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GebURtsVERTRAUEN - Sollten Geburten tatsächlich Ereignisse zum Vergessen sein?

GebURtsVERTRAUEN - Sollten Geburten tatsächlich Ereignisse zum Vergessen sein?

Jessica Lohmann

 

Verlag Tredition, 2021

ISBN 9783347063808 , 232 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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4,99 EUR

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GebURtsVERTRAUEN - Sollten Geburten tatsächlich Ereignisse zum Vergessen sein?


 

Mein Geburtsbericht

Es war in einer Novembernacht, als bei mir leichte Wehentätigkeit einsetzte, so dass wir uns morgens in das besagte Krankenhaus aufmachten. Dort angekommen, war von den Wehen plötzlich nichts mehr zu spüren und auch am Muttermund hatten die Wehen noch nichts bewirkt. Wir wurden wieder nach Hause geschickt. Offensichtlich mussten sich die Wehen für eine Geburt noch beträchtlich steigern, denn auf unsere Nachfrage, wann wir wiederkommen sollten, entgegnete man uns so etwas Ähnliches wie: „Wenn sie [vor Schmerzen] in die Matratze beißt.“

Im Laufe des Tages setzten die Wehen erneut ein. Bevor wir noch einmal umsonst das Krankenhaus aufsuchten, wollte ich dieses Mal die Echtheit der Wehen mit Hilfe eines warmen Bades überprüfen. Diesen Tipp hatte ich, soweit ich mich erinnern kann, in unserem Geburtsvorbereitungskurs aufgeschnappt. Des Morgens hatte ich leider noch nicht daran gedacht. Denn tatsächlich wurden die Wehen nach meinem Bad allmählich immer stärker. Wir fragten uns jetzt natürlich, wann wir wieder in das Krankenhaus gehen sollten. Um nicht noch einmal nach Hause geschickt zu werden, wollte ich keinesfalls wieder zu früh dorthin gehen. Bisher hatte ich aber auch noch nicht das Gefühl, in die Matratze beziehungsweise in die Sofalehne unseres Sofas, hinter das ich mich gekniet hatte, beißen zu müssen.

In einem Buch, das ich zu Rate zog, las ich, dass man sich auf den Weg ins Krankenhaus machen sollte, wenn die Wehen über zwei bis drei Stunden in Abständen von fünf Minuten oder kürzer kommen.[1] Ich stellte also eine Uhr neben mich und zählte von da an die Minuten. In dem Zeitraum von etwa 17 bis 19 Uhr konnte ich so Wehen verzeichnen, die ungefähr alle fünf Minuten kamen. Zu diesem Zeitpunkt rief Christoph in dem Krankenhaus an und fragte nach, ob das ausreicht, um in den Kreißsaal zu kommen. Inzwischen vergrub ich vor Schmerzen mein Gesicht bei jeder Wehe in der Sofalehne und krallte mich mit den Händen fest in den Sofastoff. Das musste mit „in die Matratze beißen“ vergleichbar sein, dachte ich. Die Hebamme am Telefon beruhigte uns mit der Aussage, dass Kinder in der Regel nicht so schnell kämen. Kurz nach dem Anruf veränderten sich die Wehen aber plötzlich so, dass mir schlagartig klar wurde, dass wir uns sofort auf den Weg ins Krankenhaus begeben müssten.

Auf den 300 Metern, die wir bis zu dem Krankenhaus zurücklegten, hatte ich mehrmals das Gefühl, dass ich es nicht mehr bis dahin schaffen würde. Die Wehen, die ich auf diesem Weg verarbeiten musste, verbrachte ich auf Christophs Schultern abgestützt und meinen Bauch festhaltend. Irgendwie haben wir es bis auf die Geburtsstation des Krankenhauses geschafft, wo man uns zuerst in eine Art Untersuchungszimmer brachte. Hier wurde mir für den Notfall ein Zugang in mein Handgelenk gelegt und mein Muttermund untersucht. Zu diesem Zeitpunkt war mein Muttermund zwischen sieben und acht Zentimeter geöffnet. Die vollständige Öffnung des Muttermundes beträgt bei der Geburt etwa zehn Zentimeter. Ich hatte zu Hause also schon einiges an Vorarbeit geleistet.

Als wir uns in den eigentlichen Kreißsaal begaben, kniete ich mich seitlich des Kreißbettes auf den Boden, denn diese Position hatte mir auch zu Hause das Verarbeiten der Wehen erleichtert. Es kam für mich nicht infrage, mich wie auf einem Präsentierteller auf das Kreißbett zu knien oder mich dort auf den Rücken zu legen. Die Rückenlage war mir als Schwangere schon lange nicht mehr angenehm gewesen und es war für mich nur sehr schwer nachzuvollziehen, warum diese anscheinend die am weitesten verbreitete Geburtsposition ist.

Bis dahin lief – mit Ausnahme der starken Wehenschmerzen – für mich alles ganz gut. Intuitiv begann ich mit meinem Becken zu kreisen. Mir wurde das Gefühl vermittelt, dass ich die Wehen gut verarbeite und dass die Geburt schon weit fortgeschritten sei. Irgendwann platzte die Fruchtblase und ein Schichtwechsel der Hebammen erfolgte. Ich vernahm so etwas wie, dass schon Haare zu fühlen seien. Auch wenn ich das starke Gefühl hatte, dass dieser Motivationsspruch nicht aus dem Herzen der Hebamme kam, sondern einem Lehrbuch entliehen war, stimmte es mich positiv. Jetzt konnte es nicht mehr allzu lange dauern.

