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Das geheime Mantra: Ein spiritueller Thriller. Vom Autor: 'Die Katze des Dalai Lama'

Das geheime Mantra: Ein spiritueller Thriller. Vom Autor: 'Die Katze des Dalai Lama'

David Michie

 

Verlag Aquamarin Verlag, 2023

ISBN 9783968612980 , 350 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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18,99 EUR

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Das geheime Mantra: Ein spiritueller Thriller. Vom Autor: 'Die Katze des Dalai Lama'


 

Kapitel Eins


 

Aufstieg zum Kloster im Tigernest

 

Bhutan, Himalaya

 

Die Sonne stand schon tief, aber der letzte Teil der Reise lag noch vor uns. Man hatte uns vor den Gefahren der Berge nach Anbruch der Nacht gewarnt; dass es besser sei, auf den Anbruch des neuen Tages zu warten, anstatt einen falschen Schritt auf den steilen Klippen zu machen. Aber ich wollte nicht anhalten – ich hatte zu lange auf diesen Moment gewartet.

»Kehre zum Vollmond im Mai zurück«, hatte mir Lama Tsering mit bedeutungsschwerem Ausdruck gesagt. »Dann wird es so weit sein.«

Als wir am Morgen aus dem Tal aufgebrochen waren, war unser Ziel nur als ein weißer Fleck an einer entfernten Felswand vor uns zu erkennen. Wir folgten dem schmalen Pfad, der sich in immer steiler werdenden Serpentinen durch die Ausläufer des Berges zog. Als wir etliche Stunden später an die Stelle kamen, an der sich der Berg scharf in die andere Richtung neigte, wussten wir, dass sich das Bild von unserem Ziel gleich dramatisch ändern würde.

Ein paar Schritte vor mir erreichte mein Führer Sangay bereits die letzte Abbiegung unterhalb des Gipfels. Obwohl ihm der Anblick sehr vertraut war, hatte auch er innegehalten und schaute nach vorn, als ich zu ihm aufschloss. Denn dort, nur ein paar hundert Meter vor uns, lag das Tigernest-Kloster, wunderschön und wie aus einer anderen Welt. Auf einem unglaublich schmalen Felsvorsprung gebaut, ragte es aus einer Felswand hervor, die fast fünf Kilometer steil nach unten abfiel. Die hoch aufragenden Gebäude mit ihren aufwendig gestalteten, hölzernen Fensterläden und den goldenen Dächern, die in den langen, schräg einfallenden Strahlen der Sonne leuchteten, glichen einer Vision aus einer anderen Bewusstseinsebene.

Zwischen den Gebäuden und unserem Standort erstreckte sich ein Abgrund. Hier stürzte der Berg ins Tal und verlieh dem Kloster dadurch ein noch unwirklicheres Aussehen. Ähnlich einer Fata-Morgana, die sich jeden Moment in Nebel auflösen könnte. Uns verbanden nur die Bänder aus farbenfrohen Gebetsfahnen, die den Abgrund überspannten, mit dem abgelegensten Kloster im Himalaya.

Trotz meiner schmerzenden Beine spürte ich, wie unweigerlich Emotionen in mir hochkamen – der machtvolle Sog der Heimkehr. Ich war das erste Mal mit Mitte Dreißig hier gewesen, ein Londoner Wissenschaftler, der nur wenig über die Mysterien des Himalaya wusste. Aber fünf Jahre später hatte ich keinen Zweifel mehr, dass sich die tiefgreifendsten Erfahrungen meines Lebens an diesem besonderen Ort vollzogen hatten. Hier war auch das Zuhause von einem der am innigsten verehrten Meister der Tradition im Tibetischen Buddhismus – meines gütigen und geliebten Lehrers, Lama Tsering.

