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Die Welten des Mittelalters - Globalgeschichte eines Jahrtausends

Die Welten des Mittelalters - Globalgeschichte eines Jahrtausends

Michael Borgolte

 

Verlag Verlag C.H.Beck, 2022

ISBN 9783406784477 , 1103 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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36,99 EUR

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Die Welten des Mittelalters - Globalgeschichte eines Jahrtausends


 

1.

Die beiden Amerikas


Amerika war während des sogenannten Mittelalters eine Welt für sich.[1] Geologisch gesehen handelt es sich bei Nord- und Südamerika um zwei Kontinente, die erst die Bildung des Isthmus von Panama vor rund 3 Millionen Jahren geographisch vereinigt hat.[2] Allerdings ist der Doppelkontinent geographisch nach außen nicht so klar abgrenzbar, wie seine Trennung von Asien durch den Pazifik und von Europa und Afrika durch den Atlantik suggeriert; im Norden scheiden ihn nämlich nur schmale Wasserbecken von seinen Nachbarn. Die Beringstraße zum asiatischen Westen ist etwa 82 Kilometer breit; dies entspricht nur der Länge des modernen Panamakanals. Im Pleistozän, zwischen 13.000 und 10.000 v. u. Z. oder früher, konnte die Beringstraße sogar zu Fuß überquert werden. Ebenfalls im amerikanischen Norden sind der arktischen Festlandsküste viele Inseln vorgelagert; über sie konnte man nach Grönland gelangen, allerdings nirgends ohne eine Überquerung von Meeresarmen.[3] Während des Mittelalters geriet Grönland erstmals in die Reichweite europäischer Siedler, aber die ‹Dänemarkstraße› nach Island bemaß sich doch auf fast 300 Kilometer. Dagegen betrug der Abstand zwischen dem amerikanischen Ellesmere Island und Grönland nur rund 30 Kilometer.[4] Geographisch und geologisch gesehen gehört die ‹grüne Insel› eindeutig zu Amerika statt zu Europa. Im Süden werden die Großen und Kleinen Antillen zu Amerika gerechnet; Kuba ist jedoch von Florida einerseits und der mittelamerikanischen Halbinsel Yucatán andererseits durch Wasserstraßen von 100 bis 200 Kilometern Breite getrennt.

Die ersten Siedler von Asien her drangen zunächst von Norden nach Süden, später in der Arktis auch von Westen nach Osten vor. Umstritten sind neben dem absoluten Beginn auch die Dauer beziehungsweise der Rhythmus der Immigrationen. Als älteste Spuren menschlicher Siedler gelten Funde aus Monte Verde im südlichen Chile.[5] Hierhin und nach Südamerika überhaupt kamen die ersten Kolonisten offenbar von der pazifischen Küste aus, denn die Populationen in den Anden sind mit denen in Mittelamerika genetisch eng verwandt.[6] Die Karibik wurde von Mittel-, aber auch von Südamerika aus erfasst.[7] Danach stießen die Pioniere von den Anden und den karibischen Inseln nach Amazonien und den östlichen Landmassen überhaupt vor; Keramikfunde in der Umgebung des heutigen Rio de Janeiro stammen aus der Zeit um Christi Geburt.[8] Oft diskutiert, aber letztlich immer verworfen wurde eine Einwanderung amerikanischer Ureinwohner von Melanesien, Polynesien, Australien, Afrika, China oder dem Mittleren Osten aus; dafür gibt es nämlich ebenso wenig einen Beweis im menschlichen Erbgut, wie für eine Migration von ‹Native Americans› in die pazifische Inselwelt.[9] Sehr viel später, im 13. Jahrhundert u. Z., dürften allerdings polynesische Segler die Süßkartoffel und vielleicht auch den Flaschenkürbis von Südamerika in ihre Heimat eingeführt haben.[10]

Wie die nord-südlichen Vorstöße sibirischer Menschen Hunderte von Generationen vorher, erfasste eine west-östliche Einwanderung von Asien aus die amerikanische Arktis erstmals um 3000 v. u. Z.;[11] etwas später griff sie bis nach Grönland aus.[12] In gleichen Etappen drang die ‹Thule-Migration› von Inuit während des ersten nachchristlichen Jahrtausends vor.[13] Sie führte vielleicht auch zur ersten Begegnung von ‹Amerikanern› und ‹Europäern›; denn als die Wikinger um 1000 in Grönland anlangten, könnten sie auf Paläoeskimos sowie auf Inuit gestoßen sein.[14] Kurz darauf siedelten sich die Skandinavier auch in Vinland (Neufundland) an, wurden hier aber schon nach einem Jahrzehnt von den Ureinwohnern wieder vertrieben.[15]

