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Grundzüge der Philosophie - Elementa Philosophiae

Grundzüge der Philosophie - Elementa Philosophiae

Thomas Hobbes

 

Verlag e-artnow, 2022

ISBN 4066338121455 , 164 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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1,99 EUR

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Grundzüge der Philosophie - Elementa Philosophiae


 

2. Kapitel.
Von den Namen


1. Wie zerfließend und flüchtig die Gedanken der Menschen sind, wie zufällig ihre Wiederholung, weiß ein jeder aus eigenster gewissester Erfahrung. Denn niemand vermag sich einer Menge ohne sinnlich wahrnehmbare und gegenwärtige Maßeinheiten, der Farben ohne ihre sinnlich wahrnehmbaren und gegenwärtigen Urbilder, der Zahlen ohne Zahlenbezeichnungen (die zuvor geordnet und dem Gedächtnis eingeprägt sind) zu erinnern. Ohne eine derartige Unterstützung entgleitet alles, was der Mensch erfahren und erschlossen hat, sofort und vermag nur in neuer Arbeit wiedergewonnen werden. Hieraus folgt, daß, um Philosophie zu treiben, irgendwelche sinnlichen Erinnerungshilfen notwendig sind, vermittelst derer vergangene Gedanken wieder zurückgerufen und in ihrer Ordnung im einzelnen gleichsam festgehalten werden können. Solche Erinnerungshilfen wollen wir Merkzeichen nennen und darunter sinnlich wahrnehmbare Dinge verstehen, die wir willkürlich gewählt haben, um durch ihre sinnliche Empfindung Gedanken in unserem Geist zu erwecken, die denen ähnlich sind, um deretwillen wir sie zu Hilfe genommen haben.

2. Aber das genügt noch nicht; denn möchte auch ein Mensch von hervorragendem Geist alle Zeit auf Denken und die Erfindung entsprechender Merkzeichen verwenden, um sein Gedächtnis zu unterstützen und so in der Erkenntnis fortzuschreiten, so ist ersichtlich, daß der Nutzen seiner Bemühungen für ihn selbst nicht groß und für die anderen gar nichts wäre. Sind nämlich die Hilfen, die er für sein Denken sich erfand, anderen nicht mitteilbar, so dürfte all sein Wissen mit ihm untergehen. Nur wenn die Erinnerungszeichen Gemeingut vieler sind und, was einer erfand, andere übernehmen können, vermag die Wissenschaft zum Heile und Segen des gesamten Menschengeschlechts zu wachsen. Daher sind für den Aufbau und die Vermehrung philosophischer Erkenntnisse Zeichen unentbehrlich, durch welche das, was einer erdacht, anderen mitgeteilt und klargemacht werden kann. Als Anzeichen aber pflegen Dinge, welche aufeinander folgen, wechselseitig füreinander verwendet zu werden, sofern wir die Erfahrung gemacht haben, daß eine Regelmäßigkeit in ihrer Aufeinanderfolge besteht. Beispielsweise sind dunkle Wolken Zeichen bevorstehenden Regens und der Regen ein Zeichen vorangegangener dunkler Wolken, und zwar lediglich deshalb, weil wir selten dunkle Wolken ohne folgenden Regen und niemals Regen ohne Wolkenbildung beobachtet haben. Von den Zeichen aber sind die einen natürlich, wovon wir eben ein Beispiel gegeben haben, andere willkürlich, nämlich die, welche wir nach unserem Belieben wählen; dazu gehören herabhängende Efeuranken, um einen Weinverkauf anzudeuten, ein Stein, um die Grenze eines Ackers anzugeben, und bestimmt verbundene Worte, um die Gedanken und die Bewegungen unseres Geistes zu bezeichnen. Der Unterschied zwischen den Merkzeichen und den Anzeichen liegt darin, daß jene nur zu eigenem Gebrauch, diese zum Gebrauch für alle bestimmt sind.

