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Die Hexe

Die Hexe

Andreas Meckel

 

Verlag neobooks Self-Publishing, 2024

ISBN 9783756572588 , 655 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR

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Die Hexe


 

1. Paris, Archiv


 

De Balzac war nicht umsonst der berühmte Archivar Europas, der sich mit magischen Problematiken auseinandersetzte. Sein Ruf reichte deutlich weiter, als es man es sich vielleicht vorstellen konnte. Jedenfalls führte er schon seit einigen Jahrhunderten pedantisch Buch darüber, was denn so in der Welt geschah.

Nicht nur in der Welt der normalen Menschen, sondern vornehmlich in der Welt des Magischen. Man könnte ihn als Bewahrer alten Wissens bezeichnen, doch meist wurde er nur Gruftwächter genannt, denn die wahren Schätze seines Wissens lagen in unterirdischen Katakomben unter seinem Laden in Montmatré.

De Balzac konnte sich schon nicht mehr daran erinnern, als er mit seiner Aufgabe begonnen hatte. Fest stand, das dies schon eine geraume Weile her war. Doch de Balzac fühlte sich nicht alt. Als es damals darum ging, diese Aufgabe zu übernehmen, und er sich zwischen einem normalen Leben als Mensch, oder dem als magisch versiertes Wesen entscheiden mußte, wählte er wider besseren Wissens den magischen Weg.

Gerome war der letzte Nachkomme in einer gut aufgestellten Magierdynastie. Sein Vorfahre Honore de Balzac hatte sich nur auf einen Handel eingelassen, der nur mit der Unschuld eines Kindes beglichen werden konnte. So wurde Gerome schließlich zum Archivar der magischen Geschichte der Welt. In seinen unterirdischen Gefilden lagen Wissensschätze, die zu gefährlich waren, um sie der modernen menschlichen Welt in die Hand geben zu können.

Die Menschen hatten das Gefühl für das Magische, für das, was alles miteinander verband, verloren. Man verließ sich mehr auf Technologie als auf magische Künste. Man verließ sich mehr auf die Unwägbarkeiten einer künstlichen Intelligenz, anstatt die eigene zu benutzen.

Die Liste war endlos.

Gerome de Balzac hatte seine kleine Bücherei nicht umsonst in Montmatré eröffnet. Vor einigen Jahrhunderten war dies noch ein ganz kleiner, unwichtiger, Stadtteil von Paris gewesen. Da fiel es nicht weiter auf, wenn eine Buchhandlung seit Jahrhunderten immer am gleichen Stand bestand, obwohl kaum Kunden den Laden betraten.

de Balzac hatte sich gefreut, als Yamamoto mit ihrem Freund bei ihm auftauchte, genau so, wie es ihm von Lucius vorhergesagt worden war. Doch damit war auch gleichzeitig klar geworden, daß Lucius Prophetie von der schlechten Zukunft der Menschheit Wirklichkeit werden würde. Es war selten, daß eine geborene Japanerin seinen Laden betrat. Vor allem dann noch in Begleitung eines deutschen Werwolfs, der selbst bereits einige Wirren hinter sich hatte. De Balzac hatte nur überrascht, wie schnell die Fähigkeiten von der einen Yamamoto auf die Andere übergegangen waren. Inari hatte es sonst nicht so eilig, Nachfolger zu benennen. Doch bei der Hand schien dies sowieso eine Ausnahmesituation zu sein. Auch wenn Yamamoto es nicht wußte, sie war nun genauso unsterblich, wie es ihre Mutter war. Jene würde noch einige Zeit benötigen, um es wirklich zu verstehen.

Gerome hatte sich wirklich schlau in diesen Dingen gemacht, denn es war abzusehen, daß alles Konsequenzen haben würde. Als er an diesem Morgen hinunter in seine Buchhandlung ging, um an seinem Don Quixote2 weiterzuarbeiten. Das Buch sollte restauriert sein, wenn sein britischer Kunde vorbei kam, um es abzuholen.

Der alte Archivar war nicht weiter überrascht, nicht allein in seinem Laden zu sein, obwohl er die Vordertüre noch nicht aufgeschlossen hatte. Die junge hübsche Frau, zu deren Füßen ein Sack Reis lag, lächelte ihn amüsiert an.

„Wie ich sehe, de Balzac, amüsierst du dich immer noch!“, eröffnete sie das Gespräch.

Der alte Mann lächelte aufmunternd zurück, und entgegnete: „Ich habe selten so hohen Besuch in meinen bescheidenen Räumen. Ich bin sicher, du bist nicht hier, weil du dir ein Lehrbuch über Göttlichkeit holen möchtest?!“

Inari lächelte ihn verschmilzt an.

„Immer noch der alte Spaßvogel. Du weißt genau, weshalb ich hier bin!“

Gerome sah den Reisgott verwundert an.

„Ich besitze Smaragdblütes3 Manuskript leider nicht. Ich weiß nur, daß es alle Verbrechen von Haus Ikabara während der Meiji-Ära enthält. Intensiv genug beschrieben, um das Haus auf ewig in die Verdammnis zu befördern, weil auch der japanische Staat in einem solchen Fall eingreifen müßte.“

Der Reisgott lächelte ihn immer noch nachsichtig an.

„Deshalb bin ich nicht hier., weiser Mann!“, kam als Antwort.

De Balzac sah den Reisgott nun wirklich verwundert an.

„Und weshalb seid ihr dann gekommen? Normalerweise macht ihr keine Hausbesuche!“, stellte er dann fest.

Der Reisgott lächelte wieder nachsichtig.

„Ich bin hier, weil wir beide das gleiche Problem bekommen werden! Haus Ikabara ist dabei, die Existenz von Magie offenzulegen. Und sie tun es mit Taten weltweit.“

Der Archivar horchte auf.

