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Ich war in der Hölle und fand das Paradies in mir - 8 Jahre in Thailands härtestem Knast

Ich war in der Hölle und fand das Paradies in mir - 8 Jahre in Thailands härtestem Knast

Maksim Klasanovic

 

Verlag J. Kamphausen, 2022

ISBN 9783958835955 , 288 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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15,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Ich war in der Hölle und fand das Paradies in mir - 8 Jahre in Thailands härtestem Knast


 

Alles auf Anfang


JUNG & NAIV


Seit knapp 15 Stunden bin ich wieder frei. Und jetzt dieses Grün! Es hat beinahe etwas Unwirkliches und ich kann mich gar nicht daran sattsehen. Es ist ein sattes, leuchtendes Grün, eingebettet in die blau anmutenden Berge des Schwarzwalds. In all den Jahren im Gefängnis habe ich keine Pflanzen und Bäume mehr gesehen, nichts. Ich war umgeben von Asphalt und Beton und diesem trostlosen Grau in all seinen Abstufungen und Schattierungen. Man sagt ja, Grün sei die Farbe der Hoffnung, doch in diesem Moment, nach all der Zeit hinter Mauern und Stacheldraht, ist es für mich die Farbe des Paradieses. Ich sitze vorne im Auto, bei heruntergelassenem Fenster, und spüre den Wind in meinem Haar. Die Landschaft fliegt an mir vorbei. Alles ist genau wie früher, nur nehme ich es anders wahr – viel intensiver. Lebendiger. Heiliger. Zum ersten Mal seit einer langen Ewigkeit bin ich wieder in Deutschland. Als wir von der Autobahn abfahren und auf die Berge zusteuern, spüre ich, dass ich neben meiner Freiheit auch wieder ein Zuhause habe. Eines, das jetzt viel besser zu mir passt als damals, als ich von hier fortgegangen bin. Damals schien es für mich nur eine Richtung zu geben: nach oben! Ich kannte nur diesen einen Blick, hoch hinaus. Und ich stieg tatsächlich auf, weit sogar. Doch so hoch ich kam, so tief war mein Fall – ins Bodenlose. Ich musste mich erst selbst verlieren, um mich anschließend wieder neu finden zu können. Ich erinnere mich noch gut, wie alles anfing …

Damals lebte ich in Thailand und mein Freund John Miller bat mich um Hilfe. Einer seiner Bekannten, ein Amerikaner, wollte Drogen kaufen. John und ich lebten damals ein Leben auf der Überholspur. Rücksichtslos in allen Belangen und mit Vollgas zogen wir vorbei an den anderen. Und wir berauschten uns. Meistens an Alkohol, manchmal an Drogen, aber immer an Geld. Geld war alles für uns – und ich glaube, wir hätten damals so gut wie alles dafür getan. Unser ganzes Leben war darauf ausgerichtet. Wenn wir miteinander redeten, sprachen wir übers Geschäft. Eigentlich war es egal, mit wem John sprach: Es ging immer ums Geschäft. Unser Business war Timesharing, und John war ein echter Veteran. Er hatte schon Mitte der 1990er Jahre damit angefangen, als kaum jemand etwas davon wusste. John kannte jeden Kniff, jeden Trick und jedes Geheimnis in der Firma und es war immer interessant, wenn er aus dem Nähkästchen plauderte. Vor allem anfangs, als ich noch frisch in seinem Team war, sog ich seine Geschichten und sein Fachwissen geradezu in mich auf. Mit Drogen hatte er aber eigentlich nicht so viel zu tun. Er war eher ein konservativer Typ. Na gut, er kiffte täglich, aber das taten alle hier. Doch jetzt ging es um Meth-Amphetamine, auch bekannt als ICE oder Crystal Meth. Synthetisch hergestellte Rauschmittel der schlimmsten Art. Eine brutal harte Droge. John kannte sich damit nicht aus, aber sein Freund, der Ami, wollte es unbedingt kaufen. Ich hatte das Zeug vor Jahren sogar schon mal probiert. Doch als mir klar wurde, wie schnell man davon süchtig werden kann, wollte ich nie wieder was damit zu tun haben.

