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Die Leiche am Westerdeich. Ostfrieslandkrimi

Die Leiche am Westerdeich. Ostfrieslandkrimi

Stefan Albertsen

 

Verlag Klarant, 2021

ISBN 9783965862975 , 200 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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3,99 EUR

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Die Leiche am Westerdeich. Ostfrieslandkrimi


 

6. Kapitel


 

Hilka kochte innerlich, als sie den Golf vor dem Polizeipräsidium von Norden ausrollen ließ. Groot hatte sie vorgeführt und das wurmte sie enorm. Am Rumpf der Leiche gab es eine Stichwunde. Es fuchste sie, dass er diese Spur entdeckt hatte und nicht sie.

Schmollend stieg sie aus. Das Verdeck hatte sie inzwischen zugezogen. Der Himmel erweckte nicht den Eindruck, als würde es lange dauern, ehe es erneut zu regnen anfing. Ihr Blick glitt an der Fassade des zweigeschossigen Gebäudes empor, in dem die komplette Polizei des Ortes untergebracht war.

Das Haus war denkmalgeschützt und wies viele schöne kleine Details auf. Es gab einen großen, zum Markt hin ausgerichteten Giebel. An der Vorderseite waren drei Sandsteinkartuschen angebracht. Zwei davon stellten die Wappen der einflussreichen Familien dar, die es erbaut hatten. Hilka erinnerte sich nicht mehr an die Namen. Auf der dritten Kartusche stand das Baujahr – 1617.

Das Oberlicht direkt über der Eingangstür fiel ihr besonders auf. In ihm waren geschwungene Füllhörner aus weißem Sandstein zu erkennen. Die Motive gefielen ihr. Für einen Moment blieb sie stehen und ließ das Gebäude auf sich wirken, ehe sie die Stufen vor dem Eingang überwand und eintrat.

Im Inneren war es still. Kein Wunder, denn die meisten Kollegen befanden sich am Fundort der Leiche oder fuhren Streife. Zwei uniformierte Beamte waren zugegen.

Die Frau, groß und schmächtig mit dichten dunklen Augenbrauen, die sich gegen die blasse Haut deutlich abhoben, goss einige Pflanzen, die in der Fensterbank ihr Dasein fristeten. Sie sah gemächlich auf und nickte Hilka zu, wobei sie sich nicht einmal bemühte zu lächeln.

Der andere Beamte war energiegeladener. Der junge Mann federte vom Stuhl hoch und war blitzschnell am Tresen, der den Eingangsbereich von den Schreibtischen und Arbeitsstationen abgrenzte.

»Guten Morgen. Wie kann ich Ihnen helfen?« Das Namensschild auf seiner Brust wies ihn als Rainer Dyssen aus. Die Dienstgradabzeichen waren die eines Polizeimeisters.

Gute Frage. Im Grunde genommen weiß ich gar nicht, was ich hier will.

Offiziell trat sie ihren Dienst erst am nächsten Tag an. Die Ereignisse der letzten beiden Stunden hatten alles über den Haufen geschmissen. In ihr war eine Unruhe erweckt worden, die sie hierhergetrieben hatte. Sie hatte das Bedürfnis, irgendetwas zu unternehmen. Und wenn sie sich nur bei ihren Kollegen im Präsidium vorstellte. Sie holte den Dienstausweis hervor.

»Ich bin Hilka Martens. Man erwartet mich zwar erst morgen, aber ich wollte mich heute schon mal vorstellen.«

Dyssen richtete sich kerzengerade auf, als hätte er einen Besenstil verschluckt. »Oh, Frau Martens, ich meine … Frau Kommissar Martens … wir … also ich … wir haben Sie heute noch gar nicht erwartet.«

Hilka setzte ihr freundlichstes Lächeln auf. Der Blick des Polizeimeisters irrlichterte umher. Die Kollegin am Fensterbrett war ihm keine wirkliche Hilfe, denn sie schien das Geschehen nicht im Geringsten zu interessieren. Die Pflanzenpflege war wichtiger.

»Das ist vollkommen in Ordnung«, entgegnete die Kommissarin. »Eigentlich wollte ich erst morgen hier aufschlagen.«

Die Worte wirkten. »Ah ja, jetzt fällt es mir ein. Ludger … ich meine, Herr Vogt hat vorhin angerufen. Sie waren bei dem Leichenfund dabei, nicht wahr?«

»Genauer gesagt, bin ich eine der Personen, die den Toten entdeckt haben«, korrigierte sie.

Dyssen schüttelte den Kopf. Er war nicht sonderlich groß. Hilka schätzte ihn auf knapp eins siebzig, womit er einige Zentimeter kleiner war als sie.

Er strich sich durch sein kurzgeschnittenes, rostrotes Haar, ehe er antwortete. »Dann haben Sie ja einen ganz tollen ersten Eindruck von unserer Gegend gewonnen. Tut mir wirklich leid für Sie.«

Hilkas Lächeln wurde breiter. »Das macht nichts, ich bin weitaus Schlimmeres gewohnt. Hamburg ist nicht gerade ein Ort, an dem man als Polizist zart besaitet sein darf.«

Sie sah sich demonstrativ um. »Obwohl ich erst morgen anfangen soll, würde ich mich doch schon einmal gerne hier umsehen. Vielleicht erhalten wir auch schon die ersten Infos von der Spurensicherung. Die Kollegen kamen gerade an, als ich aufbrach.«

»Oh ja, natürlich, kein Problem. Ich führe Sie zu den Büros des KED.«

Er nickte der Hobbygärtnerin an der Fensterbank kurz zu, ehe er den Tresen umrundete und Hilka zu einer Treppe brachte, die in den ersten Stock führte.