Bis weit in die Moderne hinein waren für Aufbau und Pflege weiter Beziehungsnetze brauchbare Wege zu Wasser und zu Lande entscheidend. Im Unterschied zur arktischen Region im äußersten Norden sahen sich die südlicher lebenden ‹Amerikaner› bei der Erschließung ihres Doppelkontinents auf eine Fortbewegung zu Lande verwiesen. Begegnung, Kommunikation und Austausch wurden durch einen fast völligen Mangel an Zug- und Lasttieren (Pferde, Ochsen, Esel, Kamele) erschwert. Das Rad war zwar bekannt, nicht aber der Wagen. Erhebliche Entfernungen zwischen den Siedlungsarealen und geologische Verwerfungen bedingten meist eine isolierte Lebensführung kleinerer oder mittelgroßer Gruppen. Die Amerikas stellen sich als eine Großregion von vielen ‹Welten› mit eigenen Sprachen und kulturellen Eigenheiten dar.

Der Ungunst der Verhältnisse haben nur wenige Völker getrotzt. Im südamerikanischen Andengebiet konnten für den Transport leichterer Lasten Lamas eingesetzt werden; Karawanen mit diesen Tieren, die die Ökonomien der Hochebenen und die pazifischen Küstenregionen miteinander verbanden, soll es schon um 2000 v. u. Z. gegeben haben.[16] In die gleiche Zeit wird auch die älteste Stadt Amerikas an der Küste Perus datiert, die Caral heißt.[17] Während des frühen Mittelalters errichteten zwei Erobererstaaten in den Hochländern von Peru und Bolivien ein Transport- und Fernhandelsmonopol;[18] sie zeichneten damit den Inka ihren Weg vor, die um 1400 u. Z. von der Stadt Cuzco aus ihr Reich geradezu durch ein Straßensystem von mindestens 24.000 Kilometern regierten.[19] Abgesehen von dieser weitläufigen und bestens ausgebauten Verkehrsinfrastruktur im Andengebiet ist auch im Chaco Canyon im heutigen US-amerikanischen Bundesstaat New Mexico eine planmäßige Anlage von Landstraßen nachgewiesen. Diese wird in die Zeit zwischen dem 11. und 13. Jahrhundert eingeordnet, griff auch in die Seitentäler des Trockentals aus und umfasste nach heutigem Ermittlungsstand mehr als 300 Kilometer. Allerdings ist umstritten, ob diese schnurgeraden Wege, die Höhenunterschiede durch Treppen überwanden und bis zu zehn Metern breit sein konnten, überhaupt einem Warentransport oder nicht eher kultischen Zwecken dienen sollten.[20] Weniger gut bekannt als die Straßen der Inka und des Chaco Canyons sind die Landstraßen in Mittelamerika; archäologische Spuren finden sich besonders im Maya-Tiefland.[21] Die längste dieser ‹Sakbe› genannten Straßen erstreckt sich über einhundert Kilometer; ähnlich wie im Chaco Canyon ist sie auffällig gerade ausgezogen und ebenfalls rund zehn Meter breit. Deshalb spricht man analog zu der nordamerikanischen Anlage von einer ‹Prozessionsstraße›.[22]

Cahokia als Zentrum der Mississippi-Kultur

Der Mississippi mit seinen Nebenflüssen war im mittelalterlichen Jahrtausend eine wichtige Verkehrsachse Nordamerikas. Das urbane Zentrum Cahokia wurde im 11./12. Jahrhundert die größte Stadt des American Bottom.

Was den Verkehr zu Wasser betrifft, so hat der Mississippi mit seinen Nebenflüssen im östlichen Nordamerika ein bedeutendes Kommunikationsgeflecht gebildet; seit ca. 900 u. Z. wurde dies auch für größere Bevölkerungsverschiebungen genutzt.[23] Im 11. und 12. Jahrhundert stellte Cahokia das größte, weitausstrahlende Zentrum im American Bottom dar.[24] Von hier gingen Verbindungen zur mexikanischen Golfküste einerseits, zum großen Seengebiet und nach Wisconsin im Norden, den Appalachen im Osten und den Ouachita Mountains im Westen andererseits.[25] Allerdings lässt sich eine Flussschifffahrt nach dem Stand der Forschung bisher nur erschließen.[26] In Mesoamerika führte eine Reihe von verkehrsgünstigen Gewässern ins Landesinnere; sogar der Transport von schweren Gütern (Basaltblöcken) lässt sich nachweisen,[27] aber die Bedeutung dieser Flüsse wird von anderen Forschern auch bestritten.[28] Wichtiger und gut bezeugt ist der Kanu-Verkehr entlang der mexikanischen Golfküste und um die Halbinsel Yucatán, der sich seit dem Postclassicum (ca. 950–1159) verdichtete.[29] Vom Wasser her kann an der Pazifikküste auch die Athapaskan-Sprache verbreitet worden sein.[30]

Zwischen Nord-, Mittel- und Südamerika hat es vermutlich sporadische Berührungen gegeben; ein zwingender örtlicher oder zeitlicher Nachweis ist...