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Der babylonische Weltschöpfungsmythos Enuma Elisch

Der babylonische Weltschöpfungsmythos Enuma Elisch

Adrian C. Heinrich

 

Verlag Verlag C.H.Beck, 2022

ISBN 9783406782046 , 174 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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Mehr zum Inhalt

Der babylonische Weltschöpfungsmythos Enuma Elisch


 

Zusammenfassung des Geschehens


Die erste Tafel


Das Enuma Elisch beginnt in einer Zeit vor der Zeit, als es weder nach oben hin noch nach unten irgendetwas gab (I, 1–2) und das All nichts war als das gestaltlose Gemisch der Wasser von Apsu und Tiamtu: keine Himmel, keine Erde, keine Götter – nichts, dessen distinktes Wesen nach einem eigenen Namen verlangt hätte. Dass diese Urzeit keine starre Ewigkeit, sondern vielmehr der Anfang der Welt ist, deren Entstehung die sieben Tafeln des Enuma Elisch als eine Geschichte der Geburt der Götter und des Kampfes zwischen verharrender Trägheit und treibender Bewegung erzählen, wird in den eröffnenden Doppelversen bereits auf subtile Weise angedeutet. Apsu und Tiamtu, aus deren Verbindung erst die Götter und schlussendlich die ganze Welt hervorgehen (I, 3–4), verkörpern ein männliches und ein weibliches Prinzip. Die anfänglich innige Verbindung ihrer Wasser (I, 5) sollte sich im Verlauf der Schöpfung auflösen und Apsu und Tiamtu ihren jeweiligen Ort in der Weltordnung finden, nämlich als unter dem «Weideland» gelegenes Grundwasser und als Meer, das das Land an seinen schilfbewachsenen Küsten umgibt (I, 6).

Aus der Vereinigung Apsus und Tiamtus gehen Lachmu und Lachamu hervor (I, 7–10). Dieses erste Götterpaar bleibt im Verlauf der nun in Gang kommenden Entwicklung weitgehend konturlos. Als Stammeltern der Götter treten sie während des sich entspinnenden Götterkampfs als Sprecher der Götter auf, die sich gegen die durch Tiamtu verkörperten Urkräfte auf die Seite Anschars und seiner Söhne stellen. Geht Anschar mit seinem weiblichen Gegenpart Kischar noch als Paar aus Lachmu und Lachamu hervor (I, 11–14), so wird mit der Erschaffung des Himmelsgottes Anu ein neues Paradigma der Göttergenese wirksam: Anu bringt seinen Sohn Ea als sein Ebenbild aus sich selbst hervor und vollbringt so eine Schöpfungstat, die Anu gegenüber seinem Vater Anschar als gleichwertig an Rang und Macht ausweist (I, 15–16). Ea ist der Gott des planenden Geistes und der schaffenden Willenskraft (vgl. I, 18). Als Inbegriff dieser Dynamik steht er an der Spitze der jüngsten Generation der Götter (I, 20), die mit der sprudelnden Lebensenergie ihrer Jugend Bewegung in die Starre der urzeitlichen Vorwelt bringen (I, 21–22).

Der Lärm der jungen Götter um Ea wird für Apsu und Tiamtu zur empfindlichen Probe. Ohnmächtig stehen sie der neuen Lage gegenüber (I, 25–26). Diese ist ihnen nicht nur lästig, sondern beunruhigt sie zutiefst. Apsu entscheidet sich schließlich zu handeln und unterbreitet Tiamtu mit der Unterstützung seines Beraters Mummu den radikalen Vorschlag, ihre zur unerträglichen Belästigung gewordene Nachkommenschaft zu vernichten (I, 29–40). Tiamtu zeigt sich entsetzt über diesen Vorschlag. Für sie ist es undenkbar, ihre eigene Schöpfung auszulöschen (I, 41–46). Doch Apsu lässt sich, getrieben durch Mummu, nicht von seinem Vernichtungsplan abbringen (I, 47–54).

