sie verstand nicht viel von dem, was um sie herum gesprochen wurde. Aber ihr Vater war darin besser bewandert, hatte er diese barbarische Sprache doch bereits als Kind gelernt.

„Wie?“, machte die Frau mit einem gackernden Laut und stieß Gisela erneut den Ellenbogen in die Seite, sodass die junge Frau einen halben Schritt zur Seite machen musste. Die Alte hatte die Stirn in Falten gelegt, in denen sich kleine Salzkrusten gebildet hatten. „Siehst du das etwa anders, Mädchen? Heute Nacht wird so mancher seinen Spaß in den Laken haben, das lass dir gesagt sein!“

Die Frau spielte natürlich auf die Dänen an. Diese Männer standen schon immer in dem Ruf, den Frauen nachzustellen, doch nicht immer beruhte das berüchtigte Umwerben auf gegenseitigem Einvernehmen. Gisela war zu Ohren gekommen, dass einige Frauen an ihren Zöpfen zu den Langbooten der Wikinger geschleift worden waren. Manch ein Däne hatte sich eine schreiende und hilflos zappelnde Frau einfach über die pelzbesetzte Schulter geworfen und in seine Heimat in den nordischen Landen entführt, um sie dort zu seiner Braut zu erklären. Ihr schauderte. England war ein heidnisches Land, aber was mochte es mit dem Land auf sich haben, aus dem die Dänen kamen? Dort ging es bestimmt noch viel rauer zu, da war sie sich sicher.

„Eimer nehmen und weitermachen!“ Ein älterer Mann mit grauem Bart war am Ufer aufgetaucht und fuhr die Arbeiter an. „Und bildet euch nicht ein, dass ihr heute früher Schluss machen könnt! Hier geht’s so lange weiter, wie die Sonne am Himmel steht!“ Sein forschender Blick haftete auf Gisela. Missbilligend presste er die Lippen zusammen. Sie ahnte, was dieser Mann dachte: Etwas an dieser Arbeiterin, die zuletzt zu ihnen gestoßen war, kam ihm gewiss seltsam vor – an dieser jungen schlanken Frau, die ihn vor einigen Tagen gefragt hatte, ob er Arbeit für sie habe. Gisela sprach stets leise, hielt den Kopf gesenkt, aber wann immer sie den Aufseher ansah, ahnte sie, dass etwas Herausforderndes in ihren leuchtenden blauen Augen lag. Sie konnte nur hoffen, dass der Mann nicht argwöhnte, sie könnte eine Adlige von höherem Stand sein, nicht eine mittellose Bäuerin, die verzweifelt darauf aus war, ein paar Münzen zu ergattern. Sie wusste, dass sie zu langsam antwortete, sobald er etwas zu ihr sagte. Zudem befürchtete sie, zu viel von ihrer inneren Unruhe preiszugeben, wenn sie wieder einmal an ihrem Kopftuch herumzupfte, das sie wie einen Talisman um den Hals trug. Aber sie war nun einmal aufgeregt. Letzten Endes war sie eine tüchtige Arbeiterin und vertraute darauf, dass der Aufseher sie nicht fortschicken würde.

„Hey, du da!“ Er drohte Gisela mit geballter Faust. „Geh in die Marsch und hilf den Kindern, die Salzsole zu holen, aus den Senken dort! Die müssen geleert werden, bevor die Flut kommt!“

Sie drehte den Kopf und schaute hinüber zu dem zäh zerfließenden Schlick, der sanft zu dem schmalen, schnell fließenden Priel in der Mitte der Flussmündung abfiel. Ein Gefühl von Beklommenheit machte sich in ihrem Bauch bemerkbar. Die Gezeitenströmung war inzwischen träge und würde sich alsbald umkehren. Das Wasser hatte sich fast ganz aus der Flussmündung zurückgezogen und große Flächen der nördlichen See freigelegt, sodass in weitem Umkreis das von Schlick beherrschte Watt zu sehen war. Die feuchte, bläulich-braune Fläche, unterbrochen von borstigem Riedgras, schillerte im Licht des frühen Abends. Gisela sah, wie die Kinder zum Rande des Wassers strömten, zu den rechteckigen Lachen, die mit der kostbaren Salzsole gefüllt waren. Aber wieso schickte der Aufseher sie dorthin? Die Kinder wogen nur halb so viel wie sie und waren imstande, über die sorgsam ausgelegten Holzplanken zu huschen, ohne nach einem Fehltritt in dem trügerischen, stinkenden Schlick zu versinken.

„Aber … gewiss halten mich die Planken nicht …?“ Ihr versagte die Stimme. Eine lange Strähne ihres sandfarbenen Haars entwand sich der Enge des Kopftuchs und tanzte in der frischen Luft. Voller Ungeduld schob Gisela die Strähne zurück unter den Stoff.

Die Augen des bärtigen Sachsen verengten sich. Er war ein großer, stämmiger Mann, der wie selbstverständlich davon ausging, dass man seine Anordnungen befolgte. „Weigerst du dich etwa, dort hinzugehen, Mädchen?“ Er verschränkte die Arme vor der breiten Brust, wobei das Leder seines Wamses knitterte. „Du bekommst keine einzige Münze von mir, wenn du nicht gehst!“

Einige der anderen Arbeiter bewegten sich langsamer und schauten zu Gisela herüber. Eine flüchtige Röte stieg ihr in die Wangen. Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, war das Letzte, was sie wollte. „Nein, nein, ich werde es tun!“, sagte sie und schloss die Hand um den Hanfstrick ihres Eimers. Bislang war die Arbeit körperlich anstrengend gewesen, denn man musste die vollen Eimer zu den Unterständen schleppen, wo die Sole so lange zum Sieden gebracht wurde, bis das begehrte Salz übrig blieb. Die Arbeit verlangte einem viel ab und war eintönig, aber bislang war alles gefahrlos verlaufen. Doch was nun? Allein bei der Vorstellung, ins Watt hinaus zu müssen, regte sich Furcht in ihr. Aber um diese Furcht zu unterdrücken, machte sich Gisela bewusst, warum sie die harte Arbeit überhaupt angenommen hatte. Sie wollte nämlich genug Geld verdienen, um damit das Fährboot bezahlen zu können, das nach Norden fuhr. Denn dort wollte sie Richard suchen.

Mit geübtem Auge ließ Ragnar Svendson den Blick über den unregelmäßigen Uferverlauf des Flusses schweifen, hielt er doch Ausschau nach einer Stelle, an der die Schiffe anlegen konnten. Er sprang vom Kranbalken, stellte sich auf das sachte Schwanken des Schiffskörpers ein und ging mit langen Schritten vorbei an den Männern, die sich in die Riemen legten. Schließlich gelangte er zu seinem Freund, der am Dollbord lehnte.

„Was denkst du?“, fragte Eirik und schaute kurz auf, als Ragnar zu ihm...