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Viren - Grundlagen, Krankheiten, Therapien

Viren - Grundlagen, Krankheiten, Therapien

Susanne Modrow

 

Verlag Verlag C.H.Beck, 2022

ISBN 9783406765117 , 128 Seiten

2. Auflage

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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7,49 EUR

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Mehr zum Inhalt

Viren - Grundlagen, Krankheiten, Therapien


 

I. Ein Virus – was ist das?


1. Seit wann kennt man Viren?


Viren sind kleine, einfach aufgebaute Krankheitserreger, die in die Zellen eines Organismus eindringen. Sie vermehren sich nicht wie alle anderen Zellen durch die Zunahme von Masse und anschließende Teilung, sondern verwenden die molekularen Bestandteile der von ihnen befallenen Zellen für die Bildung einer Vielzahl von Nachkommen – sie sind also Zellparasiten. Die moderne Molekularbiologie, Genetik und Gentechnologie haben dazu beigetragen, dass man jedes Jahr eine explosionsartig wachsende Zahl von neuen Viren identifiziert. Auf der Basis dieser Grundlagen konnte man auch das Wissen über die Details des Aufbaus und der Struktur von Viren, die Art und Weise ihrer Vermehrung und ihrer Verbreitung vervollständigen. Nicht zuletzt dieses Verständnis hat dazu geführt, dass bereits ein Jahr nach dem ersten Auftreten einer neuen Virusinfektion, nämlich des SARS-CoV-2, schützende Impfstoffe und erste antivirale Medikamente zur Behandlung der mit der Infektion verbundenen Erkrankungen verfügbar waren – ein Prozess, der vor einigen Jahrzehnten noch undenkbar gewesen wäre.

Das erste Wissen von Viren stammt jedoch aus einer Zeit, in der man von all den uns heute bekannten Einzelheiten nichts wusste. Man kannte Erkrankungen, bei denen man vermutete, dass sie von Giften verursacht wurden. Auch mit den im 19. Jahrhundert verfügbaren Methoden konnte man in einigen Fällen weder Bakterien, Protozoen oder andere Kleinstlebewesen in den die Krankheit verursachenden Stoffen entdecken. Erst Versuche, bei denen man die Erkrankung durch Einsatz unterschiedlicher Verdünnungen der gifthaltigen Materialien auf Tiere oder Pflanzen übertrug, zeigten, dass die krankmachende Wirkung unabhängig von der eingesetzten Giftmenge war: Aus Versuchstieren, die man mit sehr hohen Verdünnungen der krankmachenden Stoffe behandelte, ließen sich – trotz der ursprünglich angewandten geringen Menge – sehr viele der krankmachenden Substanzen zurückgewinnen. Dies legte den Verdacht nahe, dass diese Gifte die Eigenschaft besaßen, sich in den Organismen zu vermehren. Für diese vermehrungsfähigen Gifte führte man die Bezeichnung Virus, also das lateinische Wort für Gift oder Schleim, ein.

Dass Viren sehr klein sein müssen und nicht einmal die Größe der ebenfalls sehr kleinen Bakterien erreichten, erkannte man, weil man sie in Lichtmikroskopen – sie waren ab dem Ende des 17. Jahrhunderts verfügbar – nicht sehen konnte. Dies gelang erst beim Einsatz der von Ernst Ruska 1940 entwickelten Elektronenmikroskope. Dass die Viren deutlich kleiner sind als Bakterien, konnte jedoch schon Dimitri I. Iwanowski 1892 in St. Petersburg zeigen. Er reinigte Extrakte aus Tabakpflanzen, die von der Mosaikkrankheit befallen waren, und nutzte dabei Filter, deren Poren einen Durchmesser von etwa 0,2 Mikrometern aufwiesen und für Bakterien bekannterweise undurchlässig waren. Mit den bakterien- und zellfreien Filtraten gelang es Iwanowski trotzdem, die Mosaikerkrankung auf bislang gesunde Tabakpflanzen zu übertragen – das Tabakmosaikvirus war so als erstes Virus entdeckt.

Dass filtrierbare Erreger auch Bakterien infizieren, entdeckten Frederick Twort und Felix d’Herelle in den Jahren 1916 und 1917. Ihnen fiel dabei vor allem die Eigenschaft dieser Viren auf, mit der sie Bakterien lysieren. Sie nannten sie deshalb Bakteriophagen (griechisch phagein für essen). Mit ähnlichen Versuchsansätzen hat Friedrich Loeffler 1898 in Greifswald gezeigt, dass die Maul- und Klauenseuche durch Viren hervorgerufen wird. Er entdeckte damit das erste tierpathogene Virus, also ein Virus, das in Tieren Erkrankungen verursacht. Zwei Jahre später zeigte Walter Reed in den USA, dass auch das Gelbfieber – eine in Afrika sowie Süd- und Mittelamerika weitverbreitete Seuchenerkrankung des Menschen – durch ultrafiltrierbare Agenzien – also Viren – verursacht und von Stechmücken übertragen wird. Nach der Entdeckung dieses ersten humanpathogenen Virus folgten 1903 die Tollwut- sowie die Kaninchenmyxomviren und 1908 die Geflügelleukämieviren. 1911 beschrieb Peyton Rous, dass Viren auch Krebs hervorrufen können. Er bewies, dass Bindegewebstumore in Geflügel durch Virusinfektionen entstehen. Die von ihm beschriebenen Erreger wurden nach ihm Rous-Sarkom-Viren benannt, 1966 wurde Peyton Rous für diese Entdeckung der Nobelpreis verliehen. Inzwischen wissen wir, dass auch etliche andere Krebserkrankungen der Säugetiere durch Viren verursacht sind. Aktuell schätzt man, dass Virusinfektionen für etwa 25 Prozent der menschlichen Tumoren verantwortlich sind.

