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Der Konfuzianismus

Der Konfuzianismus

Hans Ess

 

Verlag Verlag C.H.Beck, 2023

ISBN 9783406789625 , 129 Seiten

3. Auflage

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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8,99 EUR

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Mehr zum Inhalt

Der Konfuzianismus


 

II. Konfuzianismus und der chinesische Staat


1. Die Verfolgung konfuzianischer Lehren und ihr Triumph


Zu wirklichem Ruhm scheinen Anhänger der konfuzianischen Schule zunächst kaum gelangt zu sein. Dennoch bezeugen eine Reihe von Bemerkungen insbesondere im Werk des Han Fei, dass sie für ihre Fähigkeit bekannt waren, zu allen Vorgängen des damaligen Lebens historische Präzedenzfälle zu finden und dann zum Teil eigenwillige Schlussfolgerungen hinsichtlich der Bewertung daraus zu ziehen. In den Augen des heranwachsenden bürokratischen Staates, der sich, wie von der modernen chinesischen Archäologie geborgene Texte des 3. und 2. Jahrhunderts v. Chr. belegen, immer stärker auf ein kodifiziertes Gesetzeswerk stützen wollte, stellte dieses Verhalten eine Gefahr dar. Der Erste Kaiser von Qin – nichts anderes bedeutet der weithin bekannte Name Qin Shi Huangdi – erließ deshalb in den Jahren 214 und 213 v. Chr. Verbote gegen die Gelehrten. Kein Manuskript des Buchs der Lieder oder der Urkunden sollte mehr in Privathand bleiben dürfen. So sollten die Gebildeten die Quellen verlieren, anhand derer sie gegen Gesetzesregeln argumentieren konnten. Zu diesem Kampf gegen alte Traditionen gehörte auch, dass der Herrscher die unterschiedlichen kursierenden Schriftsysteme vereinheitlichen ließ, so dass nur noch seine neue Kanzleischrift gebraucht wurde, die dann tatsächlich die Zeiten bis ins 20. Jahrhundert weitgehend unverändert überdauert hat.

Jedoch brach die Herrschaft der Dynastie Qin schon wenige Jahre später zusammen. Gaozu, der erste Herrscher der Han, kam aus kleinen Verhältnissen und hielt nicht viel mehr von den Gelehrten als sein Vorgänger – er soll den konfuzianischen Beratern, die ihn aufsuchten, gerne die Kappen abgenommen haben, um dann genüsslich sein Wasser dahinein abzuschlagen –, doch ließ er sich, wie dargelegt, von der Notwendigkeit eines Hofzeremoniells überzeugen. Gebildete hatten danach am Hofe eine gewisse Daseinsberechtigung, insgesamt aber spielten sie eine eher untergeordnete Rolle.

Erst unter dem sechsten Kaiser der Han, dem für seine Expansionspolitik nach Zentralasien und Südchina bekannten Kaiser Wu, traten substantielle Änderungen ein. Auf Vorschlag eines seiner Berater soll er eine Kaiserliche Hochschule gegründet haben, an der einzelne Lehrstühle für Gelehrte eingerichtet wurden, die unterschiedliche Auslegungstraditionen zu den kanonischen Schriften unterrichten konnten. Dies waren zwar nicht die allerhöchsten Amtspositionen, die der Staat zu vergeben hatte, doch dienten sie als Sprungbrett für höhere Weihen. Fünfzehn solcher Gelehrter soll es nach mehreren Erweiterungen am Ende des 1. Jahrhunderts gegeben haben, die jeweils eine spezielle Schulgelehrsamkeit zu einem einzelnen Text unterrichteten: vier verschiedene Traditionen zum Buch der Wandlungen, jeweils drei zu den Liedern, den Urkunden und den Riten sowie zwei zu den Frühlings- und Herbstannalen. Ihnen zugeteilt waren Studenten, die zunächst ebenfalls in einer Art Anstellungsverhältnis standen. Absolventen dieser Hochschulausbildung wurden Prüfungen unterzogen und nahmen alsdann Positionen in der sich langsam ausdehnenden staatlichen Bürokratie ein. Dies war nicht die einzige Möglichkeit, in den Staatsdienst zu treten, aber eine besonders wesentliche. So erfolgreich war die Neuerung des Kaisers Wu, dass die Hochschule Mitte des 2. nachchristlichen Jahrhunderts zum Zentrum des geistigen Lebens im Reich avancieren konnte und über dreißigtausend Studenten beherbergte. Alle großen späteren Dynastien bis zum Ende des Kaiserreiches haben Hochschulen mit Doktoren für die fünf kanonischen Schriften (wu jing) in ihrer Hauptstadt unterhalten.

