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Das Schweigen der Frösche - oder Die Kunst, die Natur zu belauschen

Das Schweigen der Frösche - oder Die Kunst, die Natur zu belauschen

Pauline Bok

 

Verlag Verlag C.H.Beck, 2022

ISBN 9783406781889 , 322 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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17,99 EUR

Für Firmen: Nutzung über Internet freigegeben

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Das Schweigen der Frösche - oder Die Kunst, die Natur zu belauschen


 

1.

Der Tümpel ist trocken, als wäre kein Winter gewesen


Es gibt hier Stellen, wo ich nie hinkomme. Weil ich festen Boden unter den Füßen brauche. Weil ich kein Fell oder Federn habe und Wasser nicht einfach von mir abschütteln kann. Es durchnässt mir die Kleidung, bis sie mir an der Haut klebt, und läuft mir in die Stiefel. Weil ich nicht schnell laufen, gut klettern oder auffliegen kann, wenn Gefahr droht.

Ich habe mir ein Heim geschaffen, um es warm, trocken und sicher zu haben. Trotzdem möchte ich manchmal wie die anderen Tiere sein, mich mit dem begnügen, was da ist, draußen zu Hause sein. Ich habe mich umgeben mit Hilfsmitteln, mit Prothesen, habe mir viele kluge Tricks ausgedacht – na ja, nicht ich, aber meine Art, ich bin ein Rädchen in einer geölten Maschine und nenne mich frei.

Ich habe noch nie ein Schlammbad genommen, mich niemals an einem kühlen Morgen im Sommer, wenn der Boden warm ist, in einem dünnflüssigen Brei aus lehmiger Erde gewälzt. Ich fürchte mich vor scharfen Steinen oder Stacheln, vor Blutegeln und Tieren, die versuchen, in mich einzudringen. Ich bin kein Wildschwein, das sich im Schlamm suhlt, um die Parasiten loszuwerden, die in seinem Fell herumkrabbeln, dem manchmal all das Leben, das auf ihm mitlebt, zu viel wird. Wenn es dann träge aus dem Bad steigt, legt es sich in seinem triefenden Schlammkleid in die Sonne, bis die Haut unter seinem Fell brennt. Es steht auf, drückt seinen plumpen Leib kräftig gegen einen Baum und fängt an, sich an der Rinde zu reiben, gegen und mit dem Strich seiner Haare, so lange, bis der Panzer aus getrockneter Erde zerbröckelt und mit den Tierchen und allem aus seinem Fell fällt. Es muss herrlich sein, seinen Körper an so einem Stamm abzubürsten, ich vertrage nicht mal ein raues Handtuch, sogar damit reibe ich mir die Haut schon rot.

Ich habe keine Ahnung, wie es sein würde, wenn ich dicht behaart wäre, ich kann mir mich selbst nicht ohne nackte Haut vorstellen, ich bin meine nackte Haut, ungeschützt, kein wildes Tier. Was, wenn der Schlamm mich verschlingen wollte und ich nicht die Kraft hätte aufzustehen? Moor, Morast, das weiß jeder, saugt sich an deinen Füßen fest, zerrt an deinem Körper, verschluckt dich. Blubb blubb, weg ist man, erstickt im Schlamm.

Die ganze Fahrt von Amsterdam hierher war ich unruhig, ich wollte unbedingt noch bei Tageslicht ankommen, wollte wissen, in welchem Zustand ich das Land und das Grundstück vorfinden würde – und den Tümpel, vor allem den Tümpel.

Die Tage bis Mitte März zählend, hatte ich täglich nach dem Wetter in Mecklenburg geschaut, das beschäftigte mich mehr als das Wetter zu Hause, auch wenn ich wusste, wie eng beides zusammenhing. Das niederländische Seeklima unterscheidet sich nur wenig vom Klima hier in der norddeutschen Tiefebene, die Ostsee ist keine hundert Kilometer Luftlinie entfernt, die Nordsee etwa dreihundert.

Die Mecklenburger Jahre haben eine Wetterfanatikerin aus mir gemacht. Obwohl ich längst weiß, dass das Wetter dort einfach etwas später oder etwas früher kommt als in den Niederlanden und bei Ostwind etwas länger anhält. Und wenn alles wieder einmal anders ist als vorhergesagt, behaupten wir hier zwischen den Seen der Endmoränenlandschaft gern, dass das durch unser Mikroklima kommt. Damit immer alles stimmt.

Aber das ist nicht so, nicht mehr, nichts scheint mehr zu stimmen. Die Extreme werden extremer, die Bandbreite ändert sich schneller und schneller. Wir fühlen uns überrumpelt, verlieren die Kontrolle. Wir haben immer geglaubt, das Klima würde sich so langsam ändern, dass wir es kaum bemerken, dass es Statistiken bleiben, Grafiken, dass wir genug Zeit hätten, uns anzupassen, Generation um Generation, dass es von selbst gehen würde.

