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Ein Chirurg lernt die Liebe

Ein Chirurg lernt die Liebe

Susan Carlisle

 

Verlag CORA Verlag, 2021

ISBN 9783751505277 , 130 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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2,49 EUR

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Ein Chirurg lernt die Liebe


 

1. KAPITEL

Tanner Locke brauchte die Hilfe einer Heiratsvermittlerin.

Whitney Thomasons Hand hatte ein wenig gezittert, als sie vor zwei Tagen den Telefonhörer auflegte. Das war ein unerwarteter Gruß aus der Vergangenheit. Warum sollte jemand wie Tanner ihre Hilfe benötigen? Vor einer Stunde hatte er ihr eine Textnachricht geschickt, in der er sie bat, sich mit ihm auf einem kleinen Flugplatz außerhalb von San Francisco zu treffen.

Als professionelle Heiratsvermittlerin musste sie schon manches Mal Zugeständnisse machen, jeder Kunde war anders, aber bisher hatte noch niemand verlangt, dass sie ihn in der Dämmerung auf einem Flugplatz traf. Ihm sei etwas dazwischengekommen, sodass er nicht in ihr Büro kommen könne, schrieb er. Er würde es wirklich zu schätzen wissen, wenn sie zum Flugplatz käme.

Sie hatte nur zugestimmt, weil sie wusste, welchen gesellschaftlichen Status er hatte. Und obwohl sie den Flugplatz nicht kannte, ließ sie sich darauf ein. Den Dr. Tanner Locke als Kunden zu haben war bestimmt nicht schlecht fürs Geschäft. Aus moralischen Gründen war es sicher nicht angebracht, den Namen zu veröffentlichen, aber sie könnte immerhin sagen, einer der wichtigsten Mediziner der Stadt würde zu ihren Klienten zählen. Vielleicht verschaffte er ihr ein paar neue Kunden. Allein dafür lohnte der Weg zu diesem Flugplatz.

Er war der „Mr. Big“, als sie Studenten an der Berkeley-Universität waren, und alle Mädchen hatten ein Auge auf ihn geworfen, sie auch. Aber sie war sicher nie sein Typ. Er bevorzugte große, blonde, attraktive Mädchen, sie war dagegen ein wenig pummelig, dunkelhaarig und unscheinbar. Aber immerhin kannte sie jetzt schon sein Beutemuster.

Sie hatte Tanners Namen in den vergangenen Jahren öfter in der Zeitung gelesen. Er hatte sich inzwischen einen Namen als Chirurg, speziell auf dem Bereich der Herztransplantationen, gemacht. Also warum hatte ein so gut aussehender und erfolgreicher Mann Schwierigkeiten, die passende Frau zu finden? Whitney verdrehte die Augen. Warum wohl? Alle Kunden hatten dieselben Schwierigkeiten. Sie hatten schlicht keine Zeit, die Spreu vom Weizen zu trennen, und ihre Aufgabe war es, Menschen mit demselben gesellschaftlichen Status zusammenzubringen.

Sie bog auf das Gelände des Flugplatzes ein. Noch ein paar Minuten bis zu ihrem Treffen. Würde er sie erkennen? Warum sollte er? Sie hatte eher zu den Studenten gehört, die den Hörsaal füllten, mehr nicht. Außerdem hatte sie sich seitdem sehr verändert. Sie hatte inzwischen acht Kilo abgenommen. Außerdem war es lange her, dass sie in Tanners Gegenwart rot geworden war. Herrje, sie kannte ihn ja nicht mal wirklich.

Sie parkte auf dem Parkplatz vor einem einstöckigen Betonklotz und stellte den Motor ab. Ein glänzender weißer Jet stand auf dem Asphalt vor dem Terminal. Einige Männer wuselten sehr beschäftigt herum. Wollte Tanner irgendwohin fliegen? Ein Wochenende auf Hawaii vielleicht?