„Die Magie offenlegen? Was unternimmt Haus Ikabara denn jetzt schon wieder?“, wollte er wissen.

Der Reisgott schüttelte angewidert den Kopf.

„Vor gut einem Jahr war die Hand gezwungen in Saitama eine Gruppe Schattenbiester zu töten, die in die Stadt einfallen und das laufende Fest stören wollten. Die Hand hatte erfolg, doch seitdem ist deren Messer verschollen. Ich weiß nur, daß es Haus Ikabara nicht erwischt hat. Mehr weiß ich nicht!“

de Balzac lächelte den Reisgott amüsiert an.

„Und du denkst, das Verschwinden des Messers hat etwas mit den Machenschaften von Haus Ikabara zu tun? Schattenbiester sind unberechenbar. Die verspeisen auch schon einmal jemanden nur im Vorbeigehen!“

Der Reisgott nickte erneut.

„Du weißt, weshalb ich hier bin. Man gewährte dir diese Langlebigkeit nicht aus Spaß. Es war schwer, die anderen Götter davon zu überzeugen, daß wir einen neutralen Archivar benötigen, der genau niederlegt, was denn wirklich geschieht. Damit irgendwann einmal die Menschen ihre Verbindung zu den Göttern verstehen lernen!“

Der alte Archivar nickte nun ebenfalls.

„So sah es in der Stellenbeschreibung aus. Seitdem helfe ich verschiedenen magisch aktiven Gruppen Unbill von der Menschheit fernzuhalten, das direkt auf Magie fußt. Worauf willst du hinaus? Und weshalb bekomme ich eine Information über deine liebste Arbeitsgruppe?“

Inari lächelte wieder nachsichtig.

Manchmal waren Menschen doch die wahren Kleingeister.

„Ich vermute, daß Toyama sich auf den Weg gemacht hat, direkt aktiv gegen Haus Ikabara zu werden. Jedenfalls trifft Hiroshi in den nächsten Tagen in Paris ein. Er will den kläglichen Rest seiner Truppen inspizieren. Ich vermute, er wird Toyama im Schlepptau haben.“

de Balzac nickte zustimmend. So weit ergab das für ihn durchaus Sinn.

Inari lächelte wieder vielsagend.

„Ich weiß auch, daß du im Keller magische Waffen hortest. Ich will, daß du das Messer mit allen notwendigen Mitteln ausstattest, inklusive eines Rückflugtickets nach Japan, wenn sie hier mit ihrem Job fertig ist. Doch sie darf Ikabara Hiroshi kein Haar krümmen. Schärfe ihr das ein!“

Der Archivar sah den Reisgott verblüfft an.

Das mit den Waffen war ein offenes Geheimnis, dennoch hatte er sich geweigert, Yamamoto auch nur auf dieses Depot aufmerksam zu machen. Die Frau war noch nicht bereit, einen Krieg zu führen. Und das, was er da unten hortete, waren die Waffen, die er gesammelt hatte, nachdem der letzte Krieg geendet. Es befanden sich auch ein gutes Dutzend dämonischer Klingen da unten, die nicht vertrauenswürdig waren.

„Ich soll Toyama helfen, ihre Aufgabe zu erfüllen?“, fragte er irritiert nach.

Der Reisgott nickte.

„Das ist wichtig. Haus Ikabara soll wissen, daß sie ihrer Strafe nicht entkommen können. Und die Zerschlagung der französischen Zelle verschafft der Hand in Japan vielleicht genau die Zeit, die sie brauchen, um sich auf die anstehenden Probleme vorzubereiten.“

de Balzac merkte, daß der Reisgott nicht alles sagte.

„Wie soll ich helfen, wenn ich bestimmte Details nicht weiß?“

Die junge, schöne, Frau verwandelte sich wieder in einen alten, buckligen Mann zurück und lächelte dann vielsagend.

„Von den Details wirst du erfahren, wenn es so weit ist. Aktuell ist erst einmal wichtiger, daß Toyama wieder nach Hause kommt. Und du wirst dafür sorgen!“

Mit einem sanften Plopp lste sich der Reisgott wieder auf.

Der alte Archivar dachte einen Moment nach, bevor ihm klar wurde, was dies bedeutete. Etwas war im Busch. Etwas geschah, von dem nicht einmal die alten Götter ihren treuesten Vasallen erzählen wollten. Im Klartext bedeutete dies dann wohl, daß man sich auf einigen Ärger vorbereiten sollte.

de Balzac überlegte noch einmal, welche Konsequenzen dies nach sich ziehen würde. Die Anweisung von Inari war eindeutig gewesen. Der Reisgott war sich aber auch sicher gewesen, daß sich Toyama bei ihm melden würde. Da war es dann schon verwunderlich, daß der Reisgott nicht selbst eingriff, um das Messer der Hand wieder zur Räson zu bringen.

Andererseits!

Das Messer war vor gut einem Jahr verschwunden!

Normalerweise hielten die Mitglieder der Hand untereinander Kontakt. Sie hatten da ihre eigenen Kanäle. Wenn das Messer also sicher in seinen Laden kommen würde, bedeutete dies nur, daß er bei Haus Ikabara selbst auf der Abschußliste stand.

Doch die Familie de Balzac hatte ihren Laden niemals geräumt. Nicht einmal während des zweiten Weltkrieges, als Nazis marodierend durch die Stadt zogen. Selbst da war geöffnet gewesen, weil es noch genug Dämonenjäger gab, die gleichzeitig einige Monster zur Strecke brachten, die die Nazis unterstützten. Ohne diese Dämonenjäger wäre...