Die Erforschung der Poliomyelitis (spinale Kinderlähmung) war über Jahrzehnte ein treibender Motor der Virusforschung. Diese mit Lähmungen verbundene entzündliche Erkrankung der grauen Rückenmarksubstanz war – wie einige historische Hinweise vermuten lassen – wohl schon 1500 Jahre vor Christi Geburt bekannt. Sie nahm im 18. und 19. Jahrhundert zahlenmäßig stark zu und wurde 1840 von Jacob von Heine und wenig später von Oskar Medin als Kinderlähmung beschrieben. 1909 zeigten Karl Landsteiner und Emil Popper in Wien, dass die mittlerweile auch als Heine-Medin-Krankheit bekannte Kinderlähmung von einem ultrafiltrierbaren Erreger – also einem Virus – verursacht wird und dass man sie auf Affen übertragen kann. Der Pathologe Karl Landsteiner bekam aber 1930 für eine andere, zuvor gemachte Entdeckung den Nobelpreis: 1900, neun Jahre bevor er das Virus der Kinderlähmung fand, hatte er als Erster das AB0-Blutgruppensystem des Menschen beschrieben.

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verzeichnete man eine deutliche Zunahme der Kinderlähmung, zugleich verschob sich die Erkrankung vom Kleinkind- ins Erwachsenenalter. Heute wissen wir, dass hierfür die Maßnahmen für eine verbesserte öffentliche Hygiene mit verantwortlich waren, die – wie beispielsweise die Einführung einer Abwasserkanalisation in den Städten zu Beginn des 20. Jahrhunderts und der Verzicht auf Düngung der Felder mit menschlichen Exkrementen – langsam zu greifen begannen. Der Erstkontakt der Menschen mit etlichen Krankheitserregern verschob sich dadurch vom Kleinkind- ins spätere Lebensalter: Auch die Kinderlähmung wurde so zur Erwachsenenlähmung. Während die Infektionen bei Säuglingen und Kleinkindern wegen der während der ersten Lebensmonate im Blut vorhandenen mütterlichen Antikörper einen meist milden Verlauf ohne andauernde Lähmungen nahmen, verliefen sie im Erwachsenenalter schwer. Todesfälle und lebenslang andauernde Lähmungen waren die Folge. In den USA war diese deutliche Zunahme der Kinderlähmungsfälle ebenfalls zu verzeichnen – unter anderem erkrankte daran der spätere Präsident Franklin D. Roosevelt; er blieb lebenslang an den Rollstuhl gebunden. Er selbst war es, der im Jahr 1938 die National Foundation for Infantile Paralysis gründete, die unter der Bezeichnung «March of Dimes» das erste große Spendenprogramm zur Erforschung einer Krankheit in den USA initiierte. Unter dem Motto «Let’s dance so that others can walk» wurde vor allem die wohlhabende Bevölkerung bei verschiedenen gesellschaftlichen und sozialen Anlässen zu Spenden aufgerufen. Die Initiative wurde zu einem der größten Fundraising-Programme des 20. Jahrhunderts. Die eingeworbenen Spendengelder ermöglichten nicht nur die Erforschung der Poliomyelitis, sondern erbrachten zugleich auch viele neue Erkenntnisse in anderen Bereichen von Medizin und Biologie.

Einer der großen Erfolge dieses Programms war die Entdeckung des sogenannten zytopathischen Effektes, den die Infektion der Polioviren in der Gewebekultur hervorruft. 1928 hatten H. B. und M. C. Maitland diese Methode eingeführt, bei der man kleine Gewebestückchen in Glasflaschen oder -schalen in serumhaltiger Flüssigkeit kultivierte. Die auswachsenden Zellen konnte man mit Viren infizieren, ihre erfolgte Vermehrung wies man dann meist in Tierversuchen nach. Ab den vierziger Jahren standen auch Antibiotika zur Verfügung, deren Beigabe in die Kulturflüssigkeit bakterielle Kontaminationen unterband und die Methode der Gewebekultur deutlich vereinfachte und handhabbar werden ließ. 1949 zeigten J. F. Enders und Mitarbeiter, dass sich die Zellen in der Kultur bei Infektion mit dem Poliovirus morphologisch veränderten. Diese Veränderungen waren als zytopathischer Effekt einfach im Lichtmikroskop zu erkennen und ermöglichten Renato Dulbecco und Margarete Vogt drei Jahre später, nämlich 1952, die Entwicklung des Plaque-Testes. Durch ihn konnte man erstmals die Anzahl infektiöser Viren in Blut oder anderen...