3. Sind menschliche Laute so verbunden, daß sie Zeichen für Gedanken bilden, dann heißen sie Rede, ihre einzelnen Teile Namen. Da aber, wie erwähnt, für den Erwerb philosophischer Erkenntnisse Merkzeichen und Anzeichen notwendig sind (Merkzeichen, um uns unserer eigenen Gedanken zu erinnern, Anzeichen, um sie anderen bekannt zu machen), werden die Namen zu beiden benutzt. Doch dienen sie ursprünglich als Merkzeichen, bevor sie als Anzeichen verwendet werden. Denn wenn nur ein einziger Mensch in der Welt wäre, würden sie zur Unterstützung seines Gedächtnisses ihm nützlich sein, während sie zur Mitteilung, wenn niemand da wäre, dem etwas mitgeteilt werden könnte, nicht dienen könnten. Außerdem sind die Namen, jeder einzelne für sich, Merkzeichen, die uns auch allein unsere Gedanken zurückrufen; Anzeichen sind sie dagegen nur insoweit, als sie in Sätzen zusammengefaßt und geordnet werden, deren Teile sie bilden. So erregt etwa das Wort »Mensch« im Hörer eine Vorstellung vom Menschen, ist aber (wenn nicht hinzugefügt wird: Der Mensch ist ein lebendes Wesen oder etwas Entsprechendes) kein Anzeichen dafür, daß im Geiste des Sprechenden gerade diese Vorstellung war, sondern nur, daß er etwas sagen wollte, das mit dem Worte »Mensch-lich« hätte beginnen können. Die Namen bedeuten daher nach ihrem Wesen in erster Linie Merkzeichen zur Unterstützung des Gedächtnisses; zugleich, aber in zweiter Linie, dienen sie, um unsere eigenen Erinnerungen anderen anzuzeigen und ihnen dadurch mitzuteilen.

4. Hieraus ergibt sich folgende Definition von Namen:

Ein Name ist ein beliebig als Merkzeichen gewähltes Wort, um in unserem Geiste Gedanken zu erregen, welche früheren Gedanken ähnlich sind, und das zugleich, einem Satze eingefügt und zu Anderen geäußert, ein Anzeichen dafür ist, welche Gedanken in dem Sprechenden vorhanden oder nicht vorhanden waren. In Kürze nur merke ich an, daß ich annehme, daß der Ursprung der Namen willkürlich ist, eine Voraussetzung, welche nach meinem Urteil keinem Zweifel unterliegt. Denn niemand, der beachtet, wie täglich neue Namen entstehen, alte vergehen, wie die verschiedenen Nationen verschiedene Namen gebrauchen, wie zwischen den Namen und den Dingen keine Ähnlichkeit oder Vergleichbarkeit besteht, kann ernstlich meinen, daß die Namen der Dinge deren Natur entstammen. Denn wenn auch einige Namen von Tieren und Dingen, die unsere Stammväter benutzten, Gott selbst lehrte, so hat er auch sie doch nach seinem Ermessen festgesetzt; auch wurden sie später, beim Turmbau zu Babel und auch sonst in fortschreitender Zeit, ungewohnt und vergessen und andere traten an ihre Stelle, absichtlich von den Menschen erfunden und von ihnen verwendet. Und endlich: welches immer der Gebrauch von Namen im gewöhnlichen Leben sein mag, die Philosophen, die anderen ihr Wissen mitteilen wollten, hatten doch stets die Freiheit, die Worte zur deutlichsten Bezeichnung ihrer Lehren nach eigenem Ermessen zu wählen; ja sie sahen sich bisweilen früher dazu genötigt und werden es auch künftig sein, sofern sie diese zu vollem Verständnis bringen wollen. So sind auch die Mathematiker ganz auf sich angewiesen, wenn sie die von ihnen erfundenen Figuren Parabel, Hyperbel, Cissoide, Quadratrix benennen oder Größen mit A oder B bezeichnen.

