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Der Prinz unter dem Meer - Epische und bittersüße Unterwasser-Romantasy

Der Prinz unter dem Meer - Epische und bittersüße Unterwasser-Romantasy

Karin S. Heigl

 

Verlag Tredition, 2021

ISBN 9783347166783 , 468 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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5,99 EUR

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Der Prinz unter dem Meer - Epische und bittersüße Unterwasser-Romantasy


 

Ein Fremder im Schatten

Die Nacht spiegelte sich in den schimmernden, weißen Mondblüten. Simonea glitt zwischen ihnen hindurch, fühlte, wie sie in die Mondstrahlen hineintrat und aus ihnen heraus; sie strichen über ihre Haut, kühl und schön. Simonea liebte es, durch den nachtdunklen Wald zu streifen, den Tau auf ihren Armen zu spüren, die Gräser unter ihren Sohlen. Sie fühlte sich lebendig. Das Seidenkleid umspielte ihre Waden und die Sterne sangen ihr stummes, ewiges Lied, als Simonea über Blüten, Moose und Farne tanzte, zwischen Birkenstämmen und satten Tannen hindurchschlüpfte.

Da sah sie eine Bewegung im Schatten.

Simonea hielt inne, blickte um sich und glitt unter einen Farn. Sein Dunkelgrün hüllte sie ein wie Samt. Zwischen seinen Wedeln lugte sie hervor und zuckte zurück. Zwei große, tiefe Augen, dort vorne auf der Lichtung!

Das Licht des Mondes glänzte in ihnen, sie waren dunkelblau.

Ihr Herz setzte einmal aus. So etwas hatte sie noch nie gesehen! In ihrem Reich hatten alle grüne Augen, dunkelgrün, farngrün, moosgrün, hellgrün, braungrün, algengrün, oder eine Mischung aus allem. Aber diese Augen dort … sie waren so fremd, so gefährlich, so …

Sie lockten sie.

Sie musste sehen, was dort war. Sie schob sich wieder aus dem schützenden Schatten vorwärts, langsam, langsam, und äugte hinaus. Sie wusste, sie war gut getarnt, ihre Augen und Haare verschmolzen mit dem Wedel, mit dem Wald und den Gräsern, so war es immer gewesen. Aber die fremden Augen fanden sie und sahen sie an. Ihr Herzschlag beschleunigte sich und sie wagte nicht zu blinzeln: Am Rande der Lichtung stand ein schlanker Mann! Simoneas Herz pumpte jetzt wildes Leben durch ihre Adern, in ihren Ohren rauschte es, irgendwo in ihr regte sich lustvolle Furcht. Wer war der Fremde? War er gefährlich? Seine dunklen, blauen Augen … Kam er aus dem Meer? Er schien schlank wie einer vom Tintenfischvolk, grausame Krieger und Seeräuber waren sie, das wusste jeder. Ihr war klar, sie sollte sich zurückziehen, aber ihre Neugier war zu stark. Er sah sie so schamlos an, dass ihr Körper zu prickeln begann.

Sie lehnte sich weiter vor, während ihr Geist alte Warnungen raunte: Sprich nicht mit fremden Männern …

Die Worte ihres Vaters hallten in ihr nach, zu oft hatte sie sie gehört, zu tief waren sie in ihrer Erinnerung verankert. Aber das waren Worte im Wind, keine echte Fürsorge; er beschäftigte sich lieber mit seinen Abgesandten, Beratern, Schriftrollen als mit ihr, seiner Tochter aus Fleisch und Blut, seinem einzigen Kind! König Meronius hatte sicher wichtige Dinge zu tun, er war stark und angesehen. Seit vielen Jahren herrschte er über das Farnland, und sogar die schrecklichen Tintenfischleute hatten ihm Gefolgschaft geschworen. Die Feuerleute hatte er zwar noch nicht erreichen können, denn die Feindschaft saß tief. Aber auch das war eine Frage der Zeit.

Simonea besann sich und suchte nach den Augen, irgendetwas in ihr sehnte sich danach, in dem fremden Blick zu baden. Sie fand sie wieder, aber in dem Augenblick schlüpften sie davon. Sie erschrak und hielt die Luft an, schmolz wieder in die Schatten und suchte nach Geräuschen in der Nacht: Kam er zu ihr herüber? Wo war er? Ihr Herz raste. Ihr Vater hatte Recht gehabt. Sie war einfältig, allein durch den Wald zu schleichen.

Rasch sank sie unter dem Farnwedel weg, schlüpfte zwischen den Birkenstämmen durch, tanzte lautlos durch die hohen Gräser und fort war sie, fort, fort, zurück nach Hause! Schnell!

Das Herz schlug Simonea bis zum Hals, sie lauschte nach hinten und nach allen Seiten, während sie lief; aber sie hörte keinen fremden Schritt, keine feindlichen Sohlen, die über ihr Gras schritten. Simonea schlich durch die letzten Nebel und vor ihr wuchs die Mauer empor. Sie atmete aus. Die Burg.

Sie glitt durch Büsche und Gräser und kam am Loch in der Mauer an. Niemand kannte den schmalen Spalt zwischen den Steinen, den sie als Kind schon entdeckt hatte. Glücklicherweise war sie zierlich geblieben und konnte noch immer, wenn sie die Luft anhielt, hindurchschlüpfen. Oft stahl sie sich nachts hinaus in ihren Wald; das Farnvolk kam von dort, er war ihre Urheimat. Und Simonea, die Prinzessin und Thronerbin des Farnreiches, schien er besonders stark zu rufen, als mächtige Eingebung, der man sich schwer entziehen konnte. Er war ihr Herz, ihr Leben. Sie musste hinaus. Der Wald, er war unermesslich alt. Er barg Geheimnisse. Aber er war innerhalb der Grenzen des Reiches, und diese Grenzen wurden streng bewacht, was sollte also geschehen? Dennoch war dieser Fremde in ihrem Wald! Sie fühlte sich immer noch beobachtet. Mit zittrigen Gliedern wandte sie sich um, musterte Waldrand und Gräser, fühlte aber nichts als die Nacht und das ewige Atmen des Waldes.

