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Die Geschichte eines 'deutschen' Beamten - Der lange Weg in eine neue Heimat

Die Geschichte eines 'deutschen' Beamten - Der lange Weg in eine neue Heimat

Xuqiang Zheng

 

Verlag epubli, 2021

ISBN 9783753156392 , 192 Seiten

2. Auflage

Format ePUB

Kopierschutz frei

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5,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Die Geschichte eines 'deutschen' Beamten - Der lange Weg in eine neue Heimat


 

Kapitel I

 

Nach einer Legende existierten in der chinesischen Astrologie 13 Tierkreiszeichen. Um mit ihnen zu feiern, lud Buddha sie eines Tages zu einem Fest ein. Er beauftragte die Maus, die hier zu Lande auch als Ratte genannt wird, den anderen Tieren davon zu erzählen. Wie es ihr aufgetragen wurde, erzählte die Maus den anderen Tieren vom Fest. Weil sie die Katze ärgern wollte, gab sie ihr jedoch gegenüber einen späteren Tag an. So geschah es, dass alle Tiere bis auf die Katze zum Fest erschienen. Als Geschenk bekamen Maus, Ochse (bzw. auch als Büffel bekannt), Tiger, Hase, Drache, Schlange, Pferd, Ziege (bzw. Schaf), Affe, Hahn, Hund und Schwein jeweils ein Jahr zugeteilt. Das erste Jahr bekam die Maus. Auf dem Weg zum Fest ritt sie auf dem Rücken des schnellen Ochsen. Vor dem Ziel sprang sie vom Ochsen und stand als erstes Tier vor Buddha. Die Katze ging aber leer aus, da sie wegen der Maus den Festtag verschlief.

Einer anderen Legende zufolge liefen die Tiere den Weg zu Buddha um die Wette. Als sie zu einer Brücke kamen, gab die Maus der Katze einen Stoß, sodass diese ins Wasser fiel. Während die anderen Tiere weiterliefen, kletterte die Katze aus dem Fluss und trocknete ihr Fell an der Sonne. Deswegen kam zu spät zum Fest, und ihr wurde kein eigenes Jahr zugeteilt. Die Feindschaft zwischen Katze und Maus bestand daher seit dem Tag und das ist der Grund, warum die Maus von der Katze gejagt wird.

 

Es war der 27. des zwölften Monats des Mondkalenders, als ich geboren wurde. 1967 war das Jahr der Ziege, genauer gesagt das Jahr der Feuerziege. Normalerweise wird zwischen 12 Sternzeichen, die sich alle 12 Jahre wiederholen, unterschieden. Durch die Kombination der 12 Tierkreiszeichen mit den fünf Elementen Holz, Feuer, Erde, Metall und Wasser, die die Kraft einer Entwicklung, d. h. die Kraft für Wandlungen im Bereich des Lebendigen, des Werdens und Vergehens darstellen, sind es 60, die sich naturgemäß alle 60 Jahre wiederholen.

Im Gegensatz zum gregorianischen Kalender besteht der Monat des chinesischen lunisolaren Kalenders abwechselnd aus 29 oder 30 Tagen, da die Zeit zwischen zwei Neumonden 29,53 Tage beträgt. Dementsprechend hat der chinesische Mondkalender nur 354 Tage, sodass nach zwei oder drei Jahren ein 13. Monat, sogenannter Schaltmonat, eingefügt werden muss, damit keine Verschiebung der Jahreszeiten entsteht und das Jahr immer zwischen dem 21. Januar und dem 21. Februar beginnt.

 

Auch bei der Berechnung des Lebensalters unterscheidet sich die Chinesische von der Europäischen. Bei den Chinesen ist ein Kind bereits ein Jahr alt, sobald es das Licht der Welt erblickt. Zum 1. Neujahrstag ist es dann schon zwei Jahre alt. So wurde ich bereits ein paar Tage nach der Geburt zwei Jahre alt. An diesem Tag wurde ich mit Hilfe einer Hebamme als achtes Kind in meine Familie geboren. Bei der Hebamme bedankte ich mich, nach der Erzählung meiner Mutter, mit einem Strahl frischen Pippis, nachdem sie mich - wie es bei Geburten üblich war - kopfüber an den Beinchen hochzog und mir auf den Hintern klopfte. Vermutlich veranlasste meine Gegenwehr gegen die Schläge der Hebamme meine Eltern, mir den Namen “Weiter Stark“ zu geben.