Zwischenzeitlich hatten sich die Wehen allerdings so stark gesteigert, dass kein Veratmen und kein Stöhnen mehr half und dass das passierte, was ich mir vorher nicht hatte vorstellen können. Ich fing an zu schreien und zerdrückte Christoph fast die Hände. Obwohl ich mich vor dem Kreißbett kniend den Umständen entsprechend am wohlsten fühlte, wollte man mich an diesem Ort und in dieser Position nicht belassen. Als Alternativen wurden mir ein Gebärhocker und das Kreißbett angeboten. Im vollen Vertrauen auf die Erfahrung der Hebamme, probierte ich beides aus. Ich fühlte mich aber nirgends so wohl wie neben dem Kreißbett. Also kniete ich mich wieder dorthin. Die Wehen veränderten sich jetzt wieder und zwar so, dass ich das Gefühl hatte, mitdrücken zu müssen. Das mussten die viel beschworenen Presswehen sein. Das Pressen tat gut, denn auf diese Weise konnte ich den Wehenschmerz in Druck umleiten. Doch an dieser Stelle nahm die Geburt für mich eine Wendung.

Plötzlich schien das, was ich machte, nicht mehr in Ordnung zu sein. Zunächst wurde mir gesagt, es sei noch zu früh, um zu pressen. Ich schaffte es aber partout nicht, diese Wehen auf andere Art und Weise zu verarbeiten. Ich versuchte, den Druck über meine Beine abzuleiten, die ich auf den Boden stemmte. Das war jedoch nicht „richtig“. Man sagte mir, dass es nicht gut für das Baby sei, wenn ich zu diesem Zeitpunkt schon mitpresste. Ehrlich gesagt, dachte ich in dieser Situation, die ich als sehr existenziell empfand, nicht viel an mein Baby. Ich war einfach nicht in der Lage, diesen Druck anders zu verarbeiten.

Zu der Hebamme hatte sich in der Zwischenzeit eine Assistenzärztin gesellt, die sich erst im Hintergrund hielt. Als ich erwähnte, dass mir das Pressen guttat, war diese dann der Meinung, dass wir es doch einmal damit probieren sollten. Allerdings durfte ich dazu nicht an dem von mir ausgewählten Ort und in der von mir ausgewählten Position bleiben, sondern sollte mich abermals auf das Kreißbett legen. Im vollen Vertrauen darauf, dass die Leute um mich herum wissen müssten, was sie taten, befand ich mich nun in Rückenlage auf dem Kreißbett, was mir nicht angenehm war. Ich hatte das Gefühl, dass so nur meine Zugänglichkeit für Untersuchungszwecke verbessert werden sollte. Zusätzlich begab sich die Assistenzärztin neben mich und bereitete ihren Unterarm vor. Ich ahnte, was sie vorhatte. Einige der zahlreichen Horrorgeschichten von Geburten, die ich gehört hatte, stiegen in mir auf, unter anderem auch solche, bei denen man sich auf den Bauch der Gebärenden nahezu geworfen hatte, um dem Kind bei seinem Weg nach draußen Hilfestellung zu leisten. Während der folgenden Presswehen wurde ich also – für mein Empfinden – brutal unterstützt.

Die Assistenzärztin drückte ihren Unterarm mit voller Kraft und einigem Schwung in meinen Bauch und schob nach unten mit. Es fühlte sich an, als würden all meine Organe zusammen- und mir gleichzeitig die Luft weggedrückt. Ein sehr schreckliches Gefühl, aber ich dachte, dass das so sein müsste und es mir und meinem Sohn tatsächlich helfen würde. Kurz nach dieser Maßnahme verschlechterten sich die Herztöne unseres Sohnes. Um sie wieder zu beruhigen, bekam ich nun wehenhemmende Mittel verabreicht, worüber ich nicht undankbar war, denn endlich machten die Wehen eine Pause. Als Nebenwirkung fing ich jedoch an, am ganzen Körper zu zittern. Die Kontrolle über meinen Körper war mir nun völlig genommen.

Anscheinend war in der Zwischenzeit die Chefärztin alarmiert worden. Sie kam herein und untersuchte mich, indem sie gefühlt ihre ganze Hand grob in meine Vagina schob. Ich zuckte vor Schmerzen zusammen. Sie äußerte sinngemäß, dass das so nicht ginge, ich wäre ja völlig unentspannt, wir wären ja noch nicht einmal bei den Presswehen. Ich war ihrer Meinung nach wohl etwas überempfindlich, wenn ich mich bei ihrer Untersuchung schon so verhielt, wie sollte ich dann die Presswehen überstehen. Ihre Aussage hatte eine sehr demotivierende Wirkung auf mich. Aus meiner Sicht, kämpfte ich schon lange mit den Presswehen. Ohne zu fragen oder einen Grund dafür zu nennen, wies die Chefärztin eine PDA an. Auf Christophs Nachfrage, ob ich das denn überhaupt wollte, machte man ihm in einem harschen Tonfall klar, dass es nicht mehr um eine Entscheidung unsererseits ginge.

An mir lief das vorbei wie ein schlechter Film. Natürlich wollte ich ursprünglich keine PDA. Inzwischen fühlte ich aber Erleichterung bei dem Gedanken, diese Schmerzen nicht länger ertragen zu müssen. Ich war froh, den Aufklärungsbogen über die Nebenwirkungen einer PDA aus der Unsicherheit heraus, ob ich die Schmerzen einer Geburt ertragen...