Normalerweise führte Whitney die Kennenlern-Gespräche an einem angenehmen und neutralen Ort. Einem Café oder Park. Dort, wo die Kunden nicht ihre stressige Arbeit im Nacken hatten und wo sie sich ein wenig entspannen konnten. Sie hatte festgestellt, dass die Menschen es sehr gern mochten, wenn sich alles um sie drehte, doch wenn es dann ans Eingemachte ging, ans Persönliche, waren sie plötzlich nicht mehr so gesprächig. Männer zum Beispiel verrieten ihr nicht einmal die Hälfte dessen, was sie wissen wollte. Und je erfolgreicher sie waren, desto unsicherer waren sie in der Wahl ihrer potenziellen Partnerin.

Als sie plötzlich die Sirene eines Krankenwagens hörte, blickte sie in den Rückspiegel. Das Geräusch verstummte abrupt, als das Fahrzeug auf das Gelände fuhr und im normalen Tempo bis zu dem Jet fuhr. Eine Gruppe Männer in grünen Kitteln stieg aus.

Was war da los?

Einer der Männer löste sich aus der Gruppe und kam auf sie zu. Das musste Tanner sein. Es war Jahre her, seit sie ihn das letzte Mal gesehen hatte. Er hatte sich verändert. Seine Schultern waren breiter geworden, und sein Gesicht hatte seine Jugendlichkeit verloren, seine Züge waren markanter geworden. Er war immer noch ein extrem gut aussehender Mann. Vielleicht attraktiver denn je. Mit weit ausholenden Schritten kam er auf sie zu, und sein Gang verriet, dass er sich auf seinem Terrain sehr sicher fühlte.

Sie stieg aus dem Auto, schloss die Tür und wartete.

„Whitney?“

Er erkannte sie nicht. Sollte sie jetzt erleichtert oder enttäuscht sein? Sie streckte ihre Hand aus, als er eine Armlänge von ihr entfernt war. „Whitney Thomason.“ Tanner nahm ihre Hand, zog Whitney an sich und umarmte sie.

Was machte er da?

Ihr Gesicht wurde in seine Achselhöhle gedrückt. Er roch nicht nach Desinfektionsmittel und Krankenhaus, eher sauber, warm und männlich. Sie war so überrascht, dass ihre Hand auf seiner Taille leicht zitterte. Er ließ sie so schnell wieder los, wie er sie an sich gezogen hatte. Tanner schaute über seine Schulter. „Machen Sie einfach mit. Nur Vornamen, keine Titel bitte.“

Sie sah, wie die anderen hinter ihm zu ihnen rüberschauten. Es schien eher eine verdeckte Operation zu sein als ein zwangloses Kennenlern-Treffen. Sie trat einen kleinen Schritt zurück. „Okay, ich bin Whitney.“

„Ich bin Tanner. Mir wäre es wichtig, dass das alles unter uns bleibt.“ Seine dunklen Augen sahen sie beschwörend an.

„Ich verstehe. Ich kann Ihnen versichern, dass ich sehr diskret bin.“ Die meisten wollten keinen Wirbel machen. Sie wollten auf keinen Fall, dass jemand mitbekam, dass sie in ihrem Leben Hilfe benötigten oder dass jemand denken könnte, sie würden es nicht selbst hinbekommen. Was auch immer ihre Gründe waren, Whitney respektierte ihre Wünsche. Aber warum traf er sich dann mit ihr inmitten seiner Kollegen? „Warum dann hier?“, fragte sie und nickte in Richtung der Gruppe am Flugzeug.

„Ich wusste nicht, dass ich ein Herz bekommen würde, und ich dachte, wir könnten uns auf dem Weg treffen.“

„Ein Herz bekommen?“

„Ich bin Herzchirurg, ich transplantiere Herzen, und wir müssen jetzt eines abholen.“

„Oh.“ Ach, so war das.

Er blickte wieder über die Schulter, als der Motor des Flugzeuges startete. „Also, was benötigen Sie von mir?“

Er wollte es hier und jetzt machen?

