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Prosa

Prosa

Allen Ginsberg, Michael Kellner

 

Verlag Aufbau Verlag, 2022

ISBN 9783841228499 , 384 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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18,99 EUR

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Prosa


 

Prosa-Beitrag zur kubanischen Revolution5


Ich saß in einer wunderbaren Bar, und gegenüber versammelten sich die griechischen Jungs, sie sind freundlich, und die Liebe zwischen Männern ist bei ihnen wie bei Platon, die ganze klassische Szene intakt, völlig ohne Schwuchtelei, eine große Erleichterung zu sehen, dass es wirklich so ist und so gut wie das Ideal, aber real. Obwohl ich mich inzwischen gehemmt fühle und außer ein paar nicht so befriedigenden Affären mit Jungs, die ich wegen Schwanz angebaggert habe, ohne verliebt zu sein, war ich nicht allzu promiskuitiv und lass mich auch nicht allzu sehr ein, aber beobachte die Szene aufmerksam und bin in Gesellschaft von Männern, die ansprechbar sind, was heißt, meine Gefühle sind nicht ausgesprochen schwul, sondern kommen irgendwie aus einer alten menschlichen Liebesgeschichte.

Das wird sowieso ein langer Quatschbrief, kann es also ebenso gut entspannt angehen und zu dem Punkt kommen, der mich beschäftigt, da magst du recht haben, unterbrich mich, was machen wir mit der Politik, Kuba, der menschlichen Geschichte, was sollte ich machen, und was machst du. Ich wusste nicht, dass ich ein solches Ungeheuer für dich bin, ich meine, was deine Achtung betrifft und dein Bewusstsein, allerdings habe ich genau das bei vielen Menschen versucht, das ist das Bild, das ich von mir selbst hatte als Dichter-Freund aufseiten der Liebe und des Wilden-Guten. Das ist das Karma, das ich wollte, ein Heiliger sein. Das habe ich jedenfalls Van Doren erzählt und mich selbst so geträumt; obwohl ich in den Himmel kommen wollte, ohne wie früher einen hässlichen Preis dafür zu zahlen. Prophetie ohne Tod als Konsequenz, kichernd ins Paradies, diesen Traum wollten Peter [Orlovsky] und ich teilen; das war das ideale sanfte Gefühl in Bezug auf Kerouac und andere meiner Helden, Neal, Bill, auch Huncke; und alle, die kapierten, was da abging. Das ist immer noch ein exklusiver Club; und mein Maßstab damals war das Gefühl von persönlichem Genie und Akzeptanz der Fremdartigkeit in Menschen, wie auch ihrer Nobilität; sich aus Konflikten und der Politik herauszuhalten, sich an dostojewskische-shakespearehafte Kenntnisse zu halten, Wissen von Dingen wie Sterblichkeit, Tränen, Vergänglichkeit, Heiligkeit – sich nicht auf die ein oder andere Seite einer Idee zu schlagen, wie gravierend sie auch sei, Bedingtheit und Grenzen aller Urteile und Kritiken zu verstehen, auf den Engel des weiten Bewusstseins in uns zu vertrauen, um jederzeit mit jedem zu sympathisieren und Mitgefühlt zu empfinden, sogar mit Hitler, denn das ist ebenso natürlich, wie es bei Whitman natürlich ist, alle gleichzeitig zu sein, und wie bei Dostojewski die Seltsamkeit aller zu verstehen, auch wenn das widersinnig zu sein oder zu Widersprüchen zu führen scheint; dem Willen, mitfühlend zu bleiben, sogar mit dem Trilling, ebenso wie mit Dieben oder Selbstmördern oder Mördern. All das in der Atmosphäre der Freiheit Amerikas und ihr angemessen, wo wir nicht direkt von Hunger oder Auslöschung bedroht sind; außer im Angesicht und berührt von persönliche Selbstmordtoden, vor denen ich zurückscheue. Insofern waren Bill und Jack dahingehend meine Monster, dass sie die weitherzigen, lustigen Geister waren, in denen ich mein Lebensgefühl wiedererkannte, durch deren Augen ich sah; Jack sagte mir immer wieder, ich sei ein »haariger Verlierer«, schalt meine Versuche, leer zu sein, moralische Grundsätze mit dem Verstand zu regeln, erkannte meine Eitelkeit, auf der Bühne heulen6 zu wollen und ein Held zu sein oder berühmt oder ein Anführer oder Intellektueller, überlegen zu sein durch Verstand-Intelligenz, zu kritisieren, sich auf Politik einzulassen, was in seinen-meinen Augen immer ein vergeblicher Versuch ist, Macht zu erlangen und andere Menschen zu beeindrucken, was letzten Endes immer darauf hinausläuft, um Entscheidungen und Abwicklungen und Unfreundlichkeiten und den Verlust von Empathie mit dem Tod zu betteln, will sagen, wenn man Partei ergreift, macht man sich andere zum Feind und versteht sie nicht mehr; und dann wird man wie sie, ein beschränktes Selbst. Nun ja, das ist auf seine Weise alles ziemlich simpatico und wahr, allerdings habe ich nun mal dieses Bedürfnis, ein Arbeiterführer zu sein, sprich, mit meinem Hintergrund als russisch-jüdischer linker Atheist habe ich mir dies sogar einmal geschworen, auf der Fähre zur Aufnahmeprüfung bei Columbia (und diesen Schwur nie gebrochen), einen ewigen Schwur, dass ich, sollte ich die Prüfung für ein Stipendium bestehen und zum Zuge kommen, ich dieses Ideal nie verraten würde – den Massen in ihrem Elend zu helfen. Zu jener Zeit war ich sehr politisch und erholte mich gerade vom Spanischen Bürgerkrieg, von dem ich im Alter von 11 bis 13 in New Jersey besessen war. Mein Idealismus, Jura zu studieren und plangemäß zu debütieren, wurde zum ersten Mal von L. C. [Lucien Carr] in einer Arbeiter-Cafeteria an der 125th Street bespöttelt und lächerlich gemacht, wo ich mich als schlotternder Columbia-Intellektueller, und beileibe keiner der »harten«, erlebte und in Gegenwart der Arbeiter in der Cafeteria tatsächlich gehemmt und flippig und ängstlich war – was mit meinem Mangel an Lebenserfahrung zu tun hatte und dass ich eine schwule Jungfrau war und überhaupt naiv –, will sagen, ich fühlte mich fremd, als Außenseiter, der einen Superioritätskomplex hatte, mit keinem der Hungerleider ein Gespräch führen konnte, ich war offenbar zu gauche, um so oder so dazuzugehören, und trotzdem hatte ich von mir die Vorstellung, ein Führer dieser imaginären Massen zu sein. Um mehr Erfahrungen zu machen, wandte ich mich dann der Seefahrt zu, arbeitete auf Schiffen und als Schweißer, wurde aus der Uni geworfen und trieb mich mit Lumpenpack und am Times Square herum, putzte Cafeterien und wusch Geschirr, bis ich mir einige äußere Kanten abgeschliffen hatte und in der Welt der Normalos zumindest nicht mehr auffiel, und mit etwa 20 auf diese komplett oder teilweise eingebildeten Errungenschaften stolz war, und obwohl ich ein eleganter Columbia-Typ war und irgendwann in der Lage, mit weniger gebildeten und armen Leuten klarzukommen und den Slang von Jazz und Times Square zu kennen und unterschiedliche soziale Erfahrungen zu machen, jedenfalls mehr als es üblich ist oder war, und mich so von den meisten Jurastudenten unterschied – ohne mitzubekommen, dass die meisten Menschen längst nicht so verrückt wie ich waren und daraus auch nicht wie ich ein Problem machten und auch keine homosexuellen Jungfrauen wie ich waren. Währenddessen entwickelte ich mit Jack ein poetisches Verständnis, wie es ausgereifter nicht sein konnte, las Rimbaud, und mit Burroughs ein Verständnis des Spengler’schen Geschichtsbegriffs und Respekt für die »irrationalen« oder unbewussten Bezirke der Seele und Verachtung für das Gesetz. Etwas, was weiter griff als der formalistische Anarchismus, will sagen, ein Gesetz kann so gut wie nur irgend möglich sein, aber das hat nichts mit den Gefühlen zu tun, wenn jemand deinem Gesetz ausgesetzt ist. Also Misstrauen reinen Kopfentscheidungen gegenüber, Verallgemeinerungen, Soziologie, ein hippes Gefühl plus den Erfahrungen mit Liebe und Drogen, die tatsächlich telepathische Fähigkeiten zur Folge hatten und an meine »mystischen« Erfahrungen heranreichten, will sagen, Gefühle, die jenseits von allem waren, was ich jemals gefühlt hatte. Währenddessen vertraute ich in Bezug auf ein Gefühl von der Richtigkeit des Lebens am meisten Menschen, will sagen, Freundschaft und Anerkennung des Lichts in den Augen der Menschen, und von da an jagte ich Freundschaften nach und idealisierte sie und ganz besonders in der Dichtung, der Manifestation dieses Lichts der Freundschaft, das in allen Menschen verborgen und nur einigen wenigen zugänglich ist.