5. Da die Namen nach Definition als geordnete Satzteile Anzeichen unserer Vorstellungen sind, ist weiter klar, daß sie nicht Zeichen für die Dinge selber sind; denn in welchem anderen Sinne könnte der Schall des Wortes Stein ein Zeichen für den Stein sein, als indem der Hörer hieraus schließt, daß der Sprechende an einen Stein gedacht habe. Die Streitfrage, ob Namen die Materie der Dinge oder etwas aus ihnen Zusammengesetztes bezeichnen, und ähnliche Subtilitäten der Metaphysiker entspringen nur irrigen Vorstellungen; wer sich auf sie einläßt, weiß nicht, worüber er streitet.

6. Zudem ist es überhaupt nicht erforderlich, daß jeder Name der Name eines Dinges ist. Zwar bezeichnen Namen wie: Baum, ein Mensch, ein Stein Dinge selbst, aber ebensogut haben die Traumbilder von Mensch, Baum, Stein ihre Namen, obwohl sie lediglich Phantasmen und bloße Einbildungen von Dingen sind. Da wir uns auch ihrer erinnern können, ist sie zu benennen für uns nicht weniger erforderlich als die Dinge selbst. So ist auch das Wort »Zukunft« ein Name, aber ein Ding Zukunft gibt es nicht, und wir wissen nicht, ob das, was wir Zukunft nennen, einstmals sein wird. Gleichwohl hat das Wort seinen guten Sinn; gewohnt, im Denken Vergangenes mit Gegenwärtigem zu verknüpfen, bezeichnen wir nunmehr eine solche Verknüpfung mit dem Namen Zukunft. Auch was niemals ist oder war oder sein wird oder sein kann, wird benannt, nämlich als das, was niemals ist oder war usw. oder kürzer als das »Unmögliche«. Endlich ist das Wort »Nichts« ein Name, bezeichnet aber unmöglich ein Ding; und doch, wie nützlich ist das Wort, wenn wir beispielsweise 2 und 3 von 5 abziehen und um das Ergebnis, daß kein Rest bleibt, dem Gedächtnis einzuprägen, die Formel anwenden: nichts bleibt Rest. Aus gleichem Grunde können wir auch, wenn ein größerer Posten von einem kleineren abgezogen wird, den Rest als ein weniger als nichts bezeichnen; solche Reste fingiert nämlich der theoretische Geist und muß sie daher, um sie erforderlichenfalls benutzen zu können, gedächtnismäßig aufbewahren. Da aber gleichwohl jeder Name einen Bezug auf das Benannte hat, können wir doch, ob dieses Benannte nun in der Natur als Ding existiert oder nicht, es, um eine einheitliche Formel zu gewinnen, als Ding bezeichnen, gleichgültig, ob dieses Ding wahrhaft existiert oder nur vorgestellt wird.

7. Die Namen unterscheiden sich zunächst nun dadurch, daß die einen positiv oder affirmativ, die anderen negativ sind und teils als privativ, teils als unendlich bezeichnet zu werden pflegen. Positiv sind die, welche wir bei Ähnlichkeit, Gleichheit oder Identität, negativ die, welche wir bei Verschiedenheit, Unähnlichkeit und Ungleichheit betrachteter Dinge anwenden. Beispiel für die ersteren sind Mensch, Philosoph; denn Mensch bedeutet aus einer Menge von Menschen, da sie alle einander ähnlich sind, einen beliebigen von ihnen, wie ein Philosoph einen beliebigen aus einer Gesamtheit von Philosophen; ebenso ist Sokrates ein positiver Name, da er stets ein und dieselbe Person bezeichnet. Beispiele negativer Namen sind etwa die, welche aus dem Positiven durch Hinzufügung der Verneinung »nicht« entstehen, wie Nichtmensch, Nichtphilosoph. Die Positiven sind aber früher als die Negativen, da ohne sie deren Bildung nicht möglich wäre. War nämlich weiß zur Bezeichnung gewisser Dinge, später schwarz, blau, durchsichtig usw. für andere verwendet, dann könnten die Verschiedenheiten aller dieser Farben...