Das Schicksal der jungen Götter scheint besiegelt. Gefangen zwischen Panik und Ohnmacht sind sie zu keinerlei Gegenwehr im Stande (I, 55–58). Doch Ea weiß Rat. Er durchschaut die Winkelzüge des mörderischen Plans und kommt Apsu zuvor, indem er ihn erst einschläfert, dann erschlägt und schließlich die Insignien seiner Macht an sich nimmt. Mummu wird eingesperrt und so unschädlich gemacht (I, 59–72). Als Sieger dieses ersten Konflikts zwischen Starre und Bewegung bestimmt Ea mit der Benennung Apsus dessen neues Schicksal als kosmischer Bereich. In seinen Wassern nimmt der Gott der Weisheit gemeinsam mit seiner Gemahlin Damkina Wohnung (I, 73–78). Das Motiv der Schöpfung qua Transformation des Leibs eines erschlagenen Gegners wird sich in der vierten und fünften Tafel im Konflikt zwischen Tiamtu und Marduk wiederholen.

Ea und Damkina zeugen Marduk, der daraufhin im Apsu zur Welt gebracht wird (I, 81–84). Dass Marduk alle anderen Götter an Kraft, Schönheit und Geisteskraft weit übertrifft, ist bereits unmittelbar nach seiner Geburt offenbar. Als Anu Marduks und dessen Qualitäten gewahr wird, verharrt er in Staunen. Marduks vier, nach allen Seiten hin ausgerichtete Augen- und Ohrenpaare erlauben ihm, schlicht alles wahrzunehmen und zu begreifen. Die Kraft seines Wortes erzeugt Flammenschlag, sobald er seine Lippen bewegt (I, 85–100). Anus Verzückung über diesen strahlenden Sohn bricht sich endlich in einem preisenden Ausruf Bahn (I, 100–101). Anu erschafft Süd-, Nord-, Ost- und Westwind, um sie Marduk zum Geschenk zu machen, auf dass dieser alle Mittel besitze, um neue Bewegung unter die Kräfte des uranfänglichen Stillstands zu bringen und Tiamtu aufzuscheuchen (I, 97–108).

Der Konflikt zwischen Stasis und Dynamik, zwischen Lärm und Ruhe, entflammt so erneut. Die Winde Marduks verwandeln Tiamtu von einer stillen See in ein wogendes Meer. Die Götter, die sich zu diesem Zeitpunkt offenbar im wässrigen Leib der Tiamtu befinden, werden im peitschenden Sturm hin und her geworfen (I, 109–110). Wie einst Apsu durch ihr Treiben sind nun sie selbst jeder Möglichkeit zu rasten beraubt. Der jugendliche Urheber dieses Wasserwirbels wird ihnen zum Feind. Sie dringen mit der vorwurfsvollen Forderung in ihre Mutter Tiamtu, den Tod Apsus zu rächen und alle Götter aus dem Weg zu räumen, die den herrschenden Aufruhr zu verantworten haben (I, 111–124). Der Rachewunsch findet Tiamtus Gehör und sie Gefallen am Vorschlag ihrer wütenden Kinder.

Auf Tiamtus Entschluss, zur Tat zu schreiten, folgt die Aufbietung all ihrer Streitkräfte. Die Götter halten Kriegsrat. Tiamtu gebiert ein Heer aus schrecklichen Drachen, Monstern und Dämonen (I, 125–146). Schließlich kürt Tiamtu einen Gott namens Kingu (I, 146–162) und setzt ihn an die Spitze ihres Heeres und der Versammlung. Sie macht ihn zu ihrem Gemahl und überträgt ihm nicht nur die Herrschaft über alle Götter, sondern mit der Tafel der Schicksale auch die Macht, über die Schicksale zu bestimmen. Durch die Wahl Kingus zum Anführer erhebt Tiamtu ihn zum Rivalen Marduks.