Ich habe zwar darüber gesprochen, es aber nie komplett beschrieben oder im Kontext der Entwicklung gesehen, jedenfalls war das College dann vorbei, und ich musste sehen, wie ich selbst klarkam, und Jack und Bill machten sich auf ihre Wege hinaus in die Welt – obwohl ich mich mit ihnen durch heilige sanfte lebenslange Bindungen verbunden fühlte – und jene idealistische Liebesgeschichte mit Neal Cassidy endete, weil sie nicht umsetzbar und er verheiratet und im Grunde nicht auf das Gleiche aus war wie ich – eine lebenslange Sex-Seelen-Gemeinschaft – er war zwar willig, aber nicht bereit, in letzter Konsequenz meine schwulen Begierden mitzumachen – jedenfalls begriff ich, dass ich allein war und niemals so geliebt werden würde, wie ich geliebt werden wollte – obwohl ich mit ihm einige großartig leidenschaftliche Liebesbettszenen erlebte, die an Zärtlichkeit alles überstiegen, was mir jemals auf Erden zuteilgeworden war – so dass sich der Verlust noch viel schlimmer anfühlte, wie eine Art permanentes Todesurteil für meine Begierden, so wie ich sie seit meiner Kindheit spürte – ich wollte von jemandem geliebt werden, wollte, dass jemand mich mit der Zärtlichkeit eines Supersandwichs trägt – und lebte damals allein, aß Gemüse und kümmerte mich um Huncke, der zu fertig war, um irgendwo anders zu wohnen – ich nahm mein Blake-Buch zur Hand (wie ich schon sagte, ist das wie beim Alten Seemann, der seine unsinnige Geschichte jedem Gast aufdrängt, dessen er habhaft werden kann) und machte eine klassische halluzinierend-mystische Erfahrung, will sagen, ich hörte seine Stimme, die mir aus der Ewigkeit Weisungen und Prophezeiungen zukommen ließ, meine Seele fühlte sich vollkommen offen an, all ihre Tore und Fenster weit offen, und der Kosmos floss durch mich hindurch, ich durchlebte einen Zustand von offensichtlich völlig verändertem Bewusstsein, der so fantastisch und Science-Fiction-mäßig...