Bei der Gründung der Hochschule der Han war es weniger darum gegangen, die Lehren des Konfuzius in einem philosophischen oder gar religiösen Sinne zu fördern, als vielmehr darum, für das ganze Reich einen allgemeinverbindlichen Ausbildungsstandard zu schaffen – wenn auch die konfuzianische Betonung des Allgemeinwohls vor den Privatinteressen natürlich im Sinne eines jeden Herrschers war. Unter diesen Umständen verwundert es nicht sehr, dass die eigentlichen Inhalte der Lehren des Konfuzius etwas in den Hintergrund traten. Die Gespräche des Konfuzius scheinen, ebenso wie die kanonische Schrift der Kindlichen Hingabe (Xiaojing), ein Schulbuchtext für die Kinder gewesen zu sein, die noch nicht in die komplizierten fünf großen kanonischen Schriften eingeführt werden konnten. Obwohl Konfuzius in der politischen und geistigen Argumentation des 1. Jahrhunderts v. Chr. zu einer unangefochtenen Autorität heranwuchs, zeichnete sich ein Konfuzianer dieser Epoche weniger durch strikte Befolgung der moralischen Vorschriften aus als vielmehr durch Kenntnis einer einzelnen kanonischen Schrift und ihrer anhängigen Kommentartradition. Schon im 1. und im 2. Jahrhundert n. Chr. wird übrigens die Praxis, kanonisches Wissen primär für die Zulassung zum Beamtenapparat zu erwerben und weniger die eigene moralische Besserung anzustreben, heftig kritisiert.

2. Der Konfuzianismus der Han


Inhaltlich ist der sogenannte Konfuzianismus der Zeit der Han von einem erheblichen Eklektizismus gekennzeichnet. Mehrere wahrscheinlich auf das erste Jahrhundert zurückgehende Anekdotensammlungen enthalten Geschichten aus dem Leben des Konfuzius, die in bestimmte Zusammenhänge eingeordnet werden, welche auf den ersten Blick gar nicht konfuzianisch aussehen. So trägt das erste Kapitel der Sammlung Garten der Sprüche (Shuoyuan) des Palastbibliothekars Liu Xiang (79–​6 v. Chr.) den Titel «Der Weg des Fürsten», und es beginnt mit einer Anekdote über die Vorzüge des Nicht-Handelns, einer Tugend, die klassischerweise dem Daoismus zugeordnet wird, obwohl einzelne Passus der Gespräche des Konfuzius in eine ähnliche Richtung weisen. Yang Xiong (53 v. Chr.–18 n. Chr.), ein Gelehrter, der sich als Konfuzianer verstand und in Anlehnung an die Struktur des Buchs der Wandlungen einen eigenen Divinationstext mit dem Titel Leitfaden für das Höchst Dunkle (Taixuan jing, ein daoistisch anmutender Titel) und an diejenige der Gespräche die Modellhaften Worte (Fayan) verfasste, lernte bei einem auf den daoistischen Patronatstext Daode jing sowie das Buch der Wandlungen spezialisierten Lehrer.

In historischen Texten der Zeit, insbesondere in den aus eigenem Selbstverständnis heraus konfuzianisch beeinflussten Dokumenten der Han (Hanshu) des Ban Gu (32–​92 n. Chr.), treten Konfuzianer vor allem als Spezialisten für die Deutung von Omina anhand der Lehren vom Dualismus von Yin und Yang oder von den Fünf Elementen (Wasser, Feuer, Erde, Holz und Metall) hervor. Sonnenfinsternisse wurden dabei zum Beispiel als ein typisches Anzeichen für das Übergreifen des dunklen Yin auf das klare Yang und damit als Vormachtstellung eines starken Untertanen gegenüber einem schwachen Kaiser ausgelegt. Nach diesem Muster konnten auch zwischen Feuersbrünsten oder Überschwemmungen und der Tagespolitik direkte Bezüge hergestellt werden. Solche von Joseph Needham als «pseudowissenschaftlich» bezeichneten Künste gehen ebenfalls auf nicht unbedingt als konfuzianisch zu bezeichnende Doktrinen des 4. und 3. Jahrhunderts v. Chr. zurück. Wenn von Gelehrten oder von ru die Rede ist, muss man also in dieser Zeit von einem Synkretismus verschiedenster Strömungen ausgehen, innerhalb derer die Ideale des klassischen Konfuzianismus nur einen Bestandteil ausmachen.

Attraktiv für den Herrscher, der die konfuzianischen Lehren zur Staatsdoktrin machte, dürfte die Tatsache gewesen sein, dass in keiner anderen Tradition die Loyalität des Untertanen seinem Herrn gegenüber so sehr zur Maxime erhoben worden war, wenn auch gepaart mit der Pflicht zur ständigen Ermahnung. Das Bild des kritisch loyalen Mahners, der seinem Herrscher trotz Gefahr für Leib und Leben unangenehme Wahrheiten auf den Kopf zusagt, ist vielleicht der für das staatliche Funktionieren im Kaiserreich einflussreichste Teil der Lehren und des Verhaltens des Konfuzius geworden.

Zum Leitklassiker der Han wurden die Frühlings- und Herbstannalen. Dong Zhongshu (179–​104 v. Chr.), der Gelehrte, auf den der Vorschlag zum Bau der Hochschule zurückgehen soll, war ein Spezialist für die auf einen Mann namens Gongyang Gao zurückgehende Auslegung der...