Suchen und Finden

Titel

Autor

Inhaltsverzeichnis

Nur ebooks mit Firmenlizenz anzeigen:

 

Ankunft ohne Wiederkehr - Teil 3 - Jasons Fall und Aufstieg im Tornado des Abends

Ankunft ohne Wiederkehr - Teil 3 - Jasons Fall und Aufstieg im Tornado des Abends

Vicky Lines

 

Verlag epubli, 2021

ISBN 9783753160597 , 386 Seiten

2. Auflage

Format ePUB

Kopierschutz frei

Geräte

0,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Ankunft ohne Wiederkehr - Teil 3 - Jasons Fall und Aufstieg im Tornado des Abends


 

Familie plus eins


George Haggerthon, London, 29. Dezember 2015, Dienstag

 

Angesichts der heutigen Erkenntnisse, machte sich noch keine Endzeitpanik breit, bedenklich war das Verschwinden meines Bruders der größte Punkt, den ich in meinem Leben schon seit zwei Tagen eingeräumt hatte. Zwischen ihm und mir gab es diverse Missverständnisse. Dabei ging es immer um meine Familie und meine Rolle darin. Die Beziehung und Ehe mit Barbara entzweite uns. Weswegen? War doch klar, dass meine heimlichen Ausflüge falsch interpretiert wurden. Zurecht. Denn sobald auch nur einer in meinem Umfeld damals mitbekommen hätte, wäre es um unsere Sicherheit arg schlecht bestellt gewesen. Ich tat in unserem Disput so, als ginge es mich nichts an, umso schwerer lagen alle Beschuldigungen zwischen uns. Mit der Zeit ebbte der Kontakt ab, was ich nun bereute, jeden verdammten Tag beim Gang zum Familienessen. Diana glich unser beider Leben im Detail ab. Oberflächlich riefen wir uns hin und wieder an. Unsere Kindheit widersprach dem jetzigen Stand. Doch nun bedurfte es nur ein paar kleiner Schritte zum Wolseleys, unserem Stammlokal für die familiären Zusammenkünfte. Kaum betrat ich das Restaurant, welches früher einmal ein Autohaus gewesen war, begrüßte mich einer der Oberkellner und geleitete mich zu meinem reservierten Tisch. Die Atmosphäre beruhigte mich heute nicht, weil Samantha das erste Mal mit zugegen sein würde. Den Mantel gab ich ab, bevor ich an den Tisch trat. Da saß eine wunderschöne Frau mit hochgesteckten Haaren, passenden Haaraccessoires, eingepackt in einen Hosenanzug mit einer weißen Bluse und dem frech hochgeschlagenen Kragen. Der Schmuck verzierte dieses Bild. Zwei große Augen leuchteten mir eindrucksvoll zwischen den rauchig geschminkten Augenrändern entgegen. Eine leichte Röte überflog flüchtig ihre Wangen und flohen hinab zum Hals. Wie reizend, wie einmalig, wie anders. Mir fiel auf, wie ich beim Anblick ihres Halses kleben blieb. An diesem Hals fehlte etwas. Falten. Da war nicht eine Falte. Als sich ihr Mund leicht öffnete, schüttelte ich den Kopf.

Jason klang ein wenig traurig: „Das war nur ein halbes Weihnachtsfest. Erst meine abwesende Schwester, dann mein verschwundener Onkel und auch kein obligatorisches Weihnachtsessen.“

Ferngesteuert legte ich meine Hand auf die Schultern meines Sohnes und sagte in die Runde: „Gebt mir und Samantha etwas Zeit, damit wir uns organisieren können. Es wird anders, vielleicht besser, aber bestimmt mit noch mehr Liebe und Wärme.“

„Ganz tolle Rede Dad, eingeübt?“, wollte Jenny deutlich gelöster erfragen.

„Echt mal, wo bleibt deine Ironie? Warum wirst du rot?“, intervenierte selbstverständlich meine mittlerweile aufgeweckte Livi, die mich sehr an meine Jugend erinnerte.

Diana sah zwischen mir und Samantha hin und her. Hinsetzen, entschied ich mich, vor jeder Rechtfertigung. Neben ihr wartete mein Platz.