Es war der Tümpel, der mich alarmierte, der Weidentümpel gleich hinter unserem Kuhstall. Ich hatte ihm nie viel Aufmerksamkeit geschenkt, es war eine der Stellen, wo ich selten hinkam, eigentlich nur, wenn eine dicke Eisschicht darauf lag, ging ich mal darüber hinweg. Sobald es zu tauen begann und das Schneewasser von den Äckern floss, füllte sich der Tümpel. Ab und zu, wenn der Sommer heiß und trocken gewesen war, blieb nur an der tiefsten Stelle eine schlammige Pfütze übrig. Irgendwann hatten wir mal vorgehabt, den Tümpel vertiefen zu lassen, ihn schöner zu machen, aber das war nur so eine Idee gewesen. Er war gut so, wie er war. Er war nicht für uns da, sondern um seiner selbst willen. Und für die Tiere und alles, was dort wuchs.

Aber diesmal war die Frage, ob überhaupt Wasser in dem Tümpel stand, im März, Gott bewahre.

Ich warf einen Blick auf den Tacho, der auf hundert zurückgefallen war, und trat aufs Gaspedal. Mir kam ein Foto in den Sinn, gut ein Jahr war das her, unsere Freunde vom Prenzlauer Berg – die ich Mitte der Achtzigerjahre in der DDR kennengelernt hatte und die während des Sommers meistens im Bauernhaus auf unserem gemeinsamen Vorwerk wohnen – hatten es kurz nach Neujahr gemailt. Darauf war ein kleiner Holzzaun zu sehen, komischerweise im Wasser. Es dauerte einen Moment, bis ich es kapiert hatte: Es war unser eigener Zaun vor dem kleinen Kartoffelacker. Der Tümpel war über die Ufer getreten, das hatte ich noch nie erlebt.

Nicht lange danach konnte ich es mit eigenen Augen sehen, es war Mitte Februar, und es hatte leicht geschneit, die gefrorenen Wasserspiegel lagen weiß gepudert in der Landschaft. Der Tümpel hatte unseren Garten zum Kuhstall hin zur Hälfte unter Wasser gesetzt, bis zu der kleinen Eiche, keine zehn Meter von unserer Gartentür entfernt. Die dünnen Stämme der Sauerkirschbäumchen ragten schwarz aus der Eisfläche empor.

Der Winter war spät gekommen, und er war streng gewesen, bis tief in den März hinein hatte ich mit Boom lange Touren gemacht, wir waren quer über die Seen gelaufen, durch die hart gefrorenen Sumpfgebiete gestreunt, hatten die Landschaft von Stellen aus entdeckt, an denen wir nie zuvor gewesen waren. Und ich war nur allzu gern bereit gewesen, dieses Wetter, diese winterliche Landschaft, als den neuen Status quo zu akzeptieren.

Im Spätsommer hatte ich voller Vertrauen den neuen, aus Weidenzweigen geflochtenen Entenkorb in den Tümpel gestellt. Zum ersten Mal ging ich einfach so hinein, sogar ohne Stiefel. Die Sommermonate waren heiß und trocken gewesen, der Tümpel war nahezu ausgetrocknet. Nach dem Winter würde er wie immer wieder mit Wasser gefüllt sein, und dann hätte ich im Frühjahr junge Enten, Küken. Ich schlug vier Eisenrohre in den Boden, jeweils zwei schräg zueinander, steckte dicke Bambusstöcke hinein, so dass sie sich überkreuzten, und befestigte dazwischen den Entenkorb, mit der Öffnung nach Nordosten, zur windabgewandten Seite. Ich hatte Glück, das war genau die Richtung der Gartentür, so dass ich das junge Leben gut würde beobachten können. In den Korb legte ich schon mal ein kleines Nest aus Heu.

Die Südwestseite war durch einen hohen Wall schön abgeschirmt. Die Enten würden Monate Zeit haben, sich an den Nistplatz zu gewöhnen. Jetzt brauchte man nur noch auf den Herbst mit seinem Regen zu warten, auf den Winter mit seinem Schnee und das schmelzende Eis im Frühjahr. Ich sah den Korb schon zwischen den Stöcken über dem Wasser schweben, hörte die Enten schnattern. Der Korb und das Wasser würden ihre Brut gegen Raubvögel, Krähen und Elstern schützen, und gegen Marder, Füchse, Waschbären und Marderhunde. Auch wenn ich mir bei den Waschbären nicht sicher war. Aber wer sich auch daran zu schaffen machte, ich würde es ganz aus der Nähe beobachten können, mit meinem Fernglas, vom Haus aus.

Doch der Herbstregen blieb aus, und der Winter war seltsam mild und trocken. Mir begann zu dämmern, dass der Tümpel mir erzählt, wie es um mein Biotop steht. Denn er ist der Quell. Aus dem Wasser entspringt alles, was lebt.

Neben mir auf dem rechten Fahrstreifen krochen die Lastwagen wie eine erschöpfte Kamelkarawane dahin, und wir in unseren Pkws schoben uns wie Esel etwas schneller an ihnen vorbei. Anhalten, anfahren, eine Rettungsgasse bilden, bremsen, in den Spiegel schauen, links hinter mir hatte sich eine Lücke gebildet, gleich ausnutzen und einscheren, gut so, auf der etwas schnelleren Fahrspur, nein, doch nicht schneller. Die anderen belauern, mir ein Leben mit ihnen vorstellen, auf das...