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Den Schatz bewacht der Menschenfresser

Den Schatz bewacht der Menschenfresser

Lukas Wolfgang Börner

 

Verlag Tredition, 2021

ISBN 9783347217904 , 216 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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7,99 EUR

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Den Schatz bewacht der Menschenfresser


 

Die Beichte

Liebe Mama, lieber Papa, liebe Großeltern,

ich weiß gerade gar nicht, wie ich mich fühlen soll. Ob ich jetzt als Angeklagter vor meinen vielen Richtern sitze oder ob ich vielmehr ein Held bin, der von seinem allerkühnsten Abenteuer erzählt. Ich sehe in euren Augen alles Mögliche, vielleicht bilde ich’s mir auch nur ein. Ist das wirklich Strenge in deinem Gesicht, Papa? Oder doch heimlicher Stolz?

Und ist da nicht irgendwo in deinen Sorgenfalten, Oma Inge, auch ein mildes Lächeln für deinen Enkel? Den Wagemutigsten aller Enkel?

Ich möchte euch alles erzählen, jedes einzelne Detail, die Kurzversion kennt ihr ja ohnehin schon.

Auch dich, mein lieber Leser, will ich in das größte Abenteuer meines Lebens entführen. Das geschieht aber im Geheimen. Denn ich möchte meinen Eltern und Großeltern zwar die Wahrheit erzählen, das bin ich ihnen wohl schuldig, aber ich kann natürlich nicht alle, also wirklich alle Details erzählen. Ich bin doch nicht blöd. Manche Dinge, die man mit seinen Freunden anstellt, sind nicht für Ohren bestimmt, aus deren Innern bereits graue Haarbüschel wuchern. Erwachsene kann man mögen, man kann zu ihnen aufschauen und man kann mit ihnen tolle Dinge unternehmen. Aber es sind und bleiben halt Erwachsene. Sie können viele Dinge, die wir Kinder gerne tun, gar nicht verstehen. Dass man in der Nase bohrt, zum Beispiel. Oder dass man ein tiefes inneres Verlangen danach hat, ein rohes Ei in die Hand zu nehmen und zu zerquetschen. Oder dass man in eine Wasserpfütze tappen muss, damit es rings herum spritzt und tröpfelt und alle Leute „Pfui!“ oder „Kruzitürken!“ rufen. Oder dass man Mädchen, die in der Schule vor einem sitzen, in einem unbeobachteten Moment am Pferdeschwanz zupfen muss.

Nein, das verstehen sie nicht. Sie sind alt und denken den ganzen Tag nur daran, was sie arbeiten könnten und ob sie nicht noch etwas erledigen könnten und dass die Wohnung staubgesaugt werden müsste und dass die langweiligen Pflanzen auf dem langweiligen Balkon hochgebunden werden sollten. Sie sitzen vor dem Fernseher und schauen sich Nachrichten an. Nachrichten!!

Da heißt es dann: „Guten Abend, meine Damen und Herren, die politische Lage scheint in siebenfacher Differenz zum Haushalt hinter dem Energiekraftwerk zu stehen. Was sagt die Option zu dieser Einschätzung?“ Lauter solcher Quatsch!

Und das tun Erwachsene freiwillig! Und weil das alleine noch nicht fad genug ist, lesen sie auch noch Zeitung. Da steht dann dasselbe nochmal drin, aber damit es noch langweiliger wird, gibt es fast keine Bilder dazu.

Du wirst mir Recht geben, lieber Leser, dass man mit solchen Menschen, wie es Erwachsene sind, nur sehr wenig Gemeinsamkeiten haben kann. Außerdem bedeutet, etwas wegzulassen, ja nicht unbedingt, dass man lügt. Denn lügen darf man bei Erwachsenen nie. Da muss man höllisch aufpassen! Das gibt Ärger, wenn man beim Lügen ertappt wird!

Dabei sind die Erwachsenen ja selber schuld, dass man lügen muss, weil man für die Wahrheit ja meistens nur angemeckert wird. Wenn man zum Beispiel eine schlechte Note mit nach Hause bringt und man wird gefragt, warum diese Note so verreckt schlecht ist, kann man doch nicht antworten, dass man im Unterricht nicht aufgepasst, seine Hausaufgaben nicht gemacht und dazu auch nicht gelernt hat. Da würde einen doch ein schreckliches Donnerwetter erwarten!

Da muss man selbstverständlich weinen und sagen, dass man versucht hätte, alles zu verstehen, aber offensichtlich zu dumm sei. Und da sind sie dann alle da und trösten dich und sagen, dass du ein ganz kluger kleiner Mann seist und dass so etwas schon mal passieren könne. Manchmal nimmt dich die Mama dann bei der Hand und geht mit dir zur nahen Gelateria, damit du dich vom Schock erholen kannst.

Ja, das müsste man nicht tun. Aber wie gesagt: Es wird einem ja keine Wahl gelassen.

Um euch alles begreiflich machen zu können, möchte ich an den Morgen im vorletzten Frühling erinnern. Weißt du’s noch, Papa? Wo wir am Gröbenbach gesessen sind und geangelt haben? Wir haben ja gar nichts gefangen, aber du hattest damals etwas gesagt, was ich nicht mehr vergessen konnte.

