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Butter - Roman

Butter - Roman

Asako Yuzuki

 

Verlag Aufbau Verlag, 2022

ISBN 9783841229182 , 442 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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4,99 EUR

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Butter - Roman


 

2


Die Pasta war gar.

Bei dem Signal, das sie auf ihrem Telefon eingestellt hatte, blickte Rika von ihrem Dokument auf. Sie ging durch die warme, nach Weizen duftende Luft, nahm den Topf an den Griffen und goss ihn mit einem Schwung in das Sieb im Spülbecken. Der Temperaturwechsel entlockte dem rostfreien Stahl ein Geräusch. Weißer Dampf stieg auf und breitete sich in der abendlichen Küche aus. Ihr Gesicht wurde feucht. Sie schüttete die glänzenden Nudeln aus dem Sieb in eine Schüssel und nahm Calpis-Butter, Kabeljaurogen und für die Jahreszeit sehr grüne Shisoblätter aus dem Kühlschrank.

Die Manako Kajii so verhasste Margarine hatte sie schon in der vergangenen Woche dem brennbaren Müll überantwortet.

Seither hatte Rika sie noch einmal im Gefängnis besucht und ihr zwei Briefe geschickt. Ihr geschrieben, dass sie ihr Reis-mit-Butter-und-Sojasoße-Rezept sofort ausprobiert habe, begeistert sei, dass etwas so Köstliches sich innerhalb ihrer Möglichkeiten befand, sie nie wieder auch nur einen Tropfen Transfett zu sich nehmen und sich mehr von Manako Kajiis Wissen über gute Küche aneignen wolle, um in der Lage zu sein, sich gepflegt mit ihr zu unterhalten. Kajii reagierte auf keinen ihrer wortreichen Annäherungsversuche. Aber Rika hatte nicht vor, aufzugeben.

Die Calpis-Butter war die einzige Sorte, die in dem Supermarkt für importierte Waren in Kagurazaka noch erhältlich war, in dem viele wohlhabende Hausfrauen und ausländische Kunden einkauften. Die braun-weiße Verpackung mit der Aufschrift »Spezial« wirkte dezent. Es war Mitte Dezember, und Weihnachten stand vor der Tür, aber es gab noch immer keine Butter, problemlos bekam man nur noch solche Luxusmarken.

Rika war mittlerweile süchtig nach dem Geschmack von heißem Reis mit Butter und ein paar Tropfen Sojasoße. Darüber hinaus strich sie sich so viel Butter auf ihre Frühstücksbrote, dass sie die hundert Gramm Echiré-Butter aus der Maison du Beurre schnell aufgebraucht hatte. Weil das Jahresende vor der Tür stand, fand sie keine Zeit, mehr zu kaufen, aber da sie ihren Appetit nicht zügeln konnte, nahm sie sich vor, sich mit dem zu begnügen, was sie kriegte. Obwohl die Calpis-Butter sehr konzentriert und fettig war, hatte sie einen frischen Nachgeschmack. Rika mochte sie sofort, denn sie schmeckte so ganz anders als die erlesene Echiré-Butter, in der so viele verschiedene Aromen nachwirkten.

Beim Lesen von Manako Kajiis Blog stellte sie fest, dass diese die Butter von Calpis immer wieder lobte, und es erfüllte Rika mit Stolz, dass ihr Geschmackssinn sie nicht getrogen hatte. Früher hatte sie, was Kajii schrieb, überhaupt nicht interessiert und es auch nicht verstanden, egal, wie oft sie es las, aber seit sie gelernt hatte, den Geschmack von Butter zu würdigen, drang der Inhalt allmählich klarer zu ihr durch.

Sie hatte sich den Karton mit den Ausdrucken aus dem Büro nach Hause schicken lassen. Aus Platzmangel hatte sie ihren Klapptisch geopfert und ein Tablett und ein Platzdeckchen auf den Karton gelegt, um ihn als Tisch zu benutzen.

Sämtliche Rezepte für französische Gerichte und Backwaren aus Manako Kajiis Blog waren zu kompliziert für Rika und erschienen ihr wie Magie aus einer fernen Welt. Also entschied sie sich für die Pasta mit Kabeljaurogen, bei der die Zutaten nur vermengt werden mussten. Sie kaufte sie in einem Supermarkt, der spätabends noch geöffnet hatte. Neuerdings ging Rika immer gleich nach Hause, ohne in einem Familienrestaurant oder einem Imbiss Halt zu machen. Sie gab einfach Butter auf warmen Reis oder strich sie aufs Brot und aß einen gekauften Salat und eine Instant-Miso- oder eine Tassensuppe dazu. Es war nicht gerade, als kochte sie selbst, aber immerhin machte es ihr nichts mehr aus, in der Küche zu stehen. Früher war es ihr sogar lästig gewesen, Fertignudeln zuzubereiten.

