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MARTIN WALSER - WORT-GEWÄNDER - Eine Biographie in Szenen

MARTIN WALSER - WORT-GEWÄNDER - Eine Biographie in Szenen

Ralf Oldenburg

 

Verlag BookRix, 2021

ISBN 9783748770619 , 311 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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6,99 EUR

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MARTIN WALSER - WORT-GEWÄNDER - Eine Biographie in Szenen


 

  Vorwort von Carolin John-Wenndorf


 

 

Ein Hut, darunter buschige Augenbrauen und wasserburgblaue Augen. Über seiner linken Schulter liegt lässig ein Trenchcoat. Warum über der linken Schulter? »Das war auf einem einzigen Foto!«, ruft Martin Walser entrüstet. »Nichts was mir wichtig ist, ist rechts oder links.«1 , »Ich habe in mir für mehr als eine Meinung Platz.«2 Das macht sein Verhältnis zur Öffentlichkeit mitunter prekär. Zu gerne möchte man ihn in eine Schublade zwängen, in die linke oder die rechte. Doch aus jeder Schublade lugt etwas heraus, das nicht hineinpassen will. Rechts ein roter Schal, links ein schwarzer Hut. Doch auch wenn Martin Walser befürchten muss, missverstanden zu werden, gibt er seit seinen literarischen Anfängen bemerkenswerter Bereitwilligkeit Auskunft. In Radiosendungen und Fernsehshows, in öffentlichen Briefen, seinen publizierten Tagebüchern, in Interviews, Essays und Reden. Er spricht über die Liebe (»Dass Liebe Liebe ist, ist sicher. Sie ist zusammengesetzt aus den Anlässen, die sie enthält und ehrt.«3 ) und ihr Gegenteil, fast, (»Ich komme nicht dazu, an meinen Tod zu denken. Immer ist etwas.«4 ). Oftmals ironisch (»Meine letzte Straftat? Nachprüfendes Anschauen der Videokassette mit der Paulskirchen-Veranstaltung. Dabei Frank Schirrmacher ziemlich gut gefunden.«5 ), nicht selten poetisch (»Ich liege auf der grünen Lippe des Sees.«6 ), immer aber emotional (»Mir tut die Commerzbank leid, bei der ich mein Konto gekündigt habe.«7 ), auch selbstkritisch (»Ich bin uncharakteristisch.«8 ) und voll Hoffnung (»Droben bleiben, das wär’s.«9 ). Entstanden ist so eine glanzvolle öffentliche Autorfigur, deren Facetten – je nach Blickwinkel – changieren. Eine Figur, über die Klaus-Michael-Bogdal die Vermutung anstellt, dass sie »das fehlende Werk, das ‚im Gedächtnis bleibt‘, [...] durch die kontinuierlichen, Person, Werk und öffentliche Repräsentativität verbindenden Selbstinszenierungen substituiert.«10

Die Strategien der Sichtbarkeit, die Martin Walser in der Öffentlichkeit anwendet, sind vielseitig. Die betonte Haltung der ‚Political Incorrectness‘, die ihn seine Paulskirchenrede gegenüber Ignatz Bubis mit den Worten verteidigen lässt: »Ich habe nur gesagt, wie es mir geht.«11 , ist verbunden mit stilisiert bescheidener ‚Authentizität‘ (»Ich leiste keinen Beitrag, ich teile Schwierigkeiten mit.«12 ). Diese wird verstärkt durch die Inszenierungsstrategie des öffentlichen ‚Geständnisses‘, das als einzigen Maßstab des Schriftstellers Gewissen kennt und das Martin Walser in seinem Aufsatz Über freie und unfreie Rede expliziert hat: »Ein Ergebnis der Gewissensbildung ist, daß ich das, was in meinem Gewissen stattfindet, nicht veröffentlichen kann. Ich kann sagen, mein Gewissen ist nicht vorzeigbar.«13 Wer sein Gewissen für nicht vorzeigbar hält und es dennoch tut, kann sich eines sicher sein: des gesteigerten Interesses, nicht selten verbunden mit einem wirkmächtigen Skandal.14 Scheint ihn auch sein Geständnis im ersten Moment auf dem literarischen Feld zu demontieren, so beschert es ihm zugleich die größtmögliche mediale Aufmerksamkeit. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass Martin Walser der erste deutsche Autor ist, dem schon zu Lebzeiten ein Denkmal gesetzt wurde. Das ist selbst Goethe nicht geglückt. Das ‚Reiterstandbild‘ Martin Walsers des Bildhauers Peter Lenk wurde 1999 in Überlingen am Bodensee, dem Wohnort Walsers, aufgestellt. Es zeigt den »Appointed Cowboy of Texas«15 , wie Martin Walser sich selbst bezeichnet, nachdem er in Texas einen imposanten Sturz vom Pferd unverletzt überstanden hat, was den ihn begleitenden Texaner dazu ermunterte, ihm diesen Titel huldvoll zurufend zu verleihen. Die Skulptur Walsers inszeniert jedoch keinen dynamischen Cowboy auf dem Rücken des Pegasus, sondern einen älteren Herrn auf dem Buckel eines Esels, was Martin Walser empörte. Und war auch die Pose ‚hoch zu Ross‘ seit der Antike der Verewigung von Feldherren vorbehalten, so wird diese durch einen weiteren Stilbruch ironisch gewendet, indem dem Reiter Schlittschuhe unter die Füße geschnallt werden, die ihn den mythologisch aufgeladenen Ritt über den Bodensee, auch wenn eisige Zeiten anbrechen sollten, unbeschadet über die Eisschicht gleitend überstehen lassen.16 Erfahrungen des Misslingens und der verfehlten Repräsentation seiner selbst kommen vor. Gelegentlich sind sie Walser physisch derart unerträglich, dass er drohte, auszuwandern.17 Doch Walser bleibt. Und lädt zu weiterer Beschäftigung mit seiner Person und seinem Werk ein.

