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Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl - oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Dasein

Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl - oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Dasein

Charles Darwin

 

Verlag epubli, 2023

ISBN 9783757504465 , 839 Seiten

2. Auflage

Format ePUB

Kopierschutz frei

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6,49 EUR

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Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl - oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Dasein


 

Drittes Capitel: Der Kampf um's Dasein


Ehe wir auf den Gegenstand dieses Capitels eingehen, muss ich einige Bemerkungen voraussenden, um zu zeigen, in welcher Beziehung der Kampf um's Dasein zur natürlichen Zuchtwahl steht. Es ist im letzten Capitel gezeigt worden, dass die Organismen im Naturzustande eine gewisse individuelle Variabilität besitzen, und ich wüsste in der That nicht, dass dies je bestritten worden wäre. Es ist für uns unwesentlich, ob eine Menge von zweifelhaften Formen Art, Unterart oder Varietät genannt werde, welchen Bang z.B. die 200 bis 300 zweifelhaften Formen britischer Pflanzen einzunehmen berechtigt sind, wenn die Existenz ausgeprägter Varietäten zulässig ist. Aber das blosse Vorhandensein individueller Variabilität und einiger weniger wohlausgeprägter Varietäten, wenn auch nothwendig als Grundlage für den Hergang, hilft uns nicht viel, um zu begreifen, wie Arten in der Natur entstehen. Wie sind alle jene vortrefflichen Anpassungen von einem Theile der Organisation an den andern und an die äusseren Lebensbedingungen und von einem organischen Wesen an ein anderes bewirkt worden? Wir sehen diese schöne Anpassung ausserordentlich deutlich bei dem Specht und der Mistelpflanze und nur wenig minder deutlich am niedersten Parasiten, welcher sich an das Haar eines Säugethieres oder die Federn eines Vogels anklammert; am Bau des Käfers, welcher in's Wasser untertaucht; am befiederten Samen, der vom leichtesten Lüftchen getragen wird; kurz, wir sehen schöne Anpassungen überall und in jedem Theile der organischen Welt.

Ferner kann man fragen, wie kommt es, dass die Varietäten, welche ich beginnende Arten genannt habe, zuletzt in gute und distincte Species umgewandelt werden, welche in den meisten Fällen offenbar unter sich viel mehr, als die Varietäten der nämlichen Art verschieden sind? Wie entstehen jene Gruppen von Arten, welche das bilden, was man verschiedene Genera nennt, und welche mehr als die Arten dieser Genera von einander abweichen? Alle diese Resultate folgen, wie wir im nächsten Abschnitte ausführlicher sehen werden, aus dem Kampfe um's Dasein. In diesem Wettkampfe werden Abänderungen, wie gering und auf welche Weise immer sie entstanden sein mögen, wenn sie nur für die Individuen einer Species in deren unendlich verwickelten Beziehungen zu anderen organischen Wesen und zu den physikalischen Lebensbedingungen einigermassen vortheilhaft sind, die Erhaltung solcher Individuen zu unterstützen neigen und sich meistens durch Vererbung auf deren Nachkommen übertragen. Ebenso wird der Nachkömmling mehr Aussicht haben, leben zu bleiben; denn von den vielen Individuen dieser Art, welche von Zeit zu Zeit geboren werden, kann nur eine kleine Zahl am Leben bleiben. Ich habe dieses Princip, wodurch jede solche geringe, wenn nur nützliche, Abänderung erhalten wird, mit dem Namen »natürliche Zuchtwahl« belegt, um seine Beziehung zum Wahlvermögen des Menschen zu bezeichnen. Doch ist der von HERBERT SPENCER oft gebrauchte Ausdruck »Überleben des Passendsten« zutreffender und zuweilen gleich bequem. Wir haben gesehen, dass der Mensch durch Auswahl zum Zwecke der Nachzucht grosse Erfolge sicher zu erzielen, und durch die Häufung kleiner, aber nützlicher Abweichungen, die ihm durch die Hand der Natur dargeboten werden, organische Wesen seinen eigenen Bedürfnissen anzupassen im Stande ist. Aber die natürliche Zuchtwahl ist, wie wir nachher sehen werden, eine unaufhörlich zur Thätigkeit bereite Kraft und des Menschen schwachen Bemühungen so unermesslich überlegen, wie es die Werke der Natur überhaupt denen der Kunst sind.

Wir wollen nun den Kampf um's Dasein etwas mehr im Einzelnen erörtern. In meinem spätern Werke über diesen Gegenstand soll er, wie er es verdient, in grösserer Ausführlichkeit besprochen werden. Der ältere DE CANDOLLE und LYELL haben des weitern und in philosophischer Weise nachgewiesen, dass alle organischen Wesen im Verhältnisse einer harten Concurrenz zu einander stehen. In Bezug auf die Pflanzen hat Niemand diesen Gegenstand mit mehr Geist und Geschick behandelt als W. HERBERT, der Dechant von Manchester, offenbar in Folge seiner ausgezeichneten Gartenbaukenntnisse. Nichts ist leichter, als in Worten die Wahrheit des allgemeinen Wettkampfes um's Dasein zuzugestehen, aber auch nichts schwerer – wie ich wenigstens gefunden habe – als sie beständig im Sinne zu behalten. Wenn wir aber dieselbe dem Geiste nicht ganz fest eingeprägt haben, wird der ganze Haushalt der Natur, mit allen den Thatsachen der Verbreitungsweise, der Seltenheit und des Häufigseins, des Erlöschens und Abänderns, nur dunkel begriffen oder ganz missverstanden werden. Wir sehen das Antlitz der Natur in Heiterkeit strahlen, wir sehen oft Überfluss an Nahrung; aber wir sehen nicht oder vergessen, dass die Vögel, welche um uns her müssig und sorglos ihren Gesang erschallen lassen, meistens von Insecten oder Samen leben und mithin beständig Leben zerstören; oder wir vergessen, wie viele dieser Sänger oder ihrer Eier und ihrer Nestlinge unaufhörlich von Raubvögeln und Raubthieren zerstört werden; wir behalten nicht immer im Sinne, dass, wenn auch das Futter jetzt im Überfluss vorhanden sein mag, dies doch nicht zu allen Zeiten jedes umlaufenden Jahres der Fall ist.