„Normalerweise benötige ich ungefähr eine Stunde für die Informationen, damit ich wirklich den Typ Frau finde, der am besten zu Ihnen passt.“

Tanner schaute zu seinen Kollegen, die gerade das Flugzeug beluden. „Ich habe keine Stunde, um mich zu unterhalten. Ich habe einen Patienten, der dringend ein neues Herz braucht.“

„Dann schlage ich vor, dass wir den Termin verschieben.“ Whitney war im Begriff, die Autotür zu öffnen.

„Ich möchte es aber jetzt hinter mich bringen. Ich habe bald ein wichtiges Gespräch mit dem Klinikvorstand, und es wird Zeit, dass ich unter die Haube komme. Ich muss eine Frau finden. Und bei meinem Arbeitspensum weiß ich wirklich nicht, wann ich wieder Zeit haben werde, mich mit jemandem zu unterhalten.“ Aus seiner Stimme klang die pure Verzweiflung, und sie war sicher, dass das nicht häufig der Fall war. „Ich stelle mir eine Frau vor, die auf sich aufpassen kann, sich in Gesellschaft bewegen kann, die Mutter meiner Kinder sein möchte und die natürlich auch meiner Karriere förderlich ist.“

Wirklich? Das war alles? So etwas wie Liebe hatte er gar nicht erwähnt. Das müsste man ändern. „Das sind ganz ordentliche Anforderungen. Ich muss meine Kunden schon ein bisschen kennen, damit ich weder seine Zeit noch die der potenziellen Partnerin verschwende.“

„Hey, Tanner!“ Der Mann, der als Letzter das Flugzeug besteigen wollte, rief nach ihm. „Wir müssen los, das Herz wartet auf uns.“

Tanner schaute wieder zu ihr. „Der Patient wartet seit Monaten auf dieses Herz. Ich muss dafür sorgen, dass er es so schnell wie möglich bekommt. Ich habe gehört, dass Sie die Beste in der Stadt sind. Zeigen Sie, was Sie können, ich bin sicher, dass Sie jemanden für mich finden werden. Hier sind meine Kontaktdaten.“ Er gab ihr eine Visitenkarte. „Rufen Sie mich an, sobald Sie fündig geworden sind. Und bleiben Sie bitte stehen. Ich werde Ihnen jetzt einen Kuss auf die Wange geben, wegen der Jungs“, er nickte Richtung Flugzeug. „Die sollen glauben, dass Sie meine Freundin sind.“ Bevor Whitney auch nur protestieren konnte, streifte er mit seinen Lippen ihre Wange und lief zum Flugzeug.

Der Mann hatte Nerven.

Minuten später sah Whitney, wie das Flugzeug abhob und am nächtlichen Himmel verschwand. Irgendwie war der Tanner, den sie an der Uni aus der Ferne so verehrt hatte, an diesem Abend zu einem Normalsterblichen geworden. Und dennoch kannte sie weder den neuen noch den alten Tanner. Wenn sie nun eine Frau für ihn finden würde, nähme er sich dann wirklich Zeit für sie, oder war ihm nur daran gelegen, dass sie die Liste seiner Anforderungen erfüllte? Whitneys Bestreben war, Liebende zusammenzubringen, aber davon hatte Tanner nichts gesagt. Und es würde auf keinen Fall noch mal körperlichen Kontakt zwischen ihnen geben. Sie arbeitete stets seriös und professionell.

Tanner schaute aus dem Fenster und sah die Frau noch immer neben ihrem kleinen praktischen Kompaktwagen stehen. Sie sah aus wie eine Heiratsvermittlerin. Schlicht gekleidet. Ihre Kleidung war nicht sexy oder aufreizend, eigentlich hätte man ihr Outfit sogar in die Kategorie unsympathisch einordnen können. Ihr Haar war im Nacken zusammengebunden. Er küsste...