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UNGLAUBE - Eine Ermutigung

UNGLAUBE - Eine Ermutigung

Sebastian Rink

 

Verlag Neukirchener Verlagsgesellschaft, 2022

ISBN 9783761568279 , 153 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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12,99 EUR

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UNGLAUBE - Eine Ermutigung


 

Ein Spiel von Licht und Schatten

Das Leben gleicht einem Spiel aus Licht und Schatten. Die biblische Weltgeschichte erzählt sogar, dass Gott selbst es ganz am Anfang spielt: Gott fügt Licht und Schatten in einen täglichen Wechsel von Mit- und Gegeneinander. Das Leben lebt vom Spiel mit seinen Gegensätzen.

Das gilt genauso für den Glauben. Er ist ein Spiel der Kontraste, lebt von Licht und Schatten. Denn jeder Glaube bringt immer seinen Schatten des Unglaubens mit; jeder Glaube enthält in sich etwas, das ihn zugleich infrage stellt. Wir sind glaubende Ungläubige und ungläubige Glaubende.1 Das beschreibt in wunderbar verstörender Klarheit, wie ich Glauben erlebe: Das mehr oder weniger fromme Leben ist ein ständiges Mit- und Ineinander, ein Zu-, Mit- und Gegeneinander von Glaube und Unglaube. Gerade in dieser Mischung ist der Glaube eine faszinierende Bereicherung für das Leben.

In der Tradition, in der mein eigener Glaube entstanden ist, wird Unglaube gemeinhin als etwas wahrgenommen, das es zu überwinden gilt. Wenn nicht gar als etwas Bedrohliches. Und da ist durchaus etwas dran. Wer als Glaubende:r den eigenen Unglauben entdeckt, muss akzeptieren, sich verletzlich zu machen. Ihn als Teil des eigenen Glaubens zu akzeptieren, fällt deshalb oftmals schwer.

Die verständliche Reaktion wäre, den Glauben so gut es geht abzusichern, sich in seinem Licht zu sonnen und die Schatten höchstens zähneknirschend zur Kenntnis zu nehmen, zähneklappernd zu ignorieren oder zähnezeigend zu bekämpfen. Mehr und mehr aber finde ich diese Art zu glauben weder ehrlich noch gesund. Jedenfalls nicht für mich.

Denn auch wenn es mir anders lieber wäre, steht mein Glaube auf wackligen oder wenigstens sehr ungleichen Beinen. Auf einem, das glaubt, und auf einem, das sich da manchmal nicht so sicher ist. Doch erst in dieser Einsicht in den eigenen Unglauben beginnt für mich das Verstehen des Glaubens oder wie der katholische Theologe Johann Baptist Metz (1928–2019) es schreibt:

„Erst wo der Glaube sich so dem Unglauben stellt, erfährt er sich selbst als den Ort, an dem in der Tat immer die absolute Sinnfrage des konkreten Daseins gestellt wird, an dem nichts und keines von vornherein sicher und auf jeden Fall klar und fraglos ist.“2

Unglaube beschreibt nicht nur andere Menschen, sondern da geht es um mich selbst und meinen Glauben in seiner tiefsten Verletzlichkeit. Glaube ist nämlich alles andere als selbstverständlich. Wäre ich nur ein paar Hundert Kilometer weiter rechts oder links auf der Landkarte ins Dasein hineingeboren, dann wäre mir womöglich nie ein religiöser Glaube geschenkt worden. Nimmt man all die anderen Zufälligkeiten des Lebens hinzu, wird man sagen können: Glaube ist recht unwahrscheinlich, er hängt an den seidenen Fäden eines Mobiles aus Biografie und Geografie, Prägung und Bildung, Sehnsucht und Erfahrung.

Als in meinem Fall die Sache mit dem „Hineingeborenwerden“ erledigt war, verflüchtigten sich jedoch schnell die Unwahrscheinlichkeiten. Die evangelische und zudem freikirchliche Tradition meiner Eltern und Großeltern wurde schnell zu meiner eigenen. Und mit dem Unwahrscheinlichen der Geburt verschwand allmählich alles Zweifelhafte des Glaubens. Irgendwann gab es dazu keine ernst zu nehmende Alternative mehr. Es war klar: Ich glaube. Und das tat ich lange Zeit mit zunehmender Überzeugung.

Heute glaube ich immer noch, tue das (meist) sehr gerne und in der Überzeugung, dass es sinnvoll ist zu glauben. Doch aus dem Standpunkt wurde mir ein Weg, aus der Überzeugung eine Überlegung. Der katholische Theologe Walter Kasper (*1933) bringt das gut auf den Punkt:

„Die Glaubensgewißheit ist Hoffnungsgewißheit. Das bedeutet, daß der Glaube in der Geschichte immer strittig sein wird und daß auch der Glaubende seinen Glauben nie einfach hinter sich, sondern stets vor sich hat. Hier gilt: ‚Herr, ich glaube, hilf meinem Unglauben‘ (Mk 9, 23). […] Der Glaube des Gläubigen steht immer wieder auf dem Spiel. So ist der Glaube kein geschlossenes, sondern ein offenes System. […] Er darf nicht nur ein Asyl der Geborgenheit sein, sondern er muß auch ein Herd heiliger Unruhe sein.“3

Dieser „Herd heiliger Unruhe“ macht mich neugierig – weil ich das kenne. Deshalb will ich wissen, was es mit einem solchen Glauben auf sich hat, der den Unglauben als das eigene Gegenteil in sich trägt und akzeptiert, ihn vielleicht sogar zu „nutzen“ und seine Unruhe zu heiligen weiß. Beim Verfolgen dieses gewagten Anliegens balanciere ich auf einem schmalen Grat: Ich will den Unglauben in meinem Glauben wahrnehmen, ohne dass er zum Eigentlichen wird. Er soll in seiner Eigenschaft als Unglaube den Glauben fördern und ihn nicht zerstören.

