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Die Mongolen - Von Dschingis Khan bis heute

Die Mongolen - Von Dschingis Khan bis heute

Karénina Kollmar-Paulenz

 

Verlag Verlag C.H.Beck, 2024

ISBN 9783406817083 , 128 Seiten

2. Auflage

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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8,99 EUR

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Die Mongolen - Von Dschingis Khan bis heute


 

Einleitung


Wer sind die «Mongolen»?  Der Name «Mongolen» suggeriert eine ethnische und kulturelle Einheit, die realiter nie existiert hat. Im 12. Jahrhundert nannte sich eine an den Flüssen Onon und Kerülen in der heutigen Mongolei nomadisierende Gemeinschaft Mongghol. Nach der Eingliederung benachbarter Gruppen in diese Gemeinschaft wurden sie alle als Mongghol beziehungsweise qamugh mongghol, «alle Mongolen», bezeichnet. Aus den Quellen lässt sich heute nicht mehr rekonstruieren, welche dieser Gruppen eine türkische und welche eine mongolische Sprache sprach. Von Beginn an verbarg sich also hinter der Bezeichnung mongghol eine ethnische, linguistische und kulturelle Vielfalt. Heute leben Mongolen innerhalb der Grenzen dreier Staaten: der Mongolei, Russlands und Chinas. Die Mongolei, die zu den am dünnsten besiedelten Gebieten der Erde gehört, umfasst ein Gebiet von insgesamt 1.566.500 Quadratkilometern mit circa dreieinhalb Millionen Einwohnern, von denen mehr als 90 Prozent ethnische Mongolen sind. Die zu China gehörende Innermongolische Autonome Region erstreckt sich über ein Gebiet von 1.183.000 Quadratkilometern mit einer Bevölkerung von mehr als 24 Millionen, 16 Prozent von ihnen ethnische Mongolen. In autonomen Bezirken außerhalb der Inneren Mongolei siedeln ebenfalls Mongolen. In der zur Russischen Föderation gehörenden Burjatmongolei leben in einer 782.800 Quadratkilometer großen Region circa 2,5 Millionen Menschen, 461.000 von ihnen Burjatmongolen. Außerhalb des eigentlichen mongolischen Siedlungsgebiets bildet die Kalmückische Republik am Kaspischen Meer eine mongolische Enklave. Sie umfasst ein Gebiet von 76.100 Quadratkilometern mit einer Bevölkerung von circa 300.000 Menschen, von denen etwa die Hälfte Kalmücken sind.

Die mongolischen Sprachen gehören zur altaischen Sprachfamilie. Von ihren heute mehr als sieben Millionen Sprechern benutzen rund fünf Millionen Khalkha-Mongolisch, die Staatssprache der heutigen Mongolei. Die restlichen Sprachen verteilen sich auf ungefähr zehn weitere mongolische Sprachen, von denen das Burjatmongolische und das Kalmückische neben dem Russischen die Staatssprachen der Burjatischen und der Kalmückischen Republik bilden.

Wenn im Folgenden von «den Mongolen» die Rede sein wird, so ist dies der Sprachkonvention geschuldet und sollte den Blick auf die kulturelle Verschiedenartigkeit der unter diesem Namen zusammengefassten Gesellschaften nicht verstellen. Gleichzeitig dürfen die Gemeinsamkeiten der mongolischen Völker nicht vernachlässigt werden, die in miteinander verwandten Sprachen, der nomadischen Lebensweise, einer patrilinearen Sozialorganisation und gemeinsamen religiösen Traditionen bestehen.

Quellen zu den Mongolen  Obwohl die Mongolen seit der Zeit Dschingis Khans eine eigene Schriftsprache besitzen, geschrieben in der von den türkischen Uiguren übernommenen Schrift, gibt es für die Zeit des 13. und 14. Jahrhunderts nur wenige mongolisch-sprachige Quellen. Das älteste überlieferte Werk ist die Geheime Geschichte der Mongolen aus der Mitte des 13. Jahrhunderts, die über Dschingis Khan und die Konstituierung des mongolischen Weltreiches bis zur Regierungszeit seines Sohnes und Nachfolgers Ögedei Khan berichtet. Die Geheime Geschichte übermittelt zwar viele historische Gegebenheiten, ist aber eher episch-genealogische Dichtung als Geschichtsschreibung. Die meisten Quellen zu den Mongolen sind in den Sprachen der eroberten Völker verfasst, so unter anderem in Chinesisch, Persisch, Arabisch und Russisch. Zwei persische Chroniken sind besonders wichtig: Der aus dem nordostiranischen Khorasan stammende Historiker Juvaini (1226–1283), der verschiedene Ämter unter den Mongolen bekleidete, schrieb seine Geschichte des Welteroberers zwischen 1252 und 1260. Knapp fünfzig Jahre später verfasste der persische Chronist und Minister am Hof der Il-Khane, Rashid al-Din (1247–1318), seine Universalgeschichte Sammler der Geschichten. Rashid al-Din hat in ihr von heute verlorenen mongolischen Quellen Gebrauch gemacht, die er Altan debter, das «Goldene Buch», nannte. Neben den persischen Chroniken sind die chinesischen Annalen der Yuan-Dynastie (1271–1368) von großer Bedeutung, vor allem für die Geschichte der Mongolen in China. Diese persischen und chinesischen Quellen wurden für die herrschende Schicht verfasst und reflektieren die Sichtweisen und Belange der Eliten. Europäische Reiseberichte wie die der Franziskanermönche Johannes de Plano Carpini und Wilhelm von Rubruk oder des venezianischen Kaufmanns Marco Polo gewähren uns detailreiche Einblicke in Gesellschaft und Kultur der Mongolen des 13. Jahrhunderts.