 

Bei der Geburt hatte ich ein Muttermal auf der Brust, der im Laufe der Jahre verblasste, jedoch noch erkennbar ist. In Kambodscha ist es üblich eine verstorbene Person an irgendeinem Körperteil mit einem Zeichen zu kennzeichnen, damit die Familie sie wiedererkennt, wenn sie zufällig in der gleichen Familie wieder geboren wird. Also deutete das Muttermal auf meiner Brust daraufhin, dass ich schon einmal gelebt hatte. Doch zu welcher Familie gehörte ich im früheren Leben? Das Zeichen war meinen Eltern unbekannt. Offensichtlich wählte ich für dieses Leben eine andere Familie aus, obwohl meine jetzigen Eltern mich nicht mehr erwarteten.

 

Als Nachzögling bekam meine Mutter mich erst mit 46 Jahren. Ob gewollt oder ungewollt, auf jeden Fall war ich da. Ob meine Eltern sich des Risikos bewusst waren, in diesem Alter noch ein Kind zu bekommen? In der Schule war meine Mutter nie gewesen. Dafür war ihre Familie zu arm. Außerdem durften Mädchen zur Zeit ihrer Kindheit nicht zur Schule gehen. Damals vertraten die Menschen die Auffassung, dass Schulausbildung für Mädchen Geldverschwendung sei, da sie nach der Heirat nur den Haushalt führen und daher keine Schulbildung benötigen würden. Hierbei wurde meines Erachtens zu kurz gedacht, denn hauptsächlich waren Mütter für die Erziehung der Kinder verantwortlich. Wie konnten sie den Kindern eine gute Erziehung ermöglichen, wenn ihnen selbst die Bildung vorenthalten wurde? Außerdem durften Mädchen nicht die Schule besuchen, weil befürchtet wurde, dass sie Liebesbriefe schreiben könnten, was sich für ein Mädchen nicht schickte. Auch heute bleibt – zumindest in Kambodscha und in den ländlichen Gegenden Chinas - höhere Schulbildung meist nur den Männern vorbehalten. Viele Frauen brechen die Schule vorzeitig ab, um zu Hause zu helfen oder zu heiraten, denn ab einem Alter von 20 bzw. (in China) 25 Jahren gelten Frauen als alt und haben Schwierigkeiten einen Mann zu finden.

Höhere Bildung ist den Frauen in der Regel auch ein Hindernis, denn manche Männer wollen keine Frau mit einem hohen Bildungsniveau. Sie bevorzugen eine Frau ohne oder nur mit geringer Bildung, weil sie die Ansicht vertreten, dass Frauen mit hohem Bildungsniveau sich nicht unterordnen und ihnen widersprechen würden. Frauen mit hoher Bildung werden meistens auch gemieden, weil diese stolz und hochnäsig seien. Ist das wirklich so? Hören ungebildete Frauen wirklich mehr auf ihre Männer? Es gibt auch andere Beispiele. „Einbildung ist auch eine Bildung“. Jedoch kann eine Frau mit einer solchen „Bildung“ sehr anstrengend sein. Insbesondere wenn diese sich einbildet, alles besser zu können und besser zu wissen als der Rest der Familie. Von ihren Taten ist sie stets überzeugt, dass diese richtig seien. Andere Meinungen sind nicht zugelassen. Der Mann sei ein Dummkopf und die Kinder würden nichts wissen, weil sie Kinder seien. Immer wieder wirft sie ihrem Mann vor, er sei an ihrer Erkrankung schuld, weil er eine postnatale Bettruhe, bei der der frisch Entbundenden einen Monat lang verboten ist, das Haus zu verlassen, zu duschen sowie die Haare zu waschen und nur wenn es nötig ist, aufzustehen, für nicht notwendig hielt und sie deswegen nach der Geburt der Kinder auch keine hatte.

