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Gramscis Plan - Kant und die Aufklärung 1500 bis 1800

Gramscis Plan - Kant und die Aufklärung 1500 bis 1800

Robin Dr. Jacobitz

 

Verlag Tredition, 2021

ISBN 9783347224476 , 780 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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8,99 EUR

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Gramscis Plan - Kant und die Aufklärung 1500 bis 1800


 

Kant stellte vier Fragen in weltbürgerlicher Absicht

Kants Ordnung für eine Philosophie in weltbürgerlicher Absicht: Vor der modernen europäischen Philosophie, die in der Epoche der Aufklärung entstand, gab es bereits die chinesische, die indische, die orientalische und die griechische Philosophie sowie die katholische Religion als Philosophie des feudalen Mittelalters in Europa. Die Philosophie beschäftigt sich dementsprechend mit unüberschaubar vielen Themen. Wie kann aus dieser Fülle eine Auswahl vorgenommen, wie kann eine Ordnung, wie kann ein roter Faden aussehen, der die philosophischen Erkundungen Gramscis sinnvoll strukturiert? Die Lektüre der einschlägigen Passagen in Gramscis »Gefängnisheften« ergab, dass Gramsci selbst eine klassische Ordnung wählte. Diese Ordnung in der Philosophie entnahm Gramsci dem Werk Kants; sie wird durch vier Fragen gebildet. Diese Fragen lauten:

1. Was kann ich wissen?

2. Was soll ich tun?

3. Was darf ich hoffen?

4. Was ist der Mensch?20

Die Bedeutung dieser Fragen soll im Folgenden kurz skizziert werden, um den Lesern eine etwas erweiterte Vorstellung von dem zu vermitteln, was in diesem Buch Philosophie bedeutet. Kant beabsichtigte mit diesen 4 Fragen »das Feld der Philosophie in dieser weltbürgerlichen Bedeutung«21 zu beschreiben. Mit dem Begriff »weltbürgerlich« stellte Kant im späten 18. Jahrhundert eine von ihm konzipierte bürgerliche Weltordnung der untergehenden feudalen Welt gegenüber. Kant erarbeitete anhand dieser vier Fragen seine Aufklärungsphilosophie als eine Alternative zu der Philosophie, die in der feudalen Gesellschaft vorherrschte. Seine Antworten auf diese Fragen erfassen den Menschen als ein Wesen, das das Potenzial hat, als ein vernünftiges Wesen selbstständig zu denken und zu handeln, als einen Weltbürger und einen Demokraten, der sich gemeinsam mit allen anderen Bürgern seine eigenen Gesetze und damit seine Würde gibt.

Diese Fragen und ihre Lösungsversuche umfassen in der Tat den innersten Kern der Philosophie: Der deutsch-amerikanische Philosoph Herbert Marcuse (1898−1979) schrieb 1941 zur Aktualität der Kantschen Fragen: »Diese Fragen und ihre Lösungsversuche umfassen in der Tat den innersten Kern der Philosophie, ihr Interesse an den wesentlichen Möglichkeiten des Menschen inmitten der Misere des wirklichen Daseins.«22 Mit der Konzentration auf diese 4 Fragen soll die Erörterung anderer philosophischer Fragen und Methoden nicht herabgesetzt werden. Verallgemeinernd lässt sich aber sagen, dass jede Philosophie von historischem Rang diese vier Fragen in der einen oder anderen Weise direkt oder indirekt beantwortet hat. Die Begründung dafür, dass gerade diese 4 Fragen bei einer geschichtlichen Betrachtung des Menschen im Vordergrund stehen müssen, sowie die Darlegung ihrer inneren Architektur werden sich durch das gesamte Kapitel »Kant und die Aufklärung 1500 bis 1800« hindurchziehen.

Was kann ich wissen?

Die Frage »Was kann ich wissen?« untergliedert sich in vier Themenbereiche:

1. In die Erkenntnistheorie mit der Frage, wie Erkenntnisse gewonnen werden,

2. die Wissenschaftstheorie mit der Frage, wie wird wissenschaftliche Forschung betrieben und wie ist der Charakter ihrer Ergebnisse zu bestimmen,

3. die Religionsphilosophie mit der Frage, was kann ich über Gott wissen, und

4. die Geschichtsphilosophie mit Frage, was kann ich über die menschliche Geschichte wissen.

Die Erkenntnistheorie: Wie werden Erkenntnisse gewonnen? Das philosophische Fachgebiet Erkenntnistheorie bezieht sich auf die Voraussetzungen, Bedingungen und Möglichkeiten des Menschen Erkenntnisse zu gewinnen und zu Wissen zu verdichten. Die Grundfragen lauten also: Was ist eine Erkenntnis und wie entsteht sie? Daran gekoppelt sind weitere Fragen: Wie denkt der Mensch? Wie werden die Erscheinungen der Außenwelt im Bewusstsein der Menschen verarbeitet? Wie werden theoretische Erkenntnisse zu praktischem Wissen? Worin liegt die Wahrheit des erlangten Wissens? Gibt es ewige oder absolute Wahrheiten? In der Erkenntnistheorie entwickelten sich ausgehend vom feudalen Mittelalter über die Aufklärung bis hin zu Kant, Hegel und Marx und seinen Nachfolgern verschiedene Strömungen, die im Folgenden dargestellt werden. Im Zentrum der Erkenntnistheorie Kants stand die »Kopernikanische Revolution«, das heißt die Ersetzung von religiösen Vorstellungen über die Verhältnisse in der Natur durch Begriffe der Vernunft. Kant entwickelte daraus seine Lehre vom Begriff, die auf der Prämisse aufbaut, dass jede Erkenntnis einen Begriff erfordert.