Der Ausdruck, Kampf um's Dasein, im weiten Sinne gebraucht

Ich will vorausschicken, dass ich diesen Ausdruck in einem weiten und metaphorischen Sinne gebrauche, unter dem sowohl die Abhängigkeit der Wesen von einander, als auch, was wichtiger ist, nicht allein das Leben des Individuums, sondern auch Erfolg in Bezug auf das Hinterlassen von Nachkommenschaft einbegriffen wird. Man kann mit Recht sagen, dass zwei hundeartige Raubthiere in Zeiten des Mangels um Nahrung und Leben miteinander kämpfen. Aber man kann auch sagen, eine Pflanze kämpfe am Rande der Wüste um ihr Dasein gegen die Trocknis, obwohl es angemessener wäre zu sagen, sie hänge von der Feuchtigkeit ab. Von einer Pflanze, welche alljährlich tausend Samen erzeugt, unter welchen im Durchschnitt nur einer zur Entwicklung kommt, kann man noch richtiger sagen, sie kämpfe um's Dasein mit anderen Pflanzen derselben oder anderer Arten, welche bereits den Boden bekleiden. Die Mistel ist vom Apfelbaum und einigen wenigen anderen Baumarten abhängig; doch kann man nur in einem weit hergeholten Sinne sagen, sie kämpfe mit diesen Bäumen; denn wenn zu viele dieser Schmarotzer auf demselben Baume wachsen, so wird er verkümmern und sterben. Wachsen aber mehrere Sämlinge derselben dicht auf einem Aste beisammen, so kann man in zutreffenderer Weise sagen, sie kämpfen miteinander. Da die Samen der Mistel von Vögeln ausgestreut werden, so hängt ihr Dasein mit von dem der Vögel ab, und man kann metaphorisch sagen, sie kämpfen mit anderen beerentragenden Pflanzen, damit sie die Vögel veranlasse, eher ihre Früchte zu verzehren und ihre Samen auszustreuen, als die der anderen. In diesen mancherlei Bedeutungen, welche ineinander übergehen, gebrauche ich der Bequemlichkeit halber den allgemeinen Ausdruck »Kampf um's Dasein«.

Geometrisches Verhältnis der Zunahme

Ein Kampf um's Dasein tritt unvermeidlich ein in Folge des starken Verhältnisses, in welchem sich alle Organismen zu vermehren streben. Jedes Wesen, welches während seiner natürlichen Lebenszeit mehrere Eier oder Samen hervorbringt, muss während einer Periode seines Lebens oder zu einer gewissen Jahreszeit oder gelegentlich einmal in einem Jahre eine Zerstörung erfahren, sonst würde seine Zahl zufolge der geometrischen Zunahme rasch zu so ausserordentlicher Grösse anwachsen, dass kein Land das Erzeugte zu ernähren im Stande wäre. Da daher mehr Individuen erzeugt werden, als möglicher Weise fortbestehen können, so muss in jedem Falle ein Kampf um die Existenz eintreten, entweder zwischen den Individuen einer Art oder zwischen denen verschiedener Arten, oder zwischen ihnen und den äusseren Lebensbedingungen. Es ist die Lehre von MALTHUS in verstärkter Kraft auf das gesammte Thier- und Pflanzenreich übertragen; denn in diesem Falle ist keine künstliche Vermehrung der Nahrungsmittel und keine vorsichtige Enthaltung vom Heirathen möglich. Obwohl daher einige Arten jetzt in mehr oder weniger rascher Zahlenzunahme begriffen sein mögen: alle können es nicht zugleich, denn die Welt würde sie nicht fassen.

Es gibt keine Ausnahme von der Regel, dass jedes organische Wesen sich auf natürliche Weise in einem so hohen Masse vermehrt, dass, wenn nicht Zerstörung eintrete, die Erde bald von der Nachkommenschaft eines einzigen Paares bedeckt sein würde. Selbst der Mensch, welcher sich doch nur langsam vermehrt, verdoppelt seine Anzahl in fünfundzwanzig Jahren, und bei so fortschreitender Vervielfältigung würde die Erde schon in weniger als tausend Jahren buchstäblich keinen Raum mehr für seine Nachkommenschaft haben. LINNÉ hat schon berechnet, dass, wenn eine einjährige Pflanze nur zwei Samen erzeugte (und es gibt keine Pflanze, die so wenig productiv wäre) und ihre Sämlinge im nächsten Jahre wieder zwei gäben u.s.w., sie in zwanzig Jahren schon eine Million Pflanzen liefern würde. Man sieht den Elephanten als das sich am langsamsten vermehrende von allen bekannten Thieren an. Ich habe das wahrscheinliche Minimalverhältnis seiner natürlichen Vermehrung zu berechnen gesucht; die Voraussetzung wird die sicherste sein, dass seine Fortpflanzung erst mit dem dreissigsten Jahre beginne und bis zum neunzigsten Jahre währe, dass er in dieser Zeit sechs Junge zur Welt bringe und dass er hundert Jahre alt wird. Verhält es sich so, dann würden nach Verlauf von 740 – 750 Jahren nahezu neunzehn Millionen Elephanten, Nachkömmlinge des ersten Paares, am Leben sein....