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Jakobsberg - Ein Lavinia Borowski Krimi

Jakobsberg - Ein Lavinia Borowski Krimi

Wilfried Bremermann

 

Verlag Tredition, 2021

ISBN 9783347168695 , 304 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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2,99 EUR

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Jakobsberg - Ein Lavinia Borowski Krimi


 

2

Ich schaffte es in fünfundachtzig. Aber auch nur, weil ich mich nicht schminkte und mich ohne Zögern für mein schwarzes Kleid entschied, ein praktisches Ding, das mir bis knapp über die Knie reichte und das ich sowohl zu Beerdigungen als auch zu feierlichen Anlässen trug. Und eine Auktion war meiner Ansicht nach ein ausreichend feierlicher Grund.

Die Galerie Dahlgren befand sich wenige Fahrzeuglängen hinter dem Kanal Richtung Minden. Natürlich fand ich keinen Parkplatz. Alles, was beparkt werden konnte, war zugeparkt, einschließlich der Nebenstraßen. Endlose Minuten kurvte ich herum, bis ich eine kleine Lücke sechshundert Meter entfernt am Grundbach fand. Mit meinen High Heels würde ich eine Ewigkeit bis zur Galerie brauchen, also zog ich sie aus, rannte los und schaffte es gerade auf sechzehn Uhr.

Das Kunsthaus Dahlgren war ein unscheinbarer Flachbau in einer Reihe von Wohnhäusern. Zur Straße wirkte es eher wie ein Wintergarten. Ich war schon etliche Male hier vorbeigekommen, hatte aber nie sonderlich auf das Haus geachtet. Kunst ist nicht mein Ding. Bei mir zu Hause hängen allenfalls großformatige Kalender mit Bildmotiven aus Australien oder London. Ich versuchte, von außen einen Blick durch die großformatigen Fenster auf die Ausstellungsstücke zu erhaschen, was sich angesichts der umherwuselnden Gäste aber als unmöglich erwies.

Ich trat ein. Das erste, was mich empfing, war eine Geräuschkulisse, die ich nicht erwartet hatte. Ein Geschnatter wie auf dem Schulhof. Wahnsinn. Ich hatte mir eine Auktion immer wie eine Bibliothek vorgestellt: Sprechen verboten. Aber die Besucher, deren Zahl ich auf vierzig schätzte, verhielten sich wie auf einer Party. Die Sektgläser in ihren Händen vervollständigten diesen Eindruck.

Ich war kaum zwei Schritte gegangen, als eine sympathische männliche Stimme den Weg in mein Ohr fand. „Guten Tag, die Dame. Bieten Sie mit oder schauen Sie nur?“

Meine Augen fanden den Sprecher sofort: ein attraktiver Mann mit graumeliertem Haar, Ende vierzig, Anfang fünfzig, eins fünfundachtzig groß, schwarzer Anzug, schwarze Fliege, ein Lächeln zum Dahinschmelzen. George Clooney für bürgerliche Mädchen. Er stand neben einem Tischchen am Eingang – ohne Nespresso.

„Wie bitte? Oh, Entschuldigung.“ Mir wurde heiß. Wurde ich wirklich rot? „Ich bin das erste Mal hier.“

„Kein Problem.“ Georges Lippen gingen noch weiter auseinander und entblößten zwei Reihen makelloser weißer Zähne. Bei Gelegenheit musste ich mir die Adresse seines Zahnarztes geben lassen. „Sie sind nicht die einzige.“

Gott sei Dank. Totalblamage abgewendet. George gab mir eine Nummer, die achtundvierzig, nachdem es mir gelungen war, ihm mitzuteilen, dass ich mitbieten wollte. Als er mich in eine Liste eingetragen hatte, entließ er mich mit einem verständnisvollen Lächeln ins Getümmel.

Kleidungstechnisch lag ich in der Mitte. Einige der Anwesenden trugen Anzüge und Kostüme, viele Frauen Kleider wie ich, wenn auch nicht gerade schwarz. Doch etliche waren auch leger mit Jeans und Hemd oder Bluse bekleidet. Was mich ärgerte, weil es zeigte, dass ich mich nicht hätte umziehen müssen. Ich hätte eine Stunde gespart und mich besser vorbereiten können. Doch was soll’s. Hier stand ich, schick und elegant, aufgeregt und hilflos.

Obwohl ich auf die letzte Minute gekommen war, schien es bis zum Beginn der Versteigerung noch etwas zu dauern, sodass ich Gelegenheit hatte, mich umzusehen. Ich schlängelte mich an den Leuten vorbei, grinste sie blöd an, wenn ein Anrempeln unvermeidbar war, und atmete dabei eine Million Kubikmeter Parfüm ein. Wie es wohl roch, wenn der Geschäftsinhaber mit seinen Kunstwerken allein war. Öl? Altes Leinen? Kupfer?

Die Ausstellungsgegenstände wirkten aus der Sicht eines Kunstbanausen – also meiner – nicht besonders aufregend. Aber wir waren ja auch nicht bei Christies oder Sotheby’s. Die Dinge, die nicht Teil der Auktion waren und regulär gekauft werden konnten, trugen Preisschilder mit Auszeichnungen von einigen Hundert Euro bis hin zu Beträgen im fünfstelligen Bereich. Ich dachte an die Kalender, die ich kaufte und die selten teurer waren als zwanzig Euro, und begann mich ein wenig zu schämen.