Die zweite Tafel


Die ersten beiden Doppelverse der zweiten Tafel nehmen die ausführliche Schilderung von Tiamtus Kriegsvorbereitungen wieder auf. Tiamtu formiert ihre Truppen und ist im Begriff, sie gegen den Apsu, sprich die Residenz Eas, zu schicken (II, 1–4). Als Ea die Kunde von Tiamtus Aufmarsch erreicht, erleidet er einen Schwächeanfall. Sowie er die Fassung wiedergewinnt, eilt er zu Anschar, um ihn über Tiamtus Vorhaben ins Bild zu setzen (II, 5–10). Ob aus Hilflosigkeit oder bereits mit «wohlerwogene[r] Absicht» (vgl. II, 130) bleibt offen. Er zeigt sich gegenüber seinem Großvater entsetzt über die Kriegstreiberei Tiamtus und der zum Elternmord aufgelegten Götter (II, 11–14). Der folgende Bericht Eas (II, 15–48) ist eine wortgenaue Wiederholung der Schilderung aus der ersten Tafel.

Die Nachrichten schockieren Anschar. Seine Reaktion schwankt zwischen klagendem Aufschrei, stummer Panik und wütender Beschuldigung seines Enkels. In diesem erkennt er den alleinigen Urheber der Katastrophe (II, 49–56). Mit rhetorisch kunstvollen Beschwichtigungen und Erklärungen versucht Ea, die Ermordung Apsus zu rechtfertigen (II, 57–70). Die Rede glückt. Anschar, nun wieder mit seinem Enkel versöhnt, beschließt, dass Ea seine Tatkraft erneut zu beweisen habe. Niemand außer ihm sei besser in der Lage, Tiamtu mit seiner Rede- und Beschwörungskunst zu besänftigen (II, 71–78).

Ea fügt sich dem Wunsch Anschars. Er zieht aus, um die Katastrophe abzuwenden. Doch als er Tiamtu erblickt, verlässt ihn jeder Mut. Er erkennt, dass er ihr und ihren Verbündeten nicht gewachsen ist, und kehrt verängstigt zu Anschar zurück, um ihn um Vergebung für sein Versagen zu bitten (II, 79–84). Sein Gnadengesuch verbindet er mit dem Vorschlag, doch einen anderen an seiner Statt auszuschicken, und betont die guten Erfolgsaussichten dieser Empfehlung, handle es sich bei Tiamtu doch um eine Frau, die einem Mann an Kraft zwangsläufig unterlegen sein müsse (II, 85–94). Anschar, der wieder in Panik verfällt, ruft nach seinem Sohn Anu (II, 95–98). Er beschwört ihn eindringlich, Tiamtu zu beruhigen (II, 99–102). Anu folgt dem Ruf seines Vaters. Doch auch er hat Tiamtu nichts entgegenzusetzen (II, 103–106). So wartet er schließlich vor Anschar mit derselben Entschuldigungsrede auf wie bereits Ea vor ihm (II, 107–118).

Die Lage scheint hoffnungslos, und die Götter um Anschar sehen stumm und schicksalsergeben ihrer Vernichtung entgegen (II, 119–126). Nun schlägt die Stunde von Eas Sohn Marduk. Ea ruft den wackeren Marduk zu sich, um ihn im Verborgenen in seinen Plan einzuweihen. Marduk soll sich vor Anschar freiwillig melden (II, 127–134). Die Rettungstat an Bedingungen zu knüpfen, wird im Text nicht ausdrücklich als Teil von Eas Plan vorgestellt, sondern erscheint als eigenständige Forderung Marduks. Doch kann man sich des Eindrucks kaum erwehren, dass der wahre Ursprung von Marduks kühner Forderung in einer leisen Einflüsterung Eas zu suchen ist.

Marduk tritt sodann vor Anschar und versichert, dass es ihm ein Leichtes sein werde, Tiamtu nicht nur zu besänftigen, sondern sie zu besiegen und Anschar untertan zu machen. Wie schon sein Vater verbindet er die Demonstration seiner Siegesgewissheit mit der misogynen Schmähung Tiamtus (II, 135–148). Anschar ist erleichtert und froh, einen Verteidiger der Götter gefunden zu haben, und schickt Marduk gegen Tiamtu ins Feld. Er soll auf den Winden reiten und Tiamtu mit einer Zauberformel ruhig stellen (II, 149–152). Marduk nutzt diesen günstigen Augenblick, um Anschar und den Göttern die Bedingungen zu unterbreiten, unter denen er gewillt ist, ihr Leben zu retten (II, 153–162): Die Versammlung der Götter soll ihn zum absoluten...