Nach kurzer Pause gab mir Sangay ein Zeichen, unseren Weg fortzusetzen. Die länger werdenden Schatten der Dunkelheit zeichneten sich bereits auf dem noch ausstehenden Weg zum Tigernest ab: Ein schmaler Pfad, der in die dramatische Zick-Zack-Klippe geschlagen worden war. Sangay war wachsam und führte mich über den felsigen Pfad. Hier blieb kein Spielraum für Fehler. Mit zitternden Beinen setzte ich mühsam einen Fuß vor den anderen, wobei der Pfad an der Seite steil abfiel und das Tal von den sich vertiefenden Schatten verschluckt wurde.

Sangay zog eine Taschenlampe aus seinem Gewand und wies mit ihr auf den sicheren Pfad. Wir waren so darauf konzentriert, Schritt um Schritt voranzukommen, dass wir fast überrascht waren, als wir endlich die feste Steinwand des Torhauses erreichten. Plötzlich wurde der Weg breiter und war mit üppigem Gras bedeckt.

Ich sank zu Boden und streckte mich auf dem weichen Gras aus. Sangay zog an der Messingkette außerhalb der geschlossenen Tore, bevor er es mir gleichtat.

»Gerade noch rechtzeitig«, sagte er und sah zum Himmel, der sich schnell verdunkelte.

 

***

 

Ich erinnerte mich an meinen ersten Besuch im Kloster. Ich war voller Erwartung und Geschäftigkeit angekommen. In der Aufregung über meine Mission war ich davon ausgegangen, dass Lama Tsering genauso darauf brannte, dass ich diese endlich erfüllte. Obwohl wir uns nie getroffen hatten, hatte ich das Gefühl, ihn durch meine Verbindung mit Geshe-la, der ein Schüler von ihm war, bereits zu kennen. Ich hatte keinen Zweifel an der Bedeutung meines Besuchs. Lama Tsering, der nun Mitte Neunzig war, hatte den größten Teil seines Lebens darauf gewartet, mich zu treffen.

Das allein zeigte, wieviel ich noch zu lernen hatte! Zunächst musste ich erst einmal einen ganzen Tag warten, bevor ich zu ihm vorgelassen wurde. Wir befanden uns zwar in einem der abgelegensten Klöster im Hi­ma­laya, aber es gab dennoch Protokolle, die eingehalten werden mussten. Als ich endlich bei Sonnenaufgang, am Tag nach meiner Ankunft, in sein Zimmer geführt wurde, gestaltete sich dieses erste Zusammentreffen völlig anders als alles, was ich erwartet hatte. Ich hatte mir die Szene immer wieder in meiner Fantasie ausgemalt – wie ein hutzeliger, augenzwinkernder Lama Tsering sehr erleichtert sein würde, mich endlich zu sehen, den jungen Mann aus dem Westen, den Auserwählten, an den er die Verantwortung für die Offenbarung einer ganz besonderen Weisheit weitergeben konnte.

Stattdessen öffnete sich die Tür zu einem kleinen Raum, in dem ein Mönch in Meditationshaltung saß, der nicht älter als sechzig Jahre aussah. Er begrüßte mich mit einem Lächeln und wies mich an, mich vor ihn zu setzen, bevor er seine Augen schloss. Es vergingen einige Minuten, bevor er sprach, was mir genügend Zeit ließ, sein Gesicht genau zu studieren. Es war länglicher als das übliche, eher rundliche Profil der Tibeter, mit ausgeprägten Wangenknochen und einer hohen Stirn. Sein kurz rasiertes Haar war dunkel mit ein paar grauen Strähnen. Seine Gesichtszüge wiesen eine zarte Geschmeidigkeit auf, ebenso wie seine in meditativer Pose vor ihm gefalteten Arme. Sein Gesicht und sein Hals waren fast faltenlos, und ihn umgab eine außergewöhnliche Alterslosigkeit.