Die Wissenschaftstheorie: Wie wird wissenschaftliche Forschung betrieben und wie ist der Charakter ihrer Ergebnisse zu bestimmen? Aus den verschiedenen Strömungen in der Erkenntnistheorie entwickelten sich ganz unterschiedliche Auffassungen darüber, wie wissenschaftliche Forschung betrieben wird. Wird das Werk Gottes erkannt, werden die erkannten Gesetze der Natur entnommen oder besteht die wissenschaftliche Forschung aus vernünftigen Konstruktionen, deren Gehalt an den Erscheinungen der Welt überprüft wird. Eine Besonderheit der Philosophie Gramscis liegt darin, dass er die jeweils vorherrschende Erkenntnistheorie mit einem wissenschaftlichen Weltbild verknüpft. Mit einem wissenschaftlichen Weltbild wird ein Bild von der Erde im Universum gezeichnet, in dem sich das naturwissenschaftliche Wissen der Menschheit zusammenfasst. Gramsci diskutiert insgesamt vier verschiedene Weltbilder: Das religiös geprägte ptolemäische Weltbild des späten Mittelalters, das mechanische Weltbild von Isaac Newton, das als wissenschaftlicher Durchbruch in der Epoche der Aufklärung gilt, ein mechanistisches Weltbild, das in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts dominant wurde, und das relativistische, das sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts herauskristallisierte und mit dem Namen Albert Einstein verbunden ist. Die Beschäftigung mit wissenschaftlichen Weltbildern, ihrer Entstehung und dem Übergang von einem Weltbild zu dem nächste resultiert in einer Theorie über Theorien und wird heute als Wissenschaftstheorie bezeichnet.

Die Religionsphilosophie: Was kann ich über Gott wissen? Aus dem weiten Feld der Religionsphilosophie soll hier nur die zentrale erkenntnistheoretische Frage Kants herausgegriffen werden; sie lautet: »Ist Gott?«23 Kant wies nach, dass alle damals gängigen Beweise der Existenz Gottes nicht haltbar waren. Er stellte weiterhin fest, dass Gott auch in den Erscheinungen der Welt nicht nachgewiesen werden könne. Die Ergebnisse seiner Untersuchung über die Existenz Gottes und der christlichen Dogmatik mündeten in eine Kritik der Religion und insbesondere der christlichen Konfessionen ein.

Die Geschichtsphilosophie: Was kann ich über die menschliche Geschichte wissen? Die Philosophie der Geschichte bezieht sich nicht auf einzelne Ereignisse, Vorgänge und Resultate in der menschlichen Geschichte. Die Frage »Was kann ich wissen?« zielt auf die ganze Menschheitsgeschichte, auf die großen Epochen und Epochenübergänge in der Geschichte ab. Geschichtsphilosophien können in zwei Teile untergliedert werden: In einen Teil, in dem die Kriterien für die Daten begründet werden, die in der Geschichte zu sammeln, zu ordnen und zu untersuchen sind. Daraus ergibt sich die Geschichtsschreibung. Der zweite Teil besteht in einer Interpretation der festgestellten Daten. Sind Fortschritt oder Rückschritt erkennbare Tendenzen in der Menschheitsgeschichte, tritt die Menschheit auf der Stelle oder kann nur das Chaos – ohne Muster und Tendenz – festgestellt werden? Kant, Hegel und Marx entwickelten jeweils eine eigene Geschichtsphilosophie. Die bekannteste ist die von Marx, der 1848 im »Kommunistischen Manifest« schrieb: »Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen.«24 Nachdem die Geschichtsphilosophien von Kant und Hegel den Lesern vorgestellt wurden, können sowohl der Gehalt der klassischen deutschen Philosophie in der Geschichtsphilosophie von Marx aufgedeckt, als auch die Neuerungen, die er vornahm, herausgearbeitet werden. Nachdem diese Arbeit getan ist, lassen sich die Wandlungen feststellen, die die materialistische Geschichtsauffassung von Marx im Werk seines Weggefährten Engels, bei dem deutschen sozialdemokratischen Parteiphilosophen Kautsky und bei den russischen Marxisten erfahren hat. Gramscis Geschichtsphilosophie knüpft an die Linie Kant-Hegel-Marx an und enthält eine strikte Absage an den Determinismus jener Variante des historischen Materialismus, die sich basierend auf den Ausführungen von Engels und Lenin in der Sowjetunion durchsetzte und von dort aus zu einer weltgeschichtlichen Macht wurde.

Was soll ich tun?

Aus der Sittlichkeit der bürgerlichen Gesellschaft entwickelte Kant die politische Philosophie der demokratischen Republik: Mit der Frage »Was soll ich tun?« wird in der Philosophie das Feld der Ethik...