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Würda - ein Dorf macht Geschichte(n) - Ein Dorf im Wandel der Zeiten

Würda - ein Dorf macht Geschichte(n) - Ein Dorf im Wandel der Zeiten

Detlef Schumacher

 

Verlag BookRix, 2021

ISBN 9783748770800 , 1253 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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0,00 EUR

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Würda - ein Dorf macht Geschichte(n) - Ein Dorf im Wandel der Zeiten


 

Als gegen 23.30 Uhr einige Versammelte bereits schliefen, beendete Traugott Hampel diese richtungweisende Beratung. Ich schrieb ans Protokollende die leichtfertige Bemerkung: Ade nun zur guten Nacht!

Dem Bürgermeister kam sie sowieso nicht vor Augen, weil er Protokolle nie las.

Als die Namensvorschläge am Schwarzen Brett aushingen, reagierten die Einwohner unterschiedlich, die meisten jedoch entschieden dagegen.

 

Abschnittsbevollmächtigter Schabunke

Der Ortssheriff brachte es auf den Punkt, in dem er öffentlich erklärte, man sollte sich lieber Gedanken über Naturschutz und den Schutz von Volkseigentum machen. Um seinen nützlichen Äußerungen Nachdruck zu verleihen, stellte er sich vor das Schwarze Brett und feuerte aus seiner Dienstwaffe drei Schüsse in die Luft. Diese Ballerei traf eine Haustaube, die leblos vor Schabunkes Füße fiel. Er hob sie auf, hielt sie nach oben und erklärte den erschrocken dreinschauenden Bürgern, dass dieses tote Tier ein Beispiel dafür sei, welcher Frevel sich breit mache. Die Natur, mit allem, was in ihr kreuche und fleuche, sei zunehmender Brutalität ausgesetzt. Einem kleinen Hund, der sich dankbar an seinen rechten Stiefel stellte und ihn bepinkelte, trat er in den Hintern, dass er jaulend in die Menge flog.

„Seht ihr, so wie ich es eben getan habe, ergeht es täglich vielen kleinen und großen Lebewesen. Hilflos sind sie der Allmacht des Menschen ausgesetzt. Dagegen muss etwas getan werden!“

Diese Worte zündeten Beifall und entzündeten die Gemüter. So sehr sich Schabunke um weitere Darlegungen bemühte, in dem zunehmenden Stimmengewirr fanden sie kein Durchkommen mehr. Es wäre ihm ein Leichtes gewesen, noch einmal in die Luft zu schießen, doch den Verbrauch von mehr als drei Schuss Munition musste er bei der Polizeidirektion Hola nachweisen. Darüber hätte er einen Bericht schreiben müssen, mit Angaben über die Anzahl der Toten, der Leicht- und Schwerverletzten. Außerdem auch mit Hinweisen darauf, aus welchen Verbrecherkreisen die Opfer stammen, ob zu den Kriminellen oder politischen Gegnern zählend. Bei diesen Gedanken stöhnte Schabunke, denn Schreiben war nicht sein Fall. Großspurige Reden, ja, die konnte er schwingen. Über sie musste er keine Berichte anfertigen.

Die immer lauter werdende Menge geriet sich nun in die Haare. Die Menschen packten sich rücksichtslos an Nasen, Ohren und anderen Körperteilen. Schabunkes gut gemeinte Ratschläge veranlassten die Leute, sich gegenseitiger Tierquälerei zu bezichtigen. Von bloßer Verunglimpfung des Mastschweins als blöde Sau über den rasierten Schwanz der Hauskatze bis hin zu betrunken gemachten Hühnern reichte die Spannweite an vorgeworfenen Tätlichkeiten.

Für den Ortspolizisten waren solche offen ausgetragenen Händel nichts Außergewöhnliches. Schon als junger Mann hatte er mit Vorliebe an Massenschlägereien teilgenommen. Jedoch nur an solchen, in denen wirklich die Fetzen flogen. Kaum volljährig, trat er der Kommunistischen Partei bei. In dieser Mitgliedschaft hatte er einmal an einem Aufmarsch der KPD teilgenommen, der schließlich in einer wüsten Keilerei mit den Nazis endete. Obwohl anschließend total lädiert, trat Schabunke mit diesen Wunden in Würda als Märtyrer auf. In immer blutrünstigeren Übertreibungen berichtete er, wie auch er den Nazis aufs Maul gehauen hätte. Später nahm er an diversen Saalschlachten teil. Eine von diesen provozierte er selbst, und zwar nirgendwo anders als in Würda selbst.

Weil einige ortsansässige Sozialdemokraten seine Fähigkeit angezweifelt hatten, sich kräftig genug prügeln zu können, wollte er ihnen das im Kneipensaal beweisen. Als wieder einmal Ringelpietz angesagt war und Jung und Alt sich beim Tanze drehten, wurde diese Fröhlichkeit plötzlich durch einen Tusch unterbrochen. Auf der Bühne erschien der Jungkommunist Ernst-Günther Schabunke und brüllte in den Saal, dass es an der Zeit sei, auch einmal ein Arbeiterlied zu spielen, und zwar 'Rot Front' marschiert! Kaum gerufen, gellte aus zwei Kehlen, dass das Lied 'SA marschiert!' heiße.

