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Nordwind aus Flensburg - Schiffbau und christliche Seefahrt

Nordwind aus Flensburg - Schiffbau und christliche Seefahrt

Heinz Richard Baumgart

 

Verlag Bookmundo, 2022

ISBN 9789403601151 , 100 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz frei

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10,00 EUR

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Nordwind aus Flensburg - Schiffbau und christliche Seefahrt


 

Dezember 1960 - Dezember 1961

 

 

Bremen und Hamburg

Am 3. Dezember 1960 beginnt ein neuer Lebensabschnitt. In Bremen mustere ich auf M.S. „Nordwind“ als Ingenieur-Assistent an. Als sie die Flensburger Schiffbau-Gesellschaft nach Übergabe an die „Nordstern“ Reederei verließ, schaute ich aus der Lehrwerkstatt voller Sehnsucht diesem schönen Neubau hinterher. Dass sich der damalige Traum erfüllt, ist ein Wunder. Jetzt stehe ich an Deck und bin verunsichert. Am Schornstein ist nicht die Reedereiflagge abgebildet, ein rotes M für Mackprang in weißer Raute auf blauem Grund. Nein, er ist oben schwarz und unten weiß. Ich lasse mir das von einem Herrn in Uniform erklären. „Wir fahren Charter für Lloyd Brasileiro.“ „Aha.“

 

Arbeiten und wohnen auf dem Schiff hat für mich diverse Vorteile. Der Arbeitsweg mit Fahrrad bergauf gegen Wind, bei Regen und Schneetreiben, dazu noch Bahnfahrt und ein weiter Fußweg bis zur Werft entfällt. Unterkunft, Verpflegung und Arbeit liegen nahe beieinander. Wir Ingenieur-Assistenten werden Assi genannt. Wir wohnen gleich am Eingang zum Maschinenraum in Zweibett-Kammern. Alle Unterkünfte nennen wir Kammern. Assis genießen ein Privileg. Sie sind Mitglieder der Offiziersmesse, gemeinsam mit Ingenieuren und Nautikern. Dreimal am Tag sitzen wir am Tisch und lassen uns vom Steward bedienen. Auch unsere Kammer wird täglich geputzt.

Horst ist mein Mitbewohner. Er ist schon längere Zeit an Bord und kennt sich bestens aus. Er führt mich in den Hafenwachdienst ein. Schon nach einer Vierstundenwache gehe ich nach einer Pause von acht Stunden die nächste Wache ab 12 Uhr mittags allein. Am Tage werden diverse Arbeiten im Maschinenraum, kurz Maschine genannt, erledigt. Da kann ich zur Abwechslung zuschauen. Ich muss darauf achten, dass Temperaturen und Drücke stimmen auf Undichtigkeiten und alles, was ungewöhnlich ist. In den folgenden Tagen kommen Aufgaben hinzu, z. B. separieren von Brennstoff und Motoröl mit Zentrifuge.

Die Umstellung ist enorm. Ich bin die ganze Zeit auf den Beinen. Hinsetzen ist ausgeschlossen. Es gibt keine Möglichkeit dafür. Wir Assis gehen täglich zweimal vier Stunden Wache. Das sind 56 Stunden in der Woche. Ich bin Neuling und gehe traditionell die Hundewache. So nennen wir die Wache von 12 bis 4 Uhr oder einfach Zwölf-Vier. Das klingt besser.

Horst ist ein angenehmer Zeitgenosse. Wir haben ähnliche Gewohnheiten, lesen gerne und stören den Schlafenden nicht. Zufällig ist auch er Ostpreuße.

Am übernächsten Tag verlassen wir Bremen in Richtung Hamburg. Als wir die Nordsee erreichen, beginnt eine ungeahnte Schaukelei, schon bevor meine Wache anfängt. Das Umkleiden ist eine akrobatische Übung. Dass ein großes Schiff so heftig und ruckartig schaukelt, möchte ich nicht glauben, muss es aber! Es ist so stark, dass ich auf den Flurplatten rutsche. Mir wird übel. Kommt das aus dem Bauch? Ich meine, der Kopf ist auch beleidigt. Schlitternd bewege ich mich um die Hauptmaschine, halte mich an Rohren und Geländern und brauche bald die Foolbrass (Abfalleimer). Die steht eingeklemmt in der Separatoren-Station, weil sie dort oft gebraucht wird. Ich beuge mich darüber. Die aus dem Brennstoff herausgefilterten Verunreinigungen riechen abstoßend. Wenn nichts daneben gehen soll, muss ich mich weit hinunterbücken. Der Eimer kotzt mich an! Der Ekel hält alles in mir zurück. Ich schlucke und schlucke. Was hinaus wollte, bleibt drinnen. Aber nur gegen meinen Schluckwiderstand.