Nach einem ersten Umherstreifen kehrte ich zum Eingang zurück. Auf einem Tischchen unweit von Georges Domizil lagen die Kataloge, kleine Broschüren mit Abbildungen und Beschreibungen der zu versteigernden Gegenstände, alle in Hochglanz und Farbe. Ich nahm einen und blätterte ihn durch. Es waren Gemälde dabei, einige Bildhauerarbeiten, sogar ein Wandteppich, insgesamt zweiundfünfzig Stücke. Mein Medaillon trug die Losnummer achtzehn.

Um Punkt sechzehn Uhr fünfzehn ertönte ein Gong. Eine angenehme Frauenstimme bat die Anwesenden Platz zu nehmen. Wie die Lemminge strömten alle zum hinteren Teil der Galerie, wo einige Stuhlreihen aufgebaut waren. Vor der Stirnwand war ein Podest aufgebaut, links und rechts davon - auf mit Samttüchern ausgelegten Tischen – ruhten die zu ersteigernden Kunstgegenstände. Das Medaillon lag auf einem unscheinbaren Hocker, neben einer kleinen Kugel aus Bernstein. Bevor ich mich setzte, ging ich dort vorbei, um mir das Medaillon genauer anzusehen. Ich hatte die Hand noch nicht ausgestreckt, als dieselbe Altstimme, die das Publikum zum Setzen aufgefordert hatte, direkt neben meinem Ohr sagte: „Bitte nicht anfassen. Die Artikel werden gleich noch ausführlich vorgestellt.“

Ich drehte mich um. Hinter mir stand eine Frau mittleren Alters in einem eleganten weißen Kleid. Sie war schön und gepflegt, ihr Auftreten sicher und selbstbewusst. Offenkundig hatte ich es mit der Auktionatorin und Besitzerin der Galerie zu tun. Ohne ein weiteres Wort begab sie sich zum Podest, und ich setzte mich auf einen Stuhl in der hinteren Reihe. Erwartungsvolle Stille trat ein.

„Meine Damen und Herren, die Auktion ist eröffnet. Versteigert werden heute einige Gemälde und Skulpturen bekannter und weniger bekannter Künstler. Beginnen wir mit Los Nummer eins, einem Ölgemälde von Noel Koehn …“

Die ersten drei Lose hielt ich ganz gut durch. Danach fiel es mir schwer, die Konzentration aufrechtzuerhalten. Mehrmals ertappte ich mich dabei, wie mir der Kopf auf die Brust fiel. Peinlich, aber als ich mich umsah, sah ich den ein oder anderen Leidensgenossen. Ich hatte mir Versteigerungen spannender vorgestellt. Das Los wird angeboten, die Bieter treiben den Preis in die Höhe, zum ersten, zum zweiten und zum dritten, der Hammer fällt. Zack, fertig, aus die Maus.

In Wirklichkeit geschah nichts dergleichen. Die Lose wurden vorgestellt - ruhig, sachlich, emotionslos. Die Gebote wurden abgegeben, ebenfalls völlig unspektakulär. Der Zuschlag wurde besiegelt mit den Worten Los Nr. X an den Bieter mit der Nummer Y. Einige Lose erhielten gar kein Angebot.

Nach einer Stunde, mit prickelndem Hintern und Thrombose in Lauerstellung, war ich gar und flehte das Ende herbei. Weitere zehn Minuten später, Sekundenbruchteile vor dem Absterben meiner unteren Gliedmaßen, war es endlich so weit. Die Stimme der Auktionatorin klang wie Musik in meinen Ohren.

„Nummer achtzehn. Aus dem Besitz einer Dame. Ein Medaillon aus reinem Sterlingsilber. Genaues ist nicht bekannt, seine Geschichte aber äußerst spannend. Produziert Ende des neunzehnten Jahrhunderts in Berlin als Einzelanfertigung für die Gattin eines Adeligen, weitergegeben von Generation zu Generation, verloren gegangen in den Wirren des Zweiten Weltkriegs, unlängst bei einer Haushaltsauflösung wiederentdeckt. Beachten Sie die Vorderseite mit der fein ziselierten Oberfläche und dem aufgesetzten Kreuz.“

Sie deutete auf die Diaprojektion an der Wand, die das Medaillon in seiner ganzen Pracht zeigte.

„Schlicht, einfach, genial. Es liegt naturgemäß keine Kaufurkunde mehr vor, aber Experten schätzen den Wert auf gegenwärtig fünfhundert Euro. Wir beginnen mit hundert. Wer bietet hundert?“

Ich kam nicht dazu, die Hand zu heben. Jemand anderes war schneller.

„Einhundert sind geboten. Wer bietet zweihundert?“

Dieses Mal war ich schneller.

„Zweihundert, meine Damen und Herren. Wer bietet dreihundert?“

Ich bekam nicht mit, dass irgendwo eine Hand gehoben wurde, aber die Worte der Auktionatorin zeugten von einem weiteren Gebot. „Dreihundert. Wer bietet vierhundert?“

Wieder schnellte meine Hand in die Luft.

Fünfhundert, sechshundert, siebenhundert … „Eintausend Euro sind geboten. Wer bietet mehr?“

Ich schluckte. Schätzwert fünfhundert, Gebot eintausend. Mein Scheck war blanko und mein Auftrag lautete, das Medaillon um jeden Preis zu ersteigern. Also steigerte ich.

Eintausend. Zweitausend … Fünftausend. Es war unglaublich.

Ein Raunen ging durch den Saal. Doch immer noch hoben sich Hände vor mir in die Höhe. Achttausend. Neuntausend. Zehntausend. Mir blieb die Luft weg. Ich hob die Hand....