Schabunke kannte die Schreier, und er freute sich, dass seine Provokation gelungen war. Die da berichtigt hatten, waren die Sozis, die seine kämpferischen Fähigkeiten angezweifelt hatten. Ernst-Günther rief: „Habt ihr gehört, Leute, diese Subjekte nennen sich Sozialisten, machen aber gemeinsame Sache mit den Nazis! Auf sie mit Gebrüll!“

Auf die beabsichtigte Wirkung seines Schlachtrufs konnte sich der Prügel-Prolet verlassen, denn Würda galt in den 20er Jahren als ausgesprochen „Rotes Nest“. Was an diesem Samstagabend so friedlich begonnen hatte, endete in einer Saalschlacht. Zu den Wenigen, die das Kampfgetümmel schadlos überstanden hatten, zählten einige Frauen und Schabunke selbst. Der hatte sich gleich nach Schlachtbeginn verkrümelt und war mit dem Fahrrad nach Bimstedt gefahren, um im dortigen Gasthof zu verkünden, dass in Würda eine Massenschlägerei im Gange sei. Was gab es für Bimstedts Raufbolde Schöneres, als wieder einmal ein Wochenende mit Handgreiflichkeiten zu beleben.

Wenige Tage später wirbelten durch Holas Straßen Flugblätter der Kommunistischen 'Roten Zelle', in denen der klare Klassenstandpunkt und der kämpferische Wille des Jungkommunisten Ernst-Günther Schabunke aus dem Dorfe Würda gerühmt wurde. Die Nationalsozialisten jedoch, die einige Jahre später auch in Würda an die Macht gelangt waren, würdigten Schabunkes Einsatz mit seiner Unterbringung in einer Verwahranstalt für politisch Andersdenkende.

Der konnte das anfänglich nicht recht begreifen und gab vor, sich ebenso gern wie die Nazis gedroschen zu haben. Von einer Ideologie sei bei ihm ebenso wenig vorhanden gewesen wie bei den Genossen Nationalsozialisten. Diese Bemerkung missfiel besonders, und so wurde Schabunke dazu verdonnert, täglich in braunen Propagandaschriften zu lesen, und zwar so lange, bis ihm speiübel werde. Ernst-Günther fand das schließlich zum Kotzen und wurde, weil er das einsah, in ein Straflager gebracht, das von dichtem Wald umgeben war. Hier fand er seine innige Liebe zur Natur und zu den Bäumen.

Der Lagerkommandant, in dessen Herz Schabunke sich geschmeichelt hatte, befahl ihm, im Wald Pilze zu sammeln. Weil der Ober-Nazi für sein Leben gern Pilzgerichte aß, bekam Ernst-Günther nun all zu oft die Gelegenheit, sich im Wald herumzutreiben. Der Lagerboss vertraute ihm so sehr, dass er ihn ohne Bewachung durch den Forst streunen ließ. Und in der Tat, Schabunke war längst geläutert, hatte seine ehemalige KPD-Mitgliedschaft geleugnet und fühlte sich in diesem Wald- und Wiesenlager bestens aufgehoben.

Nur einmal hätte ihm beinahe der Rausschmiss gedroht, weil er dem Edel-Nazi Stinkmorcheln angedreht hatte. Die Gattin des SS-Gewaltigen legte ein gutes Wort für Ernst-Günther ein, und so blieb der von der Ausweisung verschont. Die Gönnerin wollte dafür aber bedankt sein und verpflichtete Schabunke, sie des Öfteren zur Pilz-Pirsch mitzunehmen. Wenn Busch und Tann besonders dicht waren, musste sie Ernst-Günther beglücken.

Als sich die NS-Zeit dem Ende zuneigte, neigte sich auch die Zuneigung dem Ende zu. Die Pirschdame wollte ins ganz normale Zivilleben entwischen. Damit sie dabei aber weder von ihrem Gatten noch von dessen Vergangenheit eingeholt wurde, erteilte sie ihrem Liebhaber den Auftrag, unter die Speisepilze auch Giftpilze zu mischen. Der Gatte aß und verschied. Die Gattin war noch vor der Mahlzeit spurlos verschwunden, und so lastete auf Schabunke der Verdacht des Pilzmordes.

Ehe das Standgericht an ihm vollzogen werden konnte, erschienen amerikanische GIs als Befreier vor dem Lagertor. Nachdem man dem Befehlshaber dieser Truppe vermeldet hatte, dass der Lagerhäftling Schabunke den Lagerkommandanten aus dem Leben befördert hatte, wurde der Mordbube zum gefeierten Helden.

Versehen mit solcher Ehre wurde er in die Freiheit und in sein Heimatdorf entlassen. Die sowjetische Besatzungsmacht hielt es für bemerkenswert, dass Schabunke als aufrechter Kommunist einige Jahre seines Lebens in einem Lager der Faschisten zugebracht hatte. Er schien der rechte Mann zu sein, in Würda für antifaschistische Ordnung zu sorgen. Aus dem Rucksackkommunisten wurde ein uniformierter Ordnungshüter. Weil niemand im Ort wagte, an seiner Vergangenheit zu deuteln – man fürchtete die Allmacht der Russen -, wurden Schabunkes Amtshandlungen stillschweigend erduldet und befolgt.

Nun aber, Jahre später, wagte man, sich vor seiner Person in die Wolle zu kriegen. Ernst –Günther ließ den Mob gewähren. Warum sollte er eingreifen, wenn hier Selbstjustiz im Gange war. Schon morgen würde er ein weiteres Exempel statuieren, damit der Prügelhaufen Verständnis für den Schutz von Volkseigentum bekäme.

Die Vorbereitungen hierzu traf er in der folgenden Nacht. Zwei Polizeihelfer mussten einen Baum absägen, der zu einer Gruppe Gleichstämmiger nahe der Busenberge gehörte. Am nächsten Morgen stand er mitten auf dem Platz vor der Dorfkneipe. Seines Geästs und seiner Wurzeln beraubt war er als nackter Stamm in die Erde gegraben. Die Würdaer wunderten sich, dass während einer Nacht ein Baum ohne...