Über sich selbst schreibt Walser: »Ich bin ein angebundenes Tier, das so tut, als möchte es frei sein, während es mit Genuss die Gefangenenkost frisst.«18 Die Zufriedenheit des an seine eigene Subjektivität gefesselten Schriftstellers mag an Ilse Aichingers Erzählung Der Gefesselte19 erinnern. So wie der Gefesselte in Aichingers Erzählung trotz seiner eingeschränkten Freiheit, ganz ohne Waffen, nur mit seinen bloßen Händen einen Wolf töten kann, so agiert auch Walser besonders sprachmächtig, mit Genuss, aus seiner Gefangenheit und Befangenheit heraus. Die Unsicherheit, die der Gefesselte bei Aichinger durch das Zerschneiden der Fessel erfährt, kennt und benennt auch Walser. Sie macht sich dann besonders eindrücklich bemerkbar, wenn er außerhalb seiner Fessel schriftstellerischer Subjektivität allgemeingültige Standpunkte beziehen soll. Bereits früh, in seinem 1963 veröffentlichten Essay Freiübungen formulierte Martin Walser in Anlehnung an den Chandos-Brief Hugo von Hofmannsthals, dem die Worte wie Pilze im Mund zerfallen, sein vorrangig seiner Innerlichkeit verschriebenes lebens- und sprachästhetisches Selbstverständnis, das ins Wanken gerät, sobald sich theoretische Reflexionen einschalten. Bei Walser heißt es: »Theorien sind zu haben. Es zerfällt mir etwas im Mund. Schmeckt nach Wörtern. Gibt es einen, der sich nicht belagert mit brutaler Aufmerksamkeit?«20 Sobald seine Emotionen durch den intellektuellen, aus eigenen Vernunftkategorien gebauten Filter brutaler Selbstaufmerksamkeit rieseln, erstarrt der intuitiv agierende Schriftsteller in unsicherer Pose. »Erfinde also einen Fluchtweg unter allem durch. Für Dich selbst unauffindbar. Das wäre paradiesisch. – Das wird nicht der Fall sein. Du wirst irgendetwas piepsen, weil Du gefunden werden willst. Für die nächste Runde. Da tritt auf ein Mund voller Wörter.«21 Der Wunsch, sich selbst zu finden, auch gefunden zu werden, lässt den Schriftsteller entfesselt auftreten, als »Akrobat«, wie es im nächsten Satz seiner Freiübungen heißt; ein Akrobat, der »eine fast lebensfähige Kehrseite« zu zeigen vermag, »blind vor Sicherheit« kämpft er, ganz ohne Fesseln und wehrt sich, einzig, um gesehen zu werden.22 Aber: »Wer sich verteidigt, verheddert sich leicht. Er widerspricht sich. Ist unsicher. Eigentlich zweifelt er an der Möglichkeit, sich erfolgreich zu wehren. Und dieser Zweifel bestimmt seinen Stil. Er flüchtet von einer Behauptung zur nächsten und wird auch noch aus der letzten Behauptung vertrieben. Darüber verliert er sein Gesicht [...]. Dadurch ist er genötigt, immer neue Gesichter auszuprobieren«23 , in der Manege, die sich Öffentlichkeit nennt. Das, was ihn literarisch am Leben hält (»Es geht nicht um einzelne Sätze, sondern um Atmosphärisches, das noch im Prozess ist.«24 ), irritiert seine Selbstbehauptung im öffentlichen Raum. Walser kennt die Gefahr der Öffentlichkeit: »In Wirklichkeit ist kein Mensch so, wie er vor dem Mikrofon ist. In der Physik heißt es: Wenn der Schwerpunkt über die Unterstützungsfläche hinausgeht, dann kippt es. So gekippt komme ich mir da öfter vor.«25 Nur die Sprache fängt ihn auf. »Schreibend kann man fast alles ertragen.«26

Wer ist nun Martin Walser, diese schillernde öffentlich Figur, die nicht nur zwischen den Zeilen seiner Bücher lebt, sondern auch auf der öffentlichen Bühne des Kultur- und Literaturbetriebs? Martin Walser ist »ein Wind- und Wortmacher«27 ,  »ein Showmaster und in der Tat ein begnadeter Unterhaltungskünstler« 28 , meinte Marcel Reich-Ranicki. Ein »naives Genie«29 und eine Art »Eddie Irvine des Literaturbetriebs«30 schrieb Klaus-Michael Bogdal, die Worte Reich-Ranickis im Kopf (»Seit ich mich mit Walsers Büchern beschäftige, kann ich den Verdacht nicht loswerden, er schreibe immer ein wenig unter seinem Niveau.«31 ). Ein »großer Kormoran«, illustriert Fritz J. Raddatz in seinem satirisch-tierischen Bestiarium, »ein hochtalentierter Taucher und Fischer auf großen Seen, dessen langer Hals ihn zu schnellen Wendemanövern im Wasser befähigt.« Und ergänzt »Im Unterschied zu anderen Tauchvögeln lassen Kormorane Wasser in ihr Federkleid eindringen, [...] um nicht an die Oberfläche zu steigen, muss der Vogel daher stets eifrig mit den Füßen paddeln.«32 Ob Showmaster, Genie oder Kormoran, evolutionsbiologisch hat Martin Walser Glück. Neben seinem Talent sind seine große Gestalt und seine wilden Augenbrauen wie gemacht für die öffentliche Bühne: »In Studios und Vorlesesälen kommt immer so starkes Licht von oben«, weiß Walser aus Erfahrung. »Ohne starke Brauen bist du...