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Aufrappeln

Aufrappeln

Judith Poznan

 

Verlag DuMont Buchverlag , 2023

ISBN 9783832182878 , 160 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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16,99 EUR

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Aufrappeln


 

I

Es begann alles mit dem Kopf einer Ratte in meinem Klo am Morgen des Karfreitags. Der faulige Kanalgeruch aus dem Abfluss war in den Wochen zuvor schon da gewesen. Und beunruhigende Kratzgeräusche hinter den Badezimmerfliesen. Im Hinterhaus wurden bereits Giftsäcke im zweistelligen Bereich ausgelegt. Einmal kam ein Handwerker, riss die Wand unterm Waschbecken auf, packte auch dort ein Säckchen hinein, und fortan hatten wir eine kleine Tür zu unserer Badezimmerwand, die besser nicht wie von Geisterhand plötzlich aufgehen sollte.

»Da liegt ooch überall Kot«, hatte der Handwerker gesagt.

»Manchmal höre ich so Gefiepe«, sagte ich.

»Ja, dit is deren Nest.«

Wahrscheinlich war es nur eine Frage der Zeit gewesen, bis sich eine von denen zeigen würde. So wie die hier. Die guckte mich an und ich sie. Ihr Kopf war ganz schmal, die Nase spitz, und ihr Fellhaar schwamm im Klowasser. Da war eine Ratte in meinem Klo. Und noch bevor ich irgendwie hysterisch reagieren konnte, zog sich ihr Kopf wieder zurück. War das jetzt wirklich passiert? Manchmal gibt es in einer überraschenden Situation so einen Moment der Irritation. Noch mal hämmerte es in meinem Kopf: War das jetzt wirklich passiert? Irgendwas zieht ganz schnell an einem vorbei. Eben wollte man aufs Klo gehen, dann sieht man aber einen Rattenkopf, in der nächsten Sekunde wieder keinen, man vergisst, warum man überhaupt aufs Klo wollte, ja richtig, man wollte morgenpullern, die Blase fällt einem wieder ein, der Schalter vom Wasserkocher klappt hoch – klack, war das jetzt wirklich passiert?

Ich nahm mein Handy und recherchierte im Internet »Ratten im Klo was tun«. Ich öffnete die Schublade mit dem Werkzeug, den Kabeln, dem Klebeband in der Überzeugung, Gaffa würde mich beschützen. Ich zog einen langen Streifen von der Rolle, das Geräusch machte Spaß. Was für eine großartige Erfindung Gaffa-Band doch war. Sofort wollte ich noch mehr Sachen gaffern, aber ich konzentrierte mich auf meine Mission. Ich verbarrikadierte das Klo. Fünf silberne Streifen verschlossen das Tor zur Hölle, das ich gerade zu dem Tor der Hölle erklärt hatte. Und ich packte einen hohen Stapel alter Bildbände und Graphic Novels darauf. Ratten, las ich, sind stark. Sie konnten ohne Weiteres das Dreifache ihres Körpergewichts stemmen und sich nahezu überall hindurchquetschen. Die hier würde aber keine Chance haben, rauszukommen.

Ich rief meinen Freund an und sagte: »Ich habe gerade eine Ratte in unserem Klo gesehen.« Was für eine sensationelle Nachricht. Mein Freund sagte nichts. Ich wiederholte: »Ratte! In unserem Klo! Ein dicker, fetter Rattenkopf.«

Bruno sagte: »Bist du dir ganz sicher?«

Ich wusste genau, wie Bruno jetzt dabei guckte. Bruno war kein Augenaufreißer, wenn er etwas Sensationelles hörte. Die Augen wurden eher etwas kleiner, und während er »Bist du dir ganz sicher?« sagte, schob er mit dem Zeigefinger seine Brille nach oben. Sein Bist-du-ganz-sicher-Blick war ruhig und sachlich. Der Zweifel an meiner Sensationsnachricht traf mich allerdings hart. Warum sollte ich mir verdammt noch mal nicht sicher sein? Ich hörte, wie die Stimme vom Sohn am anderen Ende der Leitung lauter wurde.