Ein Bild von einem Schatten

Vielleicht gelingt solch eine heilsame Wahrnehmung, wenn wir nicht direkt sachlich in das theologische Thema einsteigen, sondern uns zunächst einer tragenden Metapher dieses Buches nähern: dem Schatten. Denn wir wollen versuchen, den Unglauben als den Schatten des Glaubens verstehen zu lernen.

Was hat es mit diesem Bild auf sich? Schatten haben auf den ersten Blick einen eher schlechten Ruf, gerade im Vergleich mit dem Licht. Schatten ist Dunkelheit, Kälte, Ungewisses. Die „Schatten der Vergangenheit“ sind nicht unbedingt die allerschönsten Erinnerungen, kaum jemand möchte nur noch ein Schatten seiner oder ihrer selbst sein, und wer will schon gern von anderen „in den Schatten gestellt“ werden? Schatten sind das zu Vermeidende, stehen sprichwörtlich für die dunkleren Seiten des Lebens. So kann die Bibel den Schatten als Bild für die Vergänglichkeit benutzen, wie es Psalm 144,4 ausdrückt:

Der Mensch ähnelt dem Hauch,seine Tage sind wie ein vorbeiziehender Schatten.

Noch bedrohlicher, wenigstens auf der Schattenseite, wirkt das Bild in Matthäus 4,16 (ein Zitat aus Jesaja 9,1), wo Schatten und Tod Hand in Hand gehen:

Das Volk, das sich im Dunkeln befindet, hat ein helles Licht gesehen!Und denen, die im Land und Schatten des Todes wohnen, ist ein Licht aufgegangen!

Aber das ist nur der erste Blick und die eine Seite. Diese Schattenmetapher ist äußerst schillernd, sie hat unscharfe Ränder und viele Facetten, schon in der Bibel.4 Schatten ist nicht bloß ein Phänomen der Lebensbedrohung, sondern er kann zum genauen Gegenteil werden und etwa Schutz bedeuten, wie in Psalm 121,5:

Gott ist dein Schutz, Gott ist dein Schatten an deiner Seite.

Wir merken schon, dass sich das Spiel von Licht und Schatten nicht einseitig spielen lässt. Grenzen verschwimmen, Eindeutigkeiten gehen uns verloren und ebenso wird es uns mit Glauben und Unglauben gehen, wenn es gut geht. Aber bleiben wir noch bei dieser positiven Tendenz des Schattens und bei dem Gedanken, wie Schatten das Leben bewahren, befördern, bereichern können.

Leonardo da Vinci (1452–1519) schrieb einmal: „Der Schatten ist das Mittel, durch das die Körper ihre Form offenbaren.“5 Erst im Spiel von Licht und Schatten sehen wir die Dinge, wie sie (in etwa) sind. Und nur mit Schatten können wir uns zeigen, wie wir sind. Eine technische Zeichnung zum Beispiel ist zwar hilfreich, aber einen realistischen Eindruck vom Charakter des Gegenstandes vermittelt erst eine gelungene Schattierung. Ähnlich kann uns der Unglaube zeigen, wie unser Glaube geformt ist, was ihn auszeichnet, woraus er besteht, welche Kanten und Ecken ihn prägen und zu dem machen, was er ist. Durch einen aufmerksam und ehrlich beobachteten Unglauben offenbart sich die Form des Glaubens. Er wird plastischer, realistischer, bekommt mit dem Schatten mehr Tiefe und neue Dimensionen. Meine Schatten zeigen im Licht, wer ich eigentlich bin.

Der Schatten hat grundsätzlich einen unermesslichen Wert. Davon erzählt sehr anschaulich und eindrücklich das Kunstmärchen Peter Schlemihls wundersame Geschichte von Adelbert von Chamisso (1781–1838; ausgesprochen: Schamisso) aus dem Jahr 1813.6 Es lohnt sich, diese sonderbare Geschichte kurz nachzuerzählen:

Eines Tages verkauft Peter Schlemihl seinen Schatten einem Mann in grauem Mantel. Damit erwirbt er sich immerhin einen Lederbeutel, der unentwegt Goldtaler hervorbringt. Die Sache entpuppt sich jedoch als buchstäblicher Pakt mit dem Teufel: Ohne seinen Schatten wird Schlemihl den Menschen schnell suspekt, sie fürchten sich vor ihm und wenden sich von ihm ab. Geradezu unmenschlich wirkt Schlemihl nun auf seine Umwelt, er gehört nicht mehr zur Welt der Menschen. Und so muss er sich seine eigene kleine Welt im Dunkeln schaffen, um mit dem Leben und den Leuten klarzukommen. Nur um den Preis seiner Seele hätte er seinen Schatten zurückkaufen können, verrät ihm später der graue, diabolische Mann. Für weniger ist ein Schatten nämlich nicht zu haben. Schlemihl jedoch entscheidet sich gegen den allzu teuren Handel, zieht daraufhin mit Siebenmeilenstiefeln als rastloser Naturforscher in alle Himmelsrichtungen, ehe er dem geneigten Leser die Moral aus seiner wundersamen Geschichte verrät: „Du aber, mein Freund, willst Du unter den Menschen leben, so lerne verehren zuvörderst den Schatten, sodann das Geld.“7

Darum geht es: den Schatten lieben zu lernen, oder wenigstens seinen Wert zu entdecken. Denn Unglaube ist der Schatten, der zum Glauben dazugehört und seinen ganz eigenen Wert hat. Ich sehne mich nach einem Glauben, der sich nicht vor den Menschen zurückziehen muss, weil er keinen...