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Gehetzt - Die Chronik des Eisernen Druiden 1

Gehetzt - Die Chronik des Eisernen Druiden 1

Kevin Hearne

 

Verlag Klett-Cotta, 2013

ISBN 9783608104271 , 352 Seiten

8. Auflage

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR

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Gehetzt - Die Chronik des Eisernen Druiden 1


 

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Es hat viele Vorzüge, einundzwanzig Jahrhunderte alt zu werden, aber das mit Abstand Beste daran ist, dass man Zeuge der seltenen Geburt echter Genialität wird. Das spielt sich ausnahmslos so ab: Jemand wirft den Ballast überkommener kultureller Traditionen ab, ignoriert die unheilschwangeren Blicke der Autoritäten und tut etwas, das seine Landsleute für komplett verrückt halten. Unter diesen Genies war Galileo mein persönlicher Favorit. Van Gogh folgte dicht dahinter auf Rang zwei, wobei dieser tatsächlich komplett verrückt war.

Der Göttin sei Dank sehe ich nicht aus wie jemand, der Galileo persönlich die Hand geschüttelt – oder den Uraufführungen von Shakespeare-Stücken beigewohnt hat oder mit den wilden Horden von Dschingis Khan ritt. Wenn mich Menschen fragen, wie alt ich bin, antworte ich ihnen einfach, einundzwanzig, und wenn sie davon ausgehen, damit wären Jahre und nicht Jahrzehnte oder Jahrhunderte gemeint, ist das wohl nicht meine Schuld, oder? In manchen Lokalen mit Altersbeschränkung wollen sie sogar immer noch meinen Ausweis sehen, was ziemlich schmeichelhaft ist, wie euch jeder ältere Mitbürger gerne bestätigen wird.

Das Äußere eines jungen, irischen Burschen kommt mir allerdings weniger gelegen, wenn ich an meinem Arbeitsplatz einen gelehrten Eindruck erwecken will – ich betreibe eine okkulte Buchhandlung mit einer kleinen, in eine Ecke gezwängten pharmazeutischen Theke –, gleichzeitig hat es einen ungeheuren Vorteil. Wenn ich beispielsweise im Supermarkt einkaufen gehe, und die Menschen sehen meine roten Locken, meine helle Haut und den langen Kinnbart, dann nehmen sie automatisch an, ich würde Fußball spielen und viel Guinness trinken. Oder wenn ich ein ärmelloses Hemd trage, und sie bemerken die Tätowierungen, die meinen gesamten rechten Arm bedecken, dann vermuten sie, ich würde zu einer Rockband gehören und jede Menge Gras rauchen. Aber nicht einen Augenblick kommt ihnen der Gedanke, ich könnte ein uralter Druide sein – und das ist der Hauptgrund, weshalb ich dieses Äußere so schätze. Würde ich mir stattdessen einen langen, weißen Bart wachsen lassen, einen spitzen Hut aufsetzen und beständig Würde und Weisheit ausstrahlen, könnten die Menschen bald den falschen – beziehungsweise den richtigen – Eindruck gewinnen.

Manchmal vergesse ich, wie ich aussehe, falle ein wenig aus der Rolle und singe beispielsweise ein aramäisches Hirtenlied, während ich bei Starbucks in der Schlange warte; aber das Gute am Leben in den Städten Amerikas ist, dass die Menschen hier Exzentriker entweder ignorieren oder in die Vorstädte ziehen, um ihnen aus dem Weg zu gehen.

So etwas wäre in den alten Tagen undenkbar gewesen. Menschen, die anders waren, wurden damals kurzerhand auf dem Scheiterhaufen verbrannt oder gesteinigt. Anders zu sein hat natürlich auch heute noch gewisse Nachteile, weshalb ich mir auch solche Mühe gebe, mich möglichst gut anzupassen. Allerdings beschränken sich diese Nachteile meist auf verbale Belästigungen und Diskriminierung, und das ist eine entscheidende Verbesserung gegenüber einer der Volksbelustigung dienenden Hinrichtung.

Das Leben in der modernen Welt bietet einige solcher entscheidenden Verbesserungen. Zwar finden die meisten mir bekannten alten Seelen, der Reiz der Modernität erschöpfe sich in cleveren Erfindungen wie Innenklos und Sonnenbrillen. Für mich besteht die eigentliche Attraktivität Amerikas jedoch vor allem darin, dass es praktisch gottlos ist. Als ich noch jünger und ständig auf der Flucht vor den Römern war, konnte ich in Europa keine Meile gehen, ohne auf irgendeinen einer Gottheit geweihten Stein zu treten. Hier draußen in Arizona muss ich mir nur über die gelegentlichen Begegnungen mit Coyote Gedanken machen, der aber im Grunde ziemlich in Ordnung ist. (Er hat keinerlei Ähnlichkeit mit THOR, und das allein reicht aus, dass wir gut miteinander klarkommen. Die College-Kids hier in der Stadt würden THOR als »aufgeblasenen Riesenblödmann« bezeichnen, falls sie je das Pech hätten, ihm zu begegnen.)