Der Kabeljaurogen, den sie aus der Verpackung nahm, glänzte feucht-rosa, so dass sie sich einen Moment lang an Manako Kajiis Mund erinnert fühlte. Sie zerkleinerte ihn mit der Gabel, ohne die Haut abzuziehen, und verteilte die Bröckchen über die Nudeln. Dann schnitt sie ein großes Stück von der Calpis-Butter ab und legte es darauf. Fasziniert beobachtete sie, wie das helle Gelb zerfloss, golden wurde und sich langsam zwischen den glitzernden Fischeiern ausbreitete. Ein milder Duft nach Milchfett, gemischt mit dem würzigen Salzgeruch des Meeres stieg ihr in die Nase, und sie sog ihn tief ein. Dann zerrupfte sie eine Handvoll Shisoblätter, streute sie darüber und trug alles auf ihren Karton. Das an sich schon heiter wirkende Rosa des Rogens erschien in Kombination mit der sämigen Butter besonders optimistisch. Rika rollte die fleischigen Nudeln auf ihre Gabel und führte sie zum Mund. Die mit Kabeljaurogen und Butter gemischten Nudeln umspielten Rikas Zunge. Das Gericht war zwar salzig, schmeckte aber harmonisch und abgerundet. Butter und Kabeljaurogen ergänzten einander perfekt. Auch hatten die Nudeln genau die richtige Bissfestigkeit, lobte sie sich selbst. Ein Gericht mit so viel guter Butter bekam man nicht im Restaurant. Je teurer die Butter, desto besser die Qualität, und je mehr sie verwendete, desto schmackhafter das Gericht. Der üppig-würzige Geschmack nach Kabeljaurogen und Butter vertrieb alle Ärgernisse des Tages.

Die Redaktion hatte nachdrücklich von ihr verlangt, belastendes Material über einen aufstrebenden jungen Politiker, der sehr beliebt war, zusammenzustellen. Sie hatte während der Wahl ausführlich über ihn berichtet, ihn interviewt und als äußerst angenehmen Menschen erlebt. Dennoch übertrieb er es mitunter mit seinem forschen Auftreten, so dass schnell der Eindruck von Überheblichkeit entstand.

Um ihre Zweifel und Skrupel abzuschütteln, widmete Rika sich der Schüssel mit den duftenden Nudeln. Die frischen Shisoblätter wirkten appetitanregend. »Köstlich!«, sagte sie laut. Der Umstand, dass sie diesen Wohlgeschmack selbst kreiert hatte, verlieh ihr eine zusätzliche, bisher unbekannte Befriedigung.

Sie hatte sich gekocht, was sie wollte, und verzehrte es, wie sie wollte. War das nicht ein Luxus? Bislang hatte sie meist nicht einmal gewusst, worauf sie Appetit hatte, aber jetzt konnte sie sich vorstellen, was sie wollte, und es selbst zubereiten.

Auf Kajimanas Blog wimmelte es von bekannten Markennamen und Schilderungen, die sie irgendwo abgeschrieben hatte, aber als Rika alles noch einmal durchlas, fiel ihr auf, dass ihre Beschreibungen von Butter eine Ausnahme bildeten. Sie waren originell und lebendig.

Während sie ihre Nudeln schlürfte, blätterte sie in den Seiten.

»Fischrogen und Butter passen hervorragend zusammen«, las sie. »Mischt man Kabeljaurogen mit winzigen Butterflöckchen, verschwindet der fischige Geruch, und es entsteht eine unbeschreiblich milde Soße, die Kohlenhydrate in sich bindet, mehr Fülle im Mund und einen höheren Sättigungsgrad erzeugt. Besonders lieblich ist die hübsche rosa Farbe, die einem Sonnenuntergang im Frühling gleicht (Rosa ist meine Lieblingsfarbe). Der mit Butter vermischte rosa Kabeljaurogen überzieht jede einzelne Nudel und bringt den Geschmack von Hartweizengrieß bestens zur Geltung. Dieses Gericht ist so köstlich, dass Sie eine intensive Zärtlichkeit verspüren werden. Eine größere Menge gehackte Shisoblätter darüber zu streuen, ist meine persönliche Note. Die Kombination von Rosa und frischem Grün erinnert an Felder im April. Schwarzen Seetang lehne ich ab, weil er tödlich für das Rosa ist. Außerdem klebt er an den Zähnen, und das mögen die Kavaliere ganz und gar nicht (haha).«

Ihre beiden Fotos von der Pasta mit Kabeljaurogen konnte man nicht gerade als gelungen bezeichnen. Vermutlich hatte sie sie mit dem Telefon aufgenommen, und sie sahen aus, als hätte eine Achtzigjährige sich ein Herz gefasst, um mit ihren Enkeln zu kommunizieren. Sie vermittelten nicht den Hauch vom Duft oder Geschmack des Gerichts. Der Teller mit der feinen Bemalung stammte vermutlich von Royal Copenhagen. Allerdings passte er farblich überhaupt nicht zur Tischdecke. Rikas Eindruck war natürlich subjektiv, aber sie fand den Serviervorschlag nicht besonders appetitanregend. Manako Kajii hatte konservative Vorlieben und gab viel Geld für Geschirr und Zutaten aus, aber im Grunde hatte sie keinen Sinn für Ästhetik. Rika konnte nicht umhin, sie mit Reiko zu vergleichen. Ihre Freundin verwendete saisonale Zutaten,...