Niemand folgte ihr und die Anspannung verblasste in feine Enttäuschung, die in den Fingerspitzen pochte. Sie blickte zum Himmel: Noch schlief der Morgen weit in der Ferne, noch sangen die Sterne, aber sie begannen, schwächer zu werden. Simonea seufzte. Der Tag würde anstrengend werden. Sitzungen über Sitzungen, zeremonielle Mahlzeiten mit den Gesandten … Die Prinzessin schüttelte den Gedanken ab. Hinein. Vielleicht konnte sie noch ein paar Stunden Schlaf erhaschen, bevor Parenia sie weckte. Insgeheim hoffte sie, den geheimnisvollen Fremden wieder zu sehen; aber kaum wagte sie es zu denken, es war mehr ein untergründiges Gefühl, das aus ihrer Magengrube aufstieg.

Simonea zog den Bauch ein, hielt die Luft an und schob sich Stück für Stück durch den Spalt. Als sie die andere Seite erreichte, kam der vertraute leichte Schwindel. Sie atmete ein und wartete, bis er nachließ. Dann spähte vorsichtig aus dem Mauerspalt heraus.

Niemand da. Entfernt nahm sie die Wache auf dem Mauergang wahr, aber diese schritt gerade in die entgegengesetzte Richtung. Warum ihr Vater die Liebe zum Wald nicht teilte, verstand Simonea bis heute nicht. Schon ihre Mutter hatte den Wald verehrt. Die sanften Nebel, die zarten Mondblumen, die Rehe, die auf der Lichtung ästen, die Schwäne im See … Wie konnte man diesen Ruf nicht erhören? Einmal hatte Simonea gar eine weiße Wildstute gesehen; die dunklen Augen, ihre geschmeidigen Glieder und Muskeln, die unter der Haut spielten, ein Einhorn? Seit langer Zeit hatte man keines der Zauberwesen mehr gesichtet. Es hatte ausgesehen, als sei die Stute das Mondlicht herabgelaufen, aber zu schnell war sie wieder verschwunden, um sicher zu sein.

Simonea glitt aus dem Spalt wie ein Schatten, holte Luft und huschte über den Innenhof. Sie fühlte hinter sich die schwere, alte Mauer, den Steinboden unter ihren Sohlen. So anders als der Wald, dachte sie, so hart und kalt, nicht weich wie die Moose, schmeichelnd wie der Nachttau. Und die dunkelblauen Augen … Sie hatten gelbe Sprenkel gehabt, jedenfalls hatte es so ausgesehen. Es hatte geschimmert in diesen Sprenkeln, als schiene eine Nachtsonne in den Augen wie tiefe Wasser. So völlig anders als das, was sie kannte.

Sie schüttelte den Kopf. Zurück in die Gemächer! Wahrscheinlich wartete ihr Vater längst auf sie. Wahrscheinlich waren die Diener bestraft worden, dabei konnten sie gar nichts dafür. Niemand konnte Simonea hören, wenn sie es nicht wollte; von Kindesbeinen an hatte sie sich auf Samtfüßen hinausgeschlichen. Sie hatte sich schlafend gestellt und ihre alte Zofe konnte nicht die ganze Nacht am Bett der Prinzessin ausharren. Außerdem war Simonea gleich nach dem Vater die Herrscherin in der Burg. Sie seufzte. Warum hatte sie nicht als einfaches Mädchen geboren werden können, ohne Erwartungen, ohne all die Vorgaben und Rituale, die ihr Rang forderte? Zudem, ihr Vater: Er sah sie nie wirklich an, schien in Gedanken zu versinken, wenn sie mit ihm sprach und das machte sie wütend. Ihre Mutter war vor langer Zeit verstorben, außer Parenia hatte Simonea niemanden, der ihr nahe war. Sie fühlte sich geborgener bei den Rehen und Schwänen als in der Burg, und die Mondblumen trösteten sie mehr als jeder Höfling, der ja doch nur an ihr als Thronerbin interessiert war. Ja, der Wald war ihre eigentliche Heimat. Der Drang war in den letzten Tagen so stark geworden, dass sie nun jede Nacht hinausschlich. Sicher würde ihr Vater sie bald einsperren oder verheiraten. Bis das geschah, würde Simonea jeden Herzschlag auskosten.

Sie erreichte den Garten, hielt an einem Busch an und lauschte, aber sie hatte Glück, die Wache war nicht da. Simonea überquerte rasch die Wiese, fühlte die Bäume und das Gras um sich herum; und vor sich sah sie schon den Efeu, die innere Burg und ihr Fenster. Weit dahinter den Turm, ein dunkler Schatten vor dem Nachthimmel.

Dann war Simonea da und hielt kurz inne. Das war fast zu einfach gewesen. War die Innenhofwache gerade auf einem anderen Rundgang? Simonea sah sich um und blickte nach oben. Der alte Efeu schlang sich hinauf bis zu ihrem Fenster.

Licht fiel heraus. Simonea hielt sich im Schatten der satten Rankpflanze und lauschte. Sie hörte Stimmen. Sie hörte Parenia, ihre Zofe....