Aus dem 13. und 14. Jahrhundert besitzen wir des Weiteren historische Überreste wie Münzen, Inschriften, Siegel, Edikte, Steuergerechtsame, Kurierbestätigungen, Reisebegleitschreiben, Briefe und anderes mehr in einer Vielzahl von Sprachen. Alle hier genannten (und ungenannten) Quellen tragen zu unserer Kenntnis der Mongolen in den von ihnen eroberten Gebieten bei, während wir von den im Stammland Gebliebenen nur wenig erfahren.

Die europäischen Quellen über die Mongolen versiegen gegen Ende des 14. Jahrhunderts für mehr als zwei Jahrhunderte. Dafür liefern uns tibetische Chroniken des 15. und 16. Jahrhunderts manche Details über die zeitgenössische politische Geschichte einzelner mongolischer Völker. Die offiziellen Annalen der Ming-Dynastie (1368–1644) befassen sich ebenfalls ausführlich mit den nördlichen Nachbarn, die für China besonders im 16. Jahrhundert eine beträchtliche militärische Bedrohung darstellten.

Eine eigene mongolische Geschichtsschreibung setzte erst ab dem 17. Jahrhundert ein. Sie enthält im Wesentlichen die Geschichte der einzelnen Fürstengeschlechter und großen mongolischen Klane in genealogischer Folge. Wie die europäische Geschichtsschreibung des 19. und noch des 20. Jahrhunderts ist sie an den «großen Persönlichkeiten» interessiert.

Ab dem 17. Jahrhundert kommen mandschurische Quellen für unsere Kenntnis der Mongolen hinzu. So heterogen wie die Sprachen sind auch die Blickwinkel, aus denen berichtet wird. Sie vermitteln uns ein vielschichtiges und oft auch widersprüchliches Bild der Mongolen.

Fremd- und Selbstwahrnehmungen  «Wie ein vernichtender Orkan wälzten sich die Mongolen nach Europa hinein.» In Sätzen wie diesem, der der Einleitung einer modernen Textausgabe des mittelalterlichen Reiseberichts von Wilhelm von Rubruk entstammt, leben seit dem Mittelalter in Europa vorhandene Mongolenbilder weiter. Die Mongolen, die ex tartaro, aus dem Tartarus, entsprungen schienen und daher «Tartaren» genannt wurden, wurden oft mit verschiedenen Gestalten der Bibel in Verbindung gebracht und dämonisiert. Ihr Auftauchen galt als gerechte Strafe Gottes für die Sünden seiner Geschöpfe und als Zeichen der hereinbrechenden Endzeit. Sie kamen als gottgewollte Elementargewalten über die sesshaften Gebiete, raubten, plünderten und zerstörten. Die «elementarhistorische» Rezeption der Mongolen setzte sich in späteren Jahrhunderten fort. Noch Hegel spricht von den Mongolen, die «wie ein verwüstender Strom über Kulturländer» herfielen; «sie zertraten alles, verschwanden dann wieder, wie ein verheerender Waldstrom abläuft». Aber schon für die Denker der Aufklärung verwandelte sich die Wildheit des Nomaden in seine Freiheit. Das nomadische Leben wurde nicht mehr als Ausdruck zivilisatorischer Ferne, sondern als Ergebnis einer freien Entscheidung für Einfachheit, Nähe zur Natur und Freiheit betrachtet. Darüber hinaus stellte der Nomade, der die Zivilisation zerstörte, zugleich ihr Korrektiv dar, indem er durch seine Ursprünglichkeit ihren Luxus, ihre Dekadenz, Schwäche und Verweichlichung offenlegte. Auch dieses Mongolenbild lebt fort. So wirbt die französische Frischkäsemarke «Tartare», mit dem alten Namen «Tartar» spielend, nicht von ungefähr mit dem Spruch: La nature à l’état brut. Das romantische Bild des freiheitsliebenden, naturverbundenen Nomaden erlebt heute sein Comeback im Tourismus, einem der wichtigsten Wirtschaftszweige in der postkommunistischen Mongolei.

Die nichtsesshafte Lebensweise war auch für die frühen Mongolen ein wichtiges identitätsstiftendes Merkmal. In der Geheimen Geschichte der Mongolen bezeichneten sich die Mongolen als «Leute in den Filzwandzelten», in Abgrenzung zu den «Waldleuten», die in Zelten aus Birkenrinde, und den «Brettertürleuten», die in festen Häusern lebten. Seit dem Aufstieg Dschingis Khans zum Herrscher (Khan) über «alle Mongolen»...