»Die Kollegin hat wohl nicht nur die Ruhe weg, sondern auch einen grünen Daumen, was?«, fragte sie.

Dyssen grinste. »Lassen Sie sich nicht täuschen. Okka wirkt vielleicht phlegmatisch, aber sie ist auf Zack. Sie zeigt es nur nicht immer.« Hilka ließ die Worte kommentarlos stehen.

Im ersten Stock gelangten sie in einen Büroraum mit zwei Schreibtischen. Mit Erleichterung stellte die Kommissarin fest, dass es eine moderne Computeranlage mit Flachbildschirmen gab. In der Ecke entdeckte sie zwei Aktenschränke. Sie fragte sich, was für uralte Unterlagen darin vor sich hin moderten. Im hinteren Teil des Raumes lag eine kleine Küche mit Kaffeemaschine und Mikrowelle.

Zwei Türen führten nach links und rechts. Dyssen deutete auf die erste. »Das ist die Toilette. Sorry, wir haben hier oben nur eine einzige, also sowohl für Männer als auch für Frauen.« Er lief leicht rötlich an. War ihm das Thema etwa peinlich?

»Und die andere Tür?«, fragte Hilka.

»Das ist das Büro für den Leiter des KED. Ab morgen wird das Oberkommissar …«

»… Axel Groot sein, ich weiß, ich weiß«, beendete sie Dyssens Satz. Es fiel ihr schwer, nicht die Augen zu verdrehen.

»Ich Trottel. Den haben Sie ja auch schon kennengelernt.«

»Kann man wohl laut sagen.« Die letzten Worte sprach Hilka leise aus.

»Das hier wird Ihr Reich werden, Frau Martens.«

»Und wem gehört der zweite Schreibtisch?«

»Vorerst niemandem«, entgegnete der Kollege. »Tatsächlich werden Sie und Herr Groot zunächst, also bis auf Weiteres, den kompletten Kriminalermittlungsdienst repräsentieren.«

Hilka runzelte die Stirn. »Nur zwei Personen?«

Dyssen wirkte, als fühle er sich nicht wohl in seiner Haut.

»Ich bin nur ungern der Übermittler schlechter Nachrichten«, sagte er, »aber so sieht es wohl aus. Die Kollegin Rickmers hat sich versetzen lassen.«

»Weshalb das denn?«

Er lachte bitter auf. »Anscheinend war ihr hier nicht genügend los.«

Ist das wirklich möglich?, schoss es Hilka durch den Kopf. Ein Wutschrei versuchte, sich den Weg ins Freie zu bahnen, doch sie biss die Zähne fest aufeinander und wandte sich ab.

Die verehrte Kollegin Rickmers haut von hier ab, weil man sich hier am Arsch der Welt befindet, und ich lande stattdessen auf diesem trostlosen Posten.

Nachdem sich ihr Pulsschlag wieder beruhigt hatte, drehte sie sich um und bemerkte den besorgten Blick des Kollegen. Augenscheinlich war es ihr doch nicht gelungen, die Regung vollständig vor ihm zu verbergen. Bevor sie in die Verlegenheit kam, eine Ausrede zu finden, schlug eines der Telefone auf dem Schreibtisch vor ihr an.

Dyssen, der näher stand, griff nach dem Hörer. »Kriminal­ermittlungsdienst Polizeipräsidium Norden, Dyssen am Apparat«, spulte er die Worte ab. Er lauschte einen kurzen Moment, sah auf Hilka und errötete.

»Augenblick bitte«, sagte er mit heiserer Stimme und schaltete das Telefon stumm. »Ich bitte um Entschuldigung. Vielleicht hätten eher Sie rangehen sollen.«

Die Kommissarin schmunzelte. Irgendwie war der Kollege knuffig. Seine unbeholfene Art hatte etwas Rührendes an sich.

»Schon in Ordnung. Eigentlich bin ich noch gar nicht offiziell im Dienst. Worum geht es denn?«

»Ein Kollege von der Spurensicherung mit den neuesten Erkenntnissen zu Ihrem Fall.«

Hilka nahm den Apparat und schaltete die Leitung wieder frei.

»Martens hier. Was gibt es?«

Am anderen Ende schnaufte jemand, als hätte er einen Gewaltmarsch hinter sich. So schien es jedenfalls.

Es dauerte ein paar Sekunden, bevor sie merkte, dass es nicht der Mann war, der diese komischen Laute von sich gab, sondern dass der kräftige Wind am Deich sie verursachte.

»Wie bitte? Können Sie das nochmal wiederholen?«, rief sie in die Sprechmuschel.

»Entschuldigung, ich habe mich aus dem Wind gedreht, Frau Martens. Michaelis hier, von der Spurensicherung. Ich wollte nur ein paar Dinge, die wir mittlerweile über den Toten in Erfahrung gebracht haben, an Sie weitergeben. Ein ausführlicher Bericht folgt natürlich.«

»Klar«, erwiderte Hilka, setzte sich an den Schreibtisch und griff nach einem Post-it-Stapel und einem Kugelschreiber. »Schießen Sie los, Herr Michaelis.«

»Also, wir haben bei dem Toten Papiere gefunden. Sein Name ist Rolf Behrend, er stammt aus...