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Supervision in der Seelsorge - Ein Modell integrativer Pastoralpsychologie

Supervision in der Seelsorge - Ein Modell integrativer Pastoralpsychologie

Désirée Binder, Andreas Hasenkamp, Dagmar Kreitzscheck, Andreas Hamburger, Wolfgang Mertens

 

Verlag Kohlhammer Verlag, 2021

ISBN 9783170387553 , 172 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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30,99 EUR

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Supervision in der Seelsorge - Ein Modell integrativer Pastoralpsychologie


 

2          Geschichte der Supervision in den pastoralen Arbeitsfeldern


2.1       So kam die Supervision in die Kirchen: die Seelsorgebewegung


Das Erlernen von Seelsorge mit begleitender Supervision hat in den Kirchen eine inzwischen hundert Jahre alte Tradition. Supervision in der Kirche war und ist zunächst Aus- und Fortbildungssupervision. In den amerikanischen Kirchen ist seit 1925 und in den deutschen seit ca. 1969 die Tätigkeit des Supervisors, der Seelsorgelernende begleitet, fest etabliert.

Zwei Amerikaner, der Theologe Anton Boisen und der Psychiater Richard Cabot konzipierten 1925 ein Ausbildungsmodell für Theologen, die nicht länger nur die biblischen Geschichten studieren sollten, sondern die Lebensläufe lebendiger Menschen, zunächst vor allem psychisch kranker Menschen und dann bald allgemeiner Geschichten von Menschen, deren Leben auf irgendeine Weise eingeschränkt war. Als ein Ort solcher Einschränkung galt besonders die Psychiatrie, dann bald auch Allgemeinkrankenhäuser, Erziehungsheime, Gefängnisse, Besserungsanstalten etc. Theologen wurden für längere Zeiträume in diese Einrichtungen geschickt, um sich um die dort lebenden Menschen zu kümmern, diese »living human documents« (Boisen, 1936, S. 248 f.) zu studieren und ihnen möglichst in irgendeiner Weise durch das Evangelium Erleichterung zu verschaffen. Boisen verstand Lebenskrisen immer auch als religiöse Krisen und ihm war deshalb daran gelegen, dass Theologen sich mit diesen befassten.

Zunächst erarbeitete er mit Cabot einen an die medizinische Ausbildung angelehnten Plan, d. h. die in die Klinik geschickten Theologen sollten wie Mediziner bei der Anamnese so viele Informationen wie möglich von den Patienten sammeln und auch aufzeichnen und dieses Material für eine Diagnose verwenden. Am Ende des Tages wurden diese Aufzeichnungen in der Gruppe besprochen, z. T. interdisziplinär mit den Medizinern gemeinsam, um die (weitere) Behandlung für die Patient*innen zu besprechen. Ein Interview in der Boston Post vom 27.12.1908 mit Richard Cabot trug folgende Überschrift: »Physician and Minister Must Work Together To Cure The Sick« und enthielt folgende Passage: »Die Arbeit, einem Patienten zu helfen, ist nicht nur Sache des Doktors. (…) Ein Arzt spezialisiert sich auf den Körper und der Pfarrer spezialisiert sich auf die menschliche Seele. Die beiden sollten zusammenarbeiten. Es sollte eine Ausbildungsstätte geben, die sich sorgfältig um diese Sache bemüht und Pfarrer sollten dort ausgebildet werden« (Übersetzung D.K.). Ab 1925 wurde diese Idee am Massachusetts General Hospital umgesetzt.

Jeder Theologe im Clinical Pastoral Training (CPT) hatte aber auch persönliche Supervisionsgespräche mit seinem Supervisor. Der Supervisor war in der Regel ein langjähriger Pfarrerskollege mit viel Berufserfahrung und bald auch psychologischer oder therapeutischer Qualifikation. Zweierlei wurde hier bereits festlegt: die gemeinsame Besprechung »einzelner Fälle« (case studies) und das Arbeiten in der Lerngemeinschaft einer beruflichen Peergroup.

In den frühen 1930er-Jahren entwickelte der Theologe Russell Dicks, der ebenfalls mit Cabot zusammenarbeitete, die Form des Verbatims. Verbatim (lat. für wort-wörtlich) bezeichnet die Aufzeichnung eines Gedächtnisprotokolls zeitnah nach dem Gespräch, das die Gesprächsbeiträge aller, die am Gespräch teilhatten, möglichst wörtlich im Wechsel wiedergibt. Dabei wird außer den Redebeiträgen wie in einem dramatischen Text oder Drehbuch in Klammern oder gesperrt gedruckt vermerkt, was sonst die Szene ausmacht und beeinflusst: z. B. Krankenschwester kommt dazu, im Zimmer ist es kalt und zugig, peri- und-nonverbale Äußerungen des Patienten: der Patient macht lange Pausen oder hustet, auch innere Regungen des Verfassers (Gefühle des Seelsorgers, eigene Körperempfindungen u. a.).