Der Bach macht dort, in der Nähe vom großen Sumpf einige scharfe Kurven. Er schlängelt und windet sich, ganz genauso, wie es die Regenwürmer tun, wenn man sie auf den Haken spießt. Ich weiß noch, wie du mir erklärt hast, dass die Bäche und Flüsse dieser Welt im Laufe ihres Daseins immer kurvenreicher werden, weil das Wasser mit voller Kraft gegen den äußeren Rand der Kurve donnert, während der innere Rand nur sanft gestreift wird. Deshalb bröckelt mit der Zeit die Erde am äußeren Ufer ab und die Kurve wird schärfer.

Du hattest damals etwas gesagt, ich kann es nicht genau wiederholen, aber es war ungefähr so: Du hattest den natürlichen Lauf der Welt mit dem Lauf der Welt von Menschenhand verglichen. Du hattest gesagt, dass die Natur immer verschlungen und verschnörkelt und deshalb immer schön ist. Und im Gegensatz dazu würden die Menschen nur auf ding setzen, auf … ding, ähm, halt darauf, dass alles möglichst geldsparend ist und darum sind die Straßen immer kerzengerade. Selbst die Flüsse werden begradigt. Und das ist immer hässlich.

So ungefähr war’s. Und die Moral von der Geschicht‘ war, dass Menschen immer alles hässlich machen, weil sie sich zu weit von der Natur entfernt haben. Und das ist deshalb so, weil sich immer alles rentieren muss. Weil nichts gemacht wird, ohne dass es einen Nutzen bringt.

Ich habe das gar nicht vergessen können. Ich habe seit diesem Angeltag immer und überall die Menschen beobachtet und bin dahintergekommen, dass sich wirklich überall alles rentieren muss. Auch in der Schule. Man muss Mathe lernen, weil man sonst schlechte Noten bekommt. Man muss gute Noten haben, weil man sonst sitzenbleibt. Man muss in die nächste Klasse kommen, weil man sonst von der Schule fliegt. Man muss an der Schule bleiben, weil man sonst kein Abitur bekommt. Man muss ein Abitur bekommen, um studieren zu können. Man muss studieren, weil man sonst später nicht viel Geld verdienen kann. Man muss aber viel Geld verdienen, weil man sonst Hunger und Durst leiden muss und nur ganz selten in Urlaub fahren kann.

Ist das nicht auch in gewisser Weise ein begradigter Weg? Ich sehe da gar keine Kurven oder Schnörkel!

Jetzt schaut ihr mich alle so bewundernd an, weil ich so schlau bin und mir so großartige Gedanken mache, aber es ist ja bloß der Gedanke von dir, Papa, den ich weitergedacht habe. Auf jeden Fall ist in mir im Lauf der Zeit der Wunsch nach einem Abenteuer herangereift, einem echten Abenteuer, weg von dem normalen Alltag, weg von dem blöden Gebüffel, dem Auswendiglernen-und-wieder-Vergessen, weit weg von alldem!

Ich erzähle das alles nur, weil ich mir sicher bin, dass ich ohne diesen tiefen Wunsch den Zettel mit dem Rätsel gleich weggeschmissen hätte. Oder ich hätte ihn euch gegeben oder dem Herrn Sägesteck zum Übersetzen oder so. Aber als ich die geheime Botschaft fand, kochte alle Abenteuerlust wieder in mir auf, ich bekam Fieber vor Anspannung und fühlte mich doch so schrecklich wohl!

Nun wende ich mich wieder an dich, lieber Leser. Du merkst schon, dass ich mit Absicht ein bissel geschleimt habe. Mein Papa ist gleich zwei Zentimeter in die Höhe gewachsen vor Stolz auf seine Weisheit, die mich auf solch schlaue Gedanken gebracht hat. Ich hielt es für nötig, die Schuld ein wenig von mir weg auf meinen Papa zu schieben, aber so, dass er sich nicht darüber ärgert, sondern im Gegenteil ganz froh darüber ist. Und warum auch nicht? Im Grunde war es ja die Wahrheit.

Mir ist eingefallen, dass ich mich dir noch gar nicht vorgestellt habe. Das hätte ich beinahe vergessen. Und ich kann das ja nicht in meine Beichte vor meinen Eltern und Großeltern einfließen lassen, das wäre ja lächerlich. Wenn ich plötzlich mitten in meiner Erzählung innehalten und sagen würde: „Ich heiße Hugo Ramsauer und bin zwölf Jahre alt. Mein Lieblingsessen ist Reiberdatschi und meine Lieblingsfarbe NATO-Oliv. Nur für den Fall, dass ihr das vergessen habt.“ Da würde meine Mama mir den Puls fühlen und dann die Männer in Weiß holen, die mich in die Gummizelle stopfen. Da sind alle Wände aus Gummi, so wie in einer Hüpfburg. Klingt eigentlich ganz spaßig, wenn man genauer drüber nachdenkt …

Eigentlich hätte ich mich sowieso nicht vorstellen müssen, denn mein Name wird eh in den nächsten Monaten in der Zeitung stehen. Und alle werden rufen: „Hugo Ramsauer war’s! Unser Hugo Ramsauer!“

Aber du bist ja keine müde Mutter und auch kein fader Vater, du liest ja gar keine Zeitung, sondern lieber spannende Bücher über Schatzinseln und Seeungeheuer. Oder du schaust Filme mit King Kong oder Dinosauriern oder einem Tiger, mit...