Im Vergleich zu dieser Droge war Marihuana ein homöopathisches Kraut. Marihuana, Gras oder „Ganja“, wie die Thais sagen, war die am häufigsten verkaufte Droge in Thailand. Ganja war überall, es war allgegenwärtig. Vor allem die Touristen deckten sich damit für einen entspannten Thailand-Urlaub ein. Aber auch in der Firma und bei meinen Kollegen stand es hoch im Kurs. Wir arbeiteten viel und lange. Alkohol und die sogenannten Einstiegsdrogen gehörten zu unserem Alltag. Manchmal nahmen wir auch Kokain. Der Druck, der auf jedem einzelnen Verkäufer lastete, war enorm groß. Je mehr Abschlüsse wir machten, desto mehr Geld verdienten wir. Und wir verdienten gut. Oft bedeutete mehr Geld dann auch mehr Drogen. Oder härtere. Viele meiner Freunde und Kollegen konsumierten Mengen, bei denen man nicht mehr von gelegentlichem Gebrauch sprechen konnte. Sobald ihr Lohnzettel einen gewissen Level erreicht hatte, stiegen auch die Fixkosten für ihre Drogen. Das war einfach so, als sei es ein ungeschriebenes Gesetz. John war nicht so extrem. Ich glaube, er wollte damals einfach nur seinem Freund weiterhelfen. Der musste ihm wohl in den Ohren gelegen haben, daher kam er irgendwann auf mich zu und fragte: „Kennst du irgendwen, der ICE besorgen kann?“ Ich hörte mich ein bisschen um, kannte vielleicht ein oder zwei Leute, die wiederum jemanden kannten, der Meth verkaufte. Genauso hart wie die Droge selbst, waren auch die Typen, die damit Geld verdienten. Wer im Meth-Business steckte, von dem hielt man sich am besten fern. Ich hatte schon viele gesehen, die zu völlig kaputten Gestalten mutiert waren. Man konnte sie überall in der Stadt dabei beobachten, wie sie auf der Suche nach Geld für ihre Sucht waren. Typen, die auf Meth waren, hatten nur eines im Sinn: mehr Meth. Dafür taten sie alles. Wirklich alles. Sie lebten in einem Kreislauf aus Konsum und Kollaps. Obwohl ich das alles wusste, wurde ich aktiv und bereits drei Tage später fündig. Es gab da einen Typen mit einem auffälligen schwarzen Toyota, der in der Firma häufig ein- und ausging. Ich wusste, dass er Kokain vertickte und sprach ihn an, ob er jemanden kennen würde, der ICE besorgen könne. Er gab mir seine Telefonnummer und ich gab sie an John weiter. So einfach war das. Durch unsere Arbeit kannten wir eine ganze Menge Leute. Bei mir hätte man sogar sagen können, Gott und die Welt. Im Gegensatz zu John pflegte ich meine Kontakte aber auch mehr. Wenn ich ein Geschäft abgeschlossen hatte, war der Fall damit nicht für mich erledigt. Ich löschte auch nur selten Leute und Kunden aus dem Speicher meines Handys. Wer wusste schon, ob man die nicht noch mal brauchen könnte? Kontakte knüpfen. Kontakte halten. Kontakte nutzen. Darin war ich schon immer gut gewesen. Ich war schon Netzwerker, bevor es das Wort Netzwerk überhaupt gab.

Das andere große Ding in meinem Leben war wie gesagt Geld. Darum drehte sich bei mir schon alles seit meiner frühesten Kindheit, beziehungsweise bei meinen Eltern. Die waren Ende der 1960er Jahre als sogenannte Gastarbeiter nach Deutschland gekommen. Zuerst mein Vater, dann meine Mutter. Und weil keiner so recht sagen konnte, wie lange sie dort bleiben dürften, hatten meine Eltern versucht, so viel Geld wie möglich zur Seite zu legen, damit es uns bei unserer Rückkehr nach Jugoslawien mal besser ginge als so vielen anderen in diesem armen Land. 1973 kam meine Schwester Mona auf die Welt und meine Eltern hielten es für das Beste, sie in die Obhut meiner Großeltern in Jugoslawien zu geben. Nur so konnten sie beide weiterhin arbeiten gehen und doppelt verdienen. Als ich dann geboren wurde, 1979, trafen sie dieselbe Entscheidung. Anfangs war ich noch bei ihnen und etwas über zwei Jahre später brachten sie mich ebenfalls zurück in die Heimat, die sie verlassen hatten.

Überall und nirgends zu Hause


Meine Erinnerungen an diese Zeit sind spärlich, aber ich weiß noch ganz genau, dass ich auf dem Hof meiner Großeltern eine eigene Kuh hatte, um die ich mich kümmerte. Und mit meinem Opa fühlte ich mich ganz besonders verbunden. Ich liebte ihn unglaublich. Irgendwann hielt es meine Mutter aber nicht mehr aus. Sie sehnte sich so sehr nach ihren Kindern, dass sie uns zurückholen wollte. Mona war da schon neun oder zehn, sie hatte Freunde gefunden und sprach ausschließlich serbokroatisch, sodass sich meine Eltern dazu entschlossen, zunächst nur mich nach Deutschland zu holen. Also siedelte ich wieder um, von der ruhigen, geborgenen Welt meiner Großeltern in die stressige Welt meiner Eltern. Und wenngleich meine Mutter mich abgöttisch liebte und nach ihren zwei oder drei Jobs ihre letzten Reste an Zeit auf mich verwendete, bedeutete unser aufs Monetäre ausgerichtete Leben von jetzt an, dass ich unter der Woche in einer fremden Familie verbringen musste, um betreut zu werden. Ständig war ich woanders und ständig wechselten die Familien. Ich glaube, allein in der Kindergartenzeit waren es sieben verschiedene Haushalte.

Ganz am Anfang waren es Italiener, also lernte ich statt Deutsch Italienisch und das war nicht im Sinne meiner Mutter. Sie brachte mich woanders unter, aber da gab es Probleme. Streit war an der Tagesordnung und es gab neue Regeln und Verhaltensweisen, an die ich mich erst gewöhnen musste. Meine Mutter erzählte mir irgendwann später einmal, ich sei in dieser Zeit öfter mit blauen Flecken an Armen oder Beinen nach Hause gekommen – als Begründung dafür, dass sie mich vorsichtshalber weiterreichte an die nächsten Bereitwilligen. Nach einigen weiteren gescheiterten Versuchen kam ich schließlich bei einer tunesischen Familie unter. Und dieses Mal hatte ich ausgesprochenes Glück, denn es gab dort ein gleichaltriges Kind. Der Junge hieß Amin und wir kannten uns schon aus dem Kindergarten. Mit Amin machte alles richtig Spaß! Ich fand in ihm einen echten Freund. Endlich konnte ich irgendwo richtig ankern. Die Dinge wurden ruhiger, geordneter. Meine Eltern waren froh, weil sie meinten, ich meistere alles gut alleine und sie müssten sich weniger Sorgen oder gar Vorwürfe machen. Doch ganz so war es natürlich nicht....