»Mausi, die Mama hat eine Ratte gesehen!«

»Boah!«, hörte ich und dachte, das ist die Reaktion, die ich erwartet hatte. »Ist die tot?«

»Lebt noch!«, sagte ich.

Ich schaute zum zugegafferten Klo und rekonstruierte den Moment, als ich den Kopf gesehen hatte. Ich war immer noch erstarrt, deswegen war es gar nicht einfach, noch mal zehn Minuten in der Zeit zurückzugehen. Also, ich stand da, klappte den Klodeckel hoch, der Kopf guckte mich an, eine Sekunde, zwei Sekunden, drei Sekunden, und der Kopf tauchte wieder ab. Nicht hastig, nicht wie man es von einem wild lebenden Tier aus einem Rohr erwarten würde, das nur ungern auf Menschen traf. Die Ratte, meinte ich, war vielleicht genauso überrascht, mich zu sehen, wie ich sie. Jetzt mal besser keine schnelle Bewegung machen, ganz entspannt den Rückzug einleiten, die merkt gar nicht, dass ich hier in ihrem Bad bin. Warum ich mich jetzt in die Ratte hineinversetzte, wusste ich nicht.

Bruno sagte, ich solle den Hausmeister anrufen. »Es ist Feiertag«, erwiderte ich. Und fragte mich aber dabei, ob der Kopf einer Ratte in einem Klo ein Notfall wäre. Ist nicht so, dass ich jetzt kein Klo mehr hatte. Es gab schließlich noch das Gästeklo. Das eigentlich nur zum Rauchen von E-Zigaretten von mir genutzt wurde. Den Gedanken, dass die Ratte da auch hochkommen könnte, schob ich schnell beiseite. Bruno sagte außerdem, ich solle das Klo mit Gaffa zubinden. Fast stolz, weil mir dieser Einfall schon längst gekommen war, sagte ich, das Klo sei bereits zugegaffert.

Bruno und ich sind beide sehr überzeugte Gaffa-Menschen, was keine Gemeinsamkeit ist, die man bei einer ersten Verabredung entdeckt und über die man sich freut. Wo einer dann laut aufkreischt, sich ans Herz fasst und sagt: »Oh mein Gott, ich liebe auch Gaffa!« Unsere gemeinsame Liebe zu Gaffa-Band kam erst im zweiten oder dritten Jahr unserer Beziehung zum Vorschein. In einer Schublade liegen zehn Rollen Gaffa in den unterschiedlichsten Farben. Ich habe Bruno mal einen Artikel vorgelesen, in dem stand, für manche Leute sei es ein Ding, auf Gaffa zu kauen. Nur wer Gaffa-Band liebt, liest so etwas vor, und nur wer die Liebe zu Gaffa-Band erwidert, hört sich das interessiert an. Ich legte auf und schaute auf mein Gaffa-Bücherstapel-Ratten-Abwehrsystem.

Zwei Tage waren es noch, bis Bruno mit dem Sohn wieder aus Westdeutschland von seiner Mutter zurückkäme. Zwei Tage, in denen ich allein damit klarkommen musste, dass ich eine Ratte in meinem Klo gesehen hatte oder vielleicht nicht. Zwei Tage, in denen ich mein Buch zu Ende schreiben und an meine Lektorin schicken musste. Und es war fünf Tage bevor Bruno sich neben mich auf die Couch setzte und mir sagte, dass unsere Beziehung zu Ende sei.