Noch mehr als die geringe Götterdichte schätze ich an Arizona die fast vollständige Abwesenheit von Feen. Damit meine ich nicht diese niedlichen, kleinen Disney-Flatterwesen. Ich meine das Feenvolk, die Sidhe, die wahren Nachkommen der TUATHA DÉ DANANN, geboren in TÍR NA NÓG, dem Land der ewigen Jugend, bei denen man sich nie sicher sein kann, ob sie einen umarmen oder aufschlitzen wollen. Sie sind mir nicht sonderlich wohlgesonnen, daher versuche ich, mich möglichst an Orten niederzulassen, die für sie nur schwer erreichbar sind. In der Alten Welt haben sie alle möglichen Pforten, um auf die Erde zu gelangen, aber in der Neuen Welt benötigen sie für diese Reise Eiche, Esche und Stechapfel, und diese wachsen in Arizona nur selten an einem Ort. Ich habe einige derartige Stellen entdeckt, oben in den White Mountains an der Grenze zu New Mexiko oder in den Uferauen bei Tucson, aber sie liegen über hundertfünfzig Kilometer von meinem hübsch zubetonierten Wohnviertel nahe der Universität von Tempe entfernt. Ich hielt die Chancen für außerordentlich gering, dass das Feenvolk dort auf die Erde gelangen und anschließend eine baumlose Wüste durchqueren würde, um einen abtrünnigen Druiden aufzuspüren. Als ich diesen Ort in den späten Neunzigern entdeckte, beschloss ich zu bleiben, bis die Einheimischen Verdacht schöpfen würden.

Eine goldrichtige Entscheidung für mehr als ein Jahrzehnt. Ich baute mir eine neue Identität auf, mietete einen Laden an, hängte ein Schild davor mit der Aufschrift DAS DRITTE AUGE – BÜCHER UND KRÄUTER (in Anspielung auf vedische und buddhistische Glaubensvorstellungen, denn ein keltischer Name wäre eine signalrote Flagge für all diejenigen gewesen, die nach mir suchten), und ich legte mir ein kleines Haus zu, das in der Nähe und gut mit dem Fahrrad zu erreichen war.

Ich verkaufte Kristalle und Tarotkarten an College-Kids (die ihre protestantischen Eltern schockieren wollten), haufenweise alberne Bände mit »Zauberformeln« an naive Wicca-Kult-Anhänger und Kräuterheilmittel an Menschen, die sich vor einem Arztbesuch drücken wollten. Ich hatte sogar umfangreiche Werke über die Magie der Druiden auf Lager, die alle auf viktorianischen Wiedererweckungslehren basierten und allesamt kompletter Humbug waren, die ich aber vor allem dann unterhaltsam fand, wenn ich welche davon verkaufte. Vielleicht einmal im Monat betrat ein ernsthaft an Magie Interessierter den Laden auf der Suche nach einem echten Grimoire – etwas, wovon man besser die Finger lassen sollte oder am besten gar nichts weiß, es sei denn, man ist in diesen Künsten einschlägig bewandert. Die meisten Geschäfte mit seltenen, kostbaren Büchern wickelte ich ohnehin übers Internet ab – eine weitere großartige Errungenschaft der modernen Zeit.

Leider hatte ich beim Aufbau meiner neuen Identität und meines Geschäftes nicht bedacht, wie leicht es für jemand anderen sein würde, mich durch eine Adressensuche im Internet zu finden. Ich war gar nicht auf die Idee gekommen, dass jemand aus der Alten Welt es auf diese Weise versuchen könnte – ich hatte damit gerechnet, dass sie Kristallkugeln oder andere Divinationstechniken ausprobieren würden, aber niemals das Internet –, daher war ich bei meiner Namenswahl nicht so vorsichtig gewesen, wie ich es eigentlich hätte sein sollen. Besser, ich hätte mir ein Alias wie John Smith zugelegt oder etwas vergleichbar Fantasieloses und Langweiliges, aber mein Stolz hatte nicht zugelassen, einen christlichen Namen zu tragen. Also hatte ich mich für O’Sullivan entschieden, die englische Version meines echten Familiennamens. Für den Alltagsgebrauch nutzte ich den klassischen griechisch-lateinischen Vornamen Atticus. Doch ein vermeintlich einundzwanzigjähriger O’Sullivan, der einen okkulten Buchladen betrieb und extrem seltene Bücher verkaufte, von denen er eigentlich nichts hätte wissen dürfen, das reichte dem Feenvolk an Information, um mich aufzuspüren.

An einem Freitag drei Wochen vor Samhain fielen sie über mich her, gerade als ich meinen Laden verließ und in die Mittagspause gehen wollte. Eine Klinge zischte unter meinen Knien hindurch, ohne dass ich zuvor auch nur ein »Nimm das!« vernommen hätte, und der Schwung des Schwertarms riss meinen Angreifer aus der Balance, als ich darüber hinwegsprang. Bevor er sich wieder fangen konnte, rammte ich ihm den linken Ellbogen ins Gesicht, womit ein Elf ausgeschaltet war. Blieben noch vier.

Dank sei den Göttern der Unterwelt für die Paranoia. Für mich war sie ein Überlebensinstinkt und nicht so sehr ein neurotischer Zustand. Sie war die Schneide eines stets bereiten Messers, geschärft über die Jahrhunderte am Schleifstein all derer, die mich hatten töten wollen. Sie sorgte dafür, dass ich um den Hals ein Eisen-Amulett trug und meinen Laden nicht nur mit massiven Eisenträgern, sondern mit magischen Bannsprüchen schützte, die das Feenvolk und andere Unerwünschte fernhalten sollten. Sie führte dazu, dass ich mich beständig im unbewaffneten Nahkampf trainierte und meine Schnelligkeit im direkten Vergleich mit Vampiren erprobte, was mich schon unzählige Male vor Schlägern wie diesen gerettet hatte.

Schläger ist vielleicht ein zu hartes Wort; es suggeriert ein Übermaß an Muskelbergen sowie einen eklatanten Mangel an Intellekt. Doch diese Kerle sahen nicht aus, als hätten sie je ein Fitnessstudio besucht oder von anabolen Steroiden gehört. Es waren schlanke, drahtige Typen, die sich als Geländeläufer getarnt hatten und nichts am Leib trugen außer kastanienbraunen Shorts und teuren Laufschuhen. Für jemand, der zufällig vorbeikam, musste es wohl so aussehen, als...