Da dies unser erstes Treffen war, konzentrierte ich mich, nachdem ich sein Aussehen unter die Lupe genommen hatte, auf den niedrigen Tisch vor ihm. Darauf lagen einige Bücher und Brillen. Ich blickte auf das kleine Fenster hinter ihm und das Räuchergefäß, aus dem die blau-grauen Rauchschwaden frei nach oben stiegen. Erst da wurde mir meine eigene mentale Anspannung bewusst; hier saß ich also im selben Raum mit einem der verehrtesten buddhistischen Meister, und was schwirrte mir durch den Kopf? Ich befand mich nicht im Zustand tiefster Unbeschwertheit – aufnahmefähig, entspannt und offen für die Weisheit eines Gurus. Stattdessen schaute ich mich im Raum um und interessierte mich für seine Bücher und sein Räuchergefäß.

Jetzt kam es mir so vor, als würde mich Lama Tsering wortlos einladen, in einen anderen Bewusstseinszustand zu wechseln. Ich senkte meinen Blick und versuchte so zu meditieren, wie Geshe-la es mich in den letzten drei Monaten gelehrt hatte. Ich konzentrierte mich einfach auf das Hier und Jetzt, auf den gegenwärtigen Moment und spürte, wie sich eine Ruhe in mir ausbreitete, die ich noch nie zuvor so erlebt hatte. Anstelle beharrlicher Gedanken und ablenkendem Geplapper sank ich in einen Zustand, der friedlich und tiefgründig war. Ich hatte auch schon vorher ein paar angenehme Meditationssitzungen erlebt, doch dieses tiefgreifende Glücksgefühl, das ich nun verspürte, als ich mich das erste Mal im Beisein von Lama Tsering befand, war so überwältigend und umfassend, dass ich wünschte, es würde niemals enden.

Endlich spürte ich eine Bewegung und als ich aufschaute, trafen sich unsere Blicke.

»Ich bin sehr glücklich, dich endlich zu treffen«, sagte er, faltete seine Hände über dem Herzen und verbeugte sich in meine Richtung.

Unsicher, was ich tun sollte, verhielt ich mich genauso. Als mir die ungewohnte Stille dann seltsam vorkam, erzählte ich ihm davon, wie ich Geshe-la begegnet war: Von den Ereignissen, die zu meinem Besuch bei ihm geführt hatten und von meiner Ungeduld, die besondere Mission zu erfüllen, für die ich hierhergekommen war.

Als ich mit meinen Ausführungen geendet hatte, schien die darauffolgende Stille die Überflüssigkeit meiner Erklärungen nur noch zu unterstreichen. Schließlich sagte er: »Bevor wir uns unserer wichtigen Arbeit zuwenden, ist es erforderlich, meditative Konzentration zu üben.« Er strahlte warmes Mitgefühl aus.

»Ja, Lama.«

»Wissen ist sehr gut. Aber Erfahrung ist besser. Ein wenig Praxis, und wir werden bereit sein.«

Damals hatte ich angenommen, dass es sich bei seiner Definition von »ein wenig Praxis« lediglich um ein paar Sitzungen auf dem Meditationskissen handelte.

Ich fand mich jedoch in einem intensiven Studien- und Meditationsprogramm wieder, das sich über Wochen und Monate hinzog. Je mehr ich die Wahrheiten verarbeiten konnte, die mir offenbart wurden, umso stärker wurde meine Zielstrebigkeit. Monate waren zu Jahren geworden.

Lama Tsering hatte meine Vorbereitung persönlich überwacht. Der krönende Abschluss war das drei-monatige Einzel-Retreat gewesen, das ich gerade abgeschlossen hatte.

»Kehre zum Vollmond im Mai zurück. Dann wird es soweit sein.« Es war an der Zeit, das besondere Wissen weiterzugeben. Ein halbes Jahrhundert lang hatte er dieses Wissen gehütet, doch es war noch viel älter – wie er mir einst erzählt hatte. Es war mehr als ein Jahrtausend lang an einem sicheren, aber geheimen Ort im Himalaya für die Zeit seiner Offenbarung aufbewahrt worden – wobei ich über die genauen Umstände nur spekulieren konnte – bis die Zeit kommen würde, zu der die Offenbarung der Welt zum größtmöglichen Nutzen...