Schon Dicks beschrieb die supervisorischen Absichten des Erstellens von Gesprächsprotokollen: Es ging ihm nicht um eine objektive Darstellung des Gesprächs, sondern um eine neue Form der Selbstreflexion. »Wenn wir ein Gespräch schriftlich wiedergeben, eine Arbeitsbeziehung, dann zeichnen wir sie nicht einfach nur auf, wir denken sie neu und entwickeln so ihre Bedeutung, nicht während wir den Patienten sehen, sondern so bald wie möglich hinterher… Es ist eine Überprüfung der eigenen Arbeit; es ist ein klärender und sich entwickelnder Prozess; es entlastet den Schreiber von emotionalem Stress… und ist ein Nachweis der eigenen Arbeit… Es ist eine neue Schöpfung von Ideen, die die Mängel offenbart, bei dem, was wir getan haben. Es fragt nach den Implikationen von dem, was wir gesehen und gehört haben… es ist Selbstkritik, es ist Selbstauswertung. Es ist die Vorbereitung dafür, uns selbst zu verbessern.« (Cabot & Dicks, 1944, S. 244–248). Die supervisorische Arbeit in der Klinischen Seelsorgeausbildung geschah seitdem in Form der Besprechung solcher Verbatims, die auch heute noch zu Aus- und Fortbildungszwecken verwendet werden.

Aus demselben Zeitraum in Amerika ist noch eine andere Entstehungslinie zu nennen. Am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts hat dort kirchliche Supervision dieselben Wurzeln, wie sie für die Sozialarbeit allgemein beschrieben werden, häufiger allerdings mit »Volunteer«-Hintergrund als mit einem Ausbildungshintergrund. Hauptberufliche »Social Workers« supervidierten ehrenamtliche Volunteers in diakonischen Projekten ( Kap. 3.1.1).

In Deutschland fasste das Modell der »klinischen«, d. h. in der Praxis und durch die Reflexion der Praxis erworbenen Seelsorgeausbildung erst am Ende der 1960er Jahre Fuß. Ab 1969 wurden in Deutschland Institute für die Klinische Seelsorgeausbildung gegründet, in Bethel, Hannover, Stuttgart, Halle und an weiteren Orten. Die Bezeichnung »klinisch« für praxisbezogen wurde dabei beibehalten, obwohl sich die Praxisfelder bald erweiterten und die anderen pastoralen Arbeitsfelder miteinbezogen. Damit nahm die sogenannte »Seelsorgebewegung« ihren Lauf und bestimmte für die nächsten 20 Jahre nicht nur die Seelsorgeausbildung, sondern die praktische Theologie und die Theologie überhaupt. Das entsprach auch ihrem Anspruch, der einen Paradigmenwechsel vorsah, dass eben Theologie überhaupt erfahrungsbezogen betrieben werden sollte. Es lässt sich sagen, dass die »Seelsorgebewegung einen wichtigen Anteil an den Veränderungen innerhalb der Kirche im Prozess der Anpassung an die Erfordernisse einer hochindustrialisierten, säkularen Gesellschaft« hat, nicht zuletzt durch »Aufbau und Ausbau institutioneller Einrichtungen für Beratungsarbeit im kirchlichen Raum« (Jochheim, 1993, S. 493).

Die Gründung der Fachgesellschaft Deutsche Gesellschaft für Pastoralpsychologie 1972 war eine Gründung von Theologen mit psychotherapeutischer Zusatzqualifizierung, die in den verschiedenen Sektionen dieser Gesellschaft anfingen, Standards für die seelsorgliche und dann auch für ihre eigene supervisorische Ausbildung und Arbeit festzulegen. Dabei spielten inzwischen die verschiedenen psychologischen Traditionen eine Rolle, so sammelten sich in der Sektion T (=Tiefenpsychologie) die durch eine Lehranalyse gegangenen Pfarrer und Gemeindepädagogen, in der Sektion KSA diejenigen, die das »Learning by doing«-Konzept für die Seelsorge bevorzugten und sich dabei meist die klientenzentrierte Gesprächsführung Rogers zunutze machten, eine Sektion vereinigte die Sozialpsychologen und die Gruppendynamiker und die vierte schließlich die Kommunikations- und Verhaltenspsychologen. Inzwischen gibt es fünf Sektionen. Die Gründungsmitglieder waren ihrem Selbstverständnis nach noch keine »Supervisoren«, auch wenn sie supervisorische Aufgaben in der Ausbildung wahrnahmen, sie nannten sich Pastoralpsychologen, um ihre Verbindung der Pastoralen Praxis mit den Erkenntnissen der Human- und Sozialwissenschaften, speziell der Psychologie, anzuzeigen (zur Deutschen Gesellschaft für Pastoralpsychologie s. Aktuelles auf deren Homepage und  Kap. 5.4).

2.2       Was zeichnet pastoralpsychologische Supervision aus?


Pastoralpsychologische Supervision ist zunächst gekennzeichnet durch eine Mehrfachqualifikation derer, die sie ausüben. Mitglied in der Deutschen Gesellschaft für Pastoralpsychologie kann nur werden, wer ein theologisches Studium absolviert hat und damit hauptberuflich tätig ist oder war. Alle Mitglieder der DGfP sind im Grundberuf Pfarrer*innen, Pastoralreferent*innen oder Religionspädagog*innen und dann auch noch Supervisor*innen. Dazu haben diese Supervisorinnen eine therapeutische...