„Das war doch alles nicht geplant. Falls ich euch störe, kann ich“, sagte die Berlinerin, doch meine Mutter unterbrach sie mit einer herrischen Handbewegung.

„Samantha gehört ganz gewiss in diese Runde. Jeder von uns erlebte im vergangenen Jahr Ereignisse, die uns Angst machten. Jason begreift, dass sein eigenes Leben nun in seinen Mittelpunkt rückt. Jenny, ich weiß gar nicht, wie glücklich bin, dass wir dich hier unversehrt, lebendig und gesund bei uns haben können. Du wirst wahrscheinlich erwachsener, reifer, viel reifer, in das nächste Jahr starten. Und ich sage dies, weil ich mir der Tragweite darüber sehr wohl bewusst bin. Und dann ist da Livi, die wie eine Blume aufblüht. Endlich bist du angekommen im Leben. Mein Sohn, was soll ich sagen. Letztes Jahr saß ein stiller, in sich gekehrter, trauriger Mann hier neben mir. Ein ehrliches Lächeln kam mir wie ein Lottogewinn vor. Doch ich habe meinen Sohn zurück, diesen energiegeladenen, intelligenten Jungen mit allen Visionen, die du dir ausdenkst. Und dann dich Samantha“, hielt meine Mutter inne.

Ich fasste es nicht, ihr lief eine kleine Träne über ihre Wangen, als sie sich räusperte. Verlegen griff meine Mutter nach ihrem Aperitif. So kannte ich sie gar nicht, hochemotional. Tief holte sie Luft, senkte ihren Blick, konzentrierte sich und fasste Mut, wie es schien. In ihrem wundervoll stilvollen Kleid, mit winzig kleinen gelben und violetten Blumenornamenten auf dem dunkelblauen Kleid, strafte sie den üblichen englischen Geschmack vieler Ladys Lügen. Heute trug sie keinen Hut, was mich etwas verwunderte. Livi und Jenny entschieden sich für Röhrenjeans, lange Mäntel und Pullover. Dünne, die ich ihnen letztes Jahr geschenkt hatte. Nie hätte ich gedacht, dass sie diese jemals tragen würden. Jenny verschönerte den schlichten Pullover mit einer Brosche Barbaras. Livi trug eine lange Kette. Jason präsentierte legeren Anzugstil. Ja, es war wirklich anders.

„Du, hast uns gerettet. Uns alle am Tisch hast du berührt. Wie kann ich dir jemals Danke sagen? Wir sind bis auf einen Fehlenden, alle noch hier. Für mich, bist du ein Engel“, dann kippte sie das kleine Glas mit Martini in einem Rutsch hinunter.

Alle starrten wir auf die hervorragend gealterte Dame des Haggerthon-Clans, bis auf Samantha, die schniefte kurz kopfschüttelnd.

„Diana, nicht doch. Ein Engel bin ich nie gewesen. Aber ich liebe deinen Sohn, diese beiden so aufregenden beiden jungen Damen und den großen schnittigen Gentleman. Nie konnte ich eine Familie gründen, aber vielleicht habe ich nun eine gefunden? Weißt du, auch ich fühle mich hier wohl unter euch. Auch dir gebührt ein Lob, weil du immer dagewesen bist, wenn man dich brauchte. Gemeinsam, weißt du? Zusammen“, unterbrach meine Mutter ihre Antwort, in dem sie Samanthas Hand griff und zudrückte.

Als endlich das Essen serviert wurde, begann sich die emotionale Lage zu entspannen. Wir lobten und tadelten abwechselnd unser Mahl und die Getränke. Mir offenbarte sich ein Gefühl von tiefer Zufriedenheit. Leicht drückte ich mein linkes Knie gegen Samanthas, damit sie auch merkte, wie sehr ich ihre Gegenwart zu schätzen wusste. Alles Gesagte entstammte aus den Ereignissen der letzten Monate. Und diese atemberaubende Frau neben mir, hatte zu mir gehalten, einem alternden Polithasen mit zweifelhafter Vergangenheit und abebbenden Komplexen.