 

Im Gegensatz zu meiner Mutter konnte mein Vater hingegen in China zwei Jahre zur Schule gehen. Länger konnten die Eltern seine Schulbildung als Bauernfamilie nicht finanzieren. Doch auch wenn sie beide eine richtige Schulausbildung genossen hätten, wäre sexuelle Aufklärung ihnen doch fremd geblieben. Dieses Thema war in der Schule sowohl in China als auch in Kambodscha verpönt. Über so etwas sprach man nicht in der Öffentlichkeit. Über so etwas sprach man besonders nicht vor den Kindern. Wenn die Zeit dafür gekommen war - und das war meistens vor der Heirat -, wurden die Mädchen von der Mutter und die Jungen vom Vater aufgeklärt - sofern man von einer Aufklärung sprechen konnte.

In den asiatischen Kulturen ist das Thema zum größten Teil immer noch ein Tabuthema. So wissen heute z. B. in China die meisten Jugendlichen gar nicht über Verhütung oder gesundheitliche Risiken Bescheid. Sogar im modernen Peking werden Jahr für Jahr tausende Schwangerschaften abgebrochen, weil Frauen ungewollt schwanger werden.

 

Meine Familie gehört zur Volksgruppe der Han-Chinesen, die etwa 90% der Bevölkerung Chinas ausmacht. Die restlichen 10% teilen sich weitere 55 Volksgruppen. Aufgrund der Vielfalt der Sprachen (9 chinesische Sprachen und über 50 Sprachen der Minderheiten, die nicht zur chinesischen Sprache gehören) dient Mandarin als Hauptsprache, welche in der Vergangenheit in den Schulen nicht als Pflichtsprache unterrichtet wurde.

 

Die Geschichte meiner Familie begann mit der Übersiedlung meines Vaters von China – mit Zwischenaufenthalt in Vietnam - nach Kambodscha. Die Familie meines Vaters - eine Bauernfamilie - bestand aus den Eltern, vier Söhnen und einer Tochter, die aus Kummer starb, weil ihr Mann während des Krieges zwischen Japan und China getötet wurde. Sie wohnten in einem Dorf im Süden Chinas mit dem Namen Mianyang. Es ist das Dorf der Zheng. Alle Familien besitzen den Nachnamen Zheng. Sie sind Angehörige einer Sippe, die väterlicherseits vom selben Stammvater abstammen. Deswegen sind alle Menschen im Dorf streng genommen miteinander verwandt.

 

Nach dem Untergang der Qing-Dynastie und des letzten Kaisers Pu Yi herrschten in China zwischen 1911 und 1949 Chaos und bürgerkriegsähnliche Zustände. Noch dazu kam der Krieg zwischen Japan und China. In dieser Zeit herrschte große Armut. Auch die Familie meines Vaters war trotz Reisanbau von Armut geplagt, u. a. weil sie einen Teil der Ernte abgeben mussten, denn das Land, auf dem sie Reis anbauten, war nur gepachtet. In manchen Gebieten kam es zu Hungersnöten. In dieser Zeit wanderten viele Chinesen ins Ausland aus. Sie gingen nach Vietnam, Thailand, Kambodscha und andere Länder. Sie verließen Land und Familie, um in einem fremden Land Geld zu verdienen. Dieses schickten sie nach Hause, um die zurückgebliebene Familie zu ernähren. Auch mein Vater war nun Ernährer der Familie, da sein ältester Bruder, der die Familie als erster verließ, in den Wirren umgekommen war. So verließ mein Vater als zweitältester Sohn 1937 mit 27 Jahren das Dorf Mianyang in der Provinz Guangdong in Südostchina mit der Hoffnung, eines Tages, nachdem er genug Geld verdient hatte, die Heimat und die Familie wiedersehen zu können. Doch dazu kam es nie.

Ohne Hab und Gut und ohne Geld...