*

Der Anruf kam überraschend. Die Redakteurin, für die ich eine Reihe von Kolumnen und Reportagen schrieb, manchmal auch Interviews führte, kam schnell zum Punkt: ob ich mir vorstellen könne, als feste Redakteurin bei ihnen einzusteigen. Die Familienseite, die wöchentlich erscheine, könne einen neuen Anstrich gebrauchen. Ich bat die Redakteurin, ihr Angebot noch einmal zu wiederholen – wurde mir hier tatsächlich eine feste Stelle angeboten? Ich bedankte mich für das Vertrauen, stotterte, ich könne das nun wirklich nicht glauben. Stotterte weiter, ich würde gerne darüber nachdenken. Ich lief aufgekratzt im Zimmer umher, strich mit der freien Hand das Bettlaken glatt, lief zum Spiegel und wieder zum Bett zurück. »Wie lange habe ich Zeit, darüber nachzudenken?«, fragte ich. Zwei Tage. Okay, zwei Tage für eine berufliche Monsterentscheidung. Die Freiberuflichkeit aufgeben und fortan in Bluse an einen Schreibtisch marschieren oder weiterhin zu Hause in Jogginghose als Texterin hauptsächlich mein Geld verdienen. Die Jogginghose war überhaupt nicht zu unterschätzen; ich bekam als Texterin schließlich gutes Geld und hatte gute Arbeitszeiten. Alles, Texterin, Schriftstellerin und Redakteurin, das war mir sofort klar, würde ich nicht sein können. Vor ein paar Jahren noch war ich nichts von alledem gewesen, eben nur eine arbeitslose Schriftstellerin, die aus Versehen schwanger wurde und dann ausschließlich arbeitslos war. Bruno war derjenige, der das Geld verdiente, während ich mich um unseren Sohn kümmerte und in kleinen Schritten, zwischen Milchstau und durchgemachten Nächten, versuchte, in der Arbeitswelt einen neuen Platz für mich zu finden. Dieses Angebot an Arbeit überforderte mich. Meine Eltern hatten im selben Alter nicht an so einem Punkt gestanden. Die Weichen waren mit Ende 20 gestellt worden, und auf diesem Weg fuhren sie immer weiter.

Noch mit dem Handy in der Hand lief ich aufgeregt zu Bruno, in der Überzeugung, der würde gleich seinen Ohren nicht trauen. Bruno saß an seinem Schreibtisch, der Rücken leicht gekrümmt, die Beine überkreuzt. Der Schreibtisch ist ordentlich, nur Dinge, die gebraucht werden, liegen auf der Tischfläche. Ein Block für Notizen mit einem Stift darauf, eine Lampe, eine Kaffeetasse, ein Bild von mir und dem Jungen.

»Bruno, ich soll als Redakteurin arbeiten! So richtig feste. Mit Bluse!«

Bruno schaute von seinem Laptop hoch, sagte sofort »herzlichen Glückwunsch«, beugte sich zurück zum Laptop und fragte tippend, ob ich den Job machen wolle.

Ich sagte: »Wollen wir das nicht zusammen entscheiden?« Ich setzte mich. »Es wäre schon eine Veränderung für uns alle. Eine, die auch dich betrifft. Wir würden nicht mehr zusammen vormittags zu Hause arbeiten, es gäbe zwar mehr Geld, aber mit der Flexibilität wäre es vorbei.« Bruno tippte weiter. »Andererseits ist es vielleicht mal ganz schön für mich, wieder in einem Team zu arbeiten. Ich habe zwar keine Erfahrung mit Redaktionsalltag, aber vielleicht kann ich mir das schnell beibringen? Oh Gott, was, wenn das gar nicht so schnell geht? Das ist bestimmt ein Job, der vermutlich nicht um 15 Uhr Feierabend bedeutet. Also jetzt sag doch mal was dazu!«

»Ich kann dir diese Entscheidung nicht abnehmen. Ich stimme zu, was auch immer du möchtest.«

»Kannst du mal aufhören mit dem Tippen?«, sagte ich.

Bruno drehte sich zu mir. »Ich bin mit allem einverstanden.«

Darüber schlafen war dann eine Idee von Bruno. Auf so was komme ich nicht von allein.

Am nächsten Morgen sah ich wieder eine Ratte. Dieses Mal im Gästeklo. Das Hinterteil war deutlich zu erkennen. Der Schwanz schwang hin und her wie der Taktstock eines Dirigenten. Ich hörte auf zu atmen, ging vorsichtig zwei Schritte zurück. Jetzt erst fiel...