In meinem Lieblingssessel sitzend schielte ich am Buch vorbei, wo eine entspannte Sammy durch den Salon schlendert und amüsiert die Portraits an den Wänden bestaunte. Neugierig betrachtete meine Freundin endlich die alten Bücher in den Regalen. Es zu genießen, ihr zuzusehen, erfüllte mich mit einem Wohlwollen. Nebenbei gestattete ich es mir, meinen Whisky zu trinken. Samantha wollte nichts vom Alkohol abhaben oder kosten. Ihr war der Rotwein zum Steak genug des Guten gewesen. Das Essen gestaltete sich als ein so wundervolles Gesamtkunstwerk, dass ich mir wünschte, es öfter zu wiederholen. Gut grinsen musste ich, als ich ihr am Ende auf schärfste verbot, auch nur daran zu denken, ihr Geld zu zücken. Über Samanthas Rolle in meiner Zukunft fielen jetzt gerade alle Würfel. Sollte ihr Besuch, weiterhin meine Lebensgeister beflügeln, band es uns viel enger an sie. Letzte Nacht fielen wir über uns im Bett her. Neugier trieb uns zu zahlreichen kleinen Toden auf beiden Seiten. Erstaunlich, wie sehr ich diese Intimität vermisst hatte.

„Können wir mal offen reden, Nasenbär?“, fragte sie leise und unsicher, um mich aus meiner Fantasie zu reißen.

Vorsichtshalber stellte ich mein Tumbler ab. Wer weiß, was nun kam. Kein gutes Ende an diesem durchwachsenen Tag zu erleben, nahm ich an. Sie wartete auf mich, wies ihr den andern Sessel zu, in den sie sich ganz bedächtig hineinschob. Diese Eleganz stockte mir den Atem. Obwohl ich bei ihrem Anblick dauernd an unsere nächtlichen Sportlektionen dachte, zwang ich mich, mich zu konzentrieren.

„Henrys Verschwinden bereitet mir zunehmend Sorgen. Du solltest mir dabei mitteilen, welche Rolle mir dabei zugedacht wird. Schließlich bin ich beim letzten Eingreifen gerade so einem Verweis des Landes entgangen“, ratterte sie ihr Problem herunter.

Stirnrunzelnd resümierte ich flink die heutigen Informationen. Henry befand sich nicht mehr in Großbritannien. Sein Verschwinden stellte sich nach und nach als ungeplant und übereilt heraus. Vielleicht sogar eine Entführung oder Erpressung steckte hinter dem ganzen Mysterium. Niemand kannte die Beweggründe meines Bruders. Verflixt noch mal, wann hörten endlich diese beengenden Überraschungen auf. Also antwortete ich gemäßigt aber gefasst auf alle seltsamen Andeutungen ihrerseits.

„Sammy, ich möchte, dass du einfach meine Liebste, meine Freundin bist. Bitte halte dich, so gut du es kannst, heraus. Ich bin mir bewusst, dass es dich vielleicht verletzt, doch möchte ich nicht, dass du wieder so viel riskierst. Sollte es zu einer brenzligen Situation kommen, melde dich“, war meine zutiefst ehrliche Meinung.

Doch insgeheim wusste ich, dass es ein Wunschdenken, ein verhängnisvoller Trugschluss war, damit meiner starken dunklen und mitunter eigenwilligen Freundin einen guten Ratschlag erteilt zu haben. Keine Widerworte, keine Neugier, keine Nachfrage, nur ein kurzes freundliches Kopfnicken reichte mir. Heckte sie etwas aus? Nicht mit dieser entspannten Haltung. Mein Pantherchen schnurrte zufrieden. Bei Katzen weiß man nie so richtig, was in ihnen vorgeht. Heute nach dem Frühstück beobachtete ich diese wunderschöne Frau bei einem Workout, was mich innerlich erschauern und erregen ließ. Auf der einen Seite stand die Kompromisslosigkeit ihrer Übungen auf der anderen diese unglaubliche Eleganz, alles leicht aussehen zu lassen. Ja, Samantha...