 

Herr Kolditz, 3. Ing. ist mein Wachingenieur. Er kommt aus Flensburg und hat schon mehrere Brasilienreisen auf der „Nordwind“ erlebt, ist erfahrener Lehrmeister und weiß, worauf es ankommt. Er empfiehlt, im Wellentunnel ganz nach achtern zu gehen. Gleich nachdem ich durch das offene Schott bin, kommt mir frische Luft entgegen. Das ist schon mal eine bescheidene Wohltat. Allerdings wird das Stampfen wesentlich stärker. Der Fahrstuhleffekt ist enorm. Das Sausen nach oben erzeugt eine Beschleunigung, die mich bleischwer macht. Im Umkehrpunkt scheint der Boden unter den Füßen zu versinken. Und dann falle ich in ein Loch, in dem ich unten hart lande. Die Seekühlwasserleitung der Schiffswellenlager ist ein gutes Geländer, das mir Halt erlaubt. Das hinauf- und hinuntersausen mit markanten Wendepunkten und seitlichem Rütteln ist für mich eine Sensation. Auf der Kirmes ist das so nicht zu haben. Die Auseinandersetzung mit dem Phänomen Seegang beschäftigt mich. Über mir wohnen Matrosen. Fallen sie aus der Koje? Der Brechreiz schwindet. Langsam gehe ich zurück, sehr langsam. Die Beschleunigung nimmt ab, das seitliche Rütteln bleibt. Ich bin wieder im Maschinenraum, schaue auf die widerliche Foolbrass. Von mir bekommst du nichts! Nie wieder werde ich seekrank! Aber von „Eine Seefahrt die ist lustig …“, bin ich weit entfernt. Gegen den Uhrzeigersinn beginne ich die Hauptmaschine zu umrunden. Die Posaunenrohre der Kolbenkühlung sausen lebhaft rauf und runter, als wäre die Welt in Ordnung. An der zweiten Linkskurve steigt das zwanzig Zentimeter dicke Zylinderkühlwasserrohr am Motor nach oben. In Augenhöhe befindet sich ein Thermometer. Es zeigt die richtige Temperatur. Es sollen immer 61 Grad sein. Ich lege die rechte Handfläche auf das blank geputzte Kupferrohr. Nach einer Sekunde muss ich loslassen. Obwohl ich durchgerüttelt bin, spüre ich Schmerz. Auch die anderen vier Sinne funktionieren. Soweit ist also alles in Ordnung. Aber im Bauch scheint ein sechster Sinn zu wohnen, der sich bei Seegang meldet. Man muss stets eine Hand am Geländer haben oder einen festen Gegenstand fassen, um nicht zu schlittern. Die geriffelten Flurplatten sind mit Diesel gewischt. Das ist gut für die Platten, aber nicht sehr praktisch, wenn es heftig schaukelt. Die Dieselbehandlung geschah nach Plan. Im Heimathafen soll alles glänzen. Diese raue See darf den Endspurt nach Hamburg nicht trüben.

Beschäftigung ist bei Seegang besonders wichtig. Kontrollen sind die wesentlichen Aufgaben des Wachpersonals. Ich kenne schon den Routinerundgang. Meistens umrunde ich den Hauptmotor. Das sind etwa 35 Meter. Im Halbstundenrhythmus geht es auf die beiden oberen Decks. Dort sind die Geländer zum Festhalten näher.

Nach der Wache bin ich bald in der Koje und liege auf dem Bauch, eine Hand unter der Ecke der Matratze, Ellenbogen und gewinkeltes Knie stützen sich am Schlingerbrett, das zwischen Matratze und Rahmen eingesteckt werden kann. Horst hat mir gesagt, dass ich es unter der Matratze finde. Von hier oben im Schlaf runterzuknallen, wäre nicht lustig. Der sechste Sinn befiehlt auch während des Schlafs: „Halte dich fest!“

Als ich um 23:40 Uhr zur Nachtwache geweckt werde, liegt meine „Nordwind“ ruhig wie auf der Weser. Na klar, wir sind inzwischen auf der Elbe und sollen etwa um zwei in Hamburg festmachen.

Morgens kommen Verwandte und Freunde der Besatzung an Bord. Welch ein Jubel! Viele kennen sich. Im geräumigen Treppenhaus knubbeln sich Mannschaft und Besucher. In der Offiziersmesse erlebe ich die Begrüßung wie ein Familientreffen. Aufmerksamkeiten aus Brasilien kommen zum Vorschein. Die meisten der Besatzung sind schon Jahre bei der Reederei. Ihre Frauen und Kinder gehören zur großen Mackprang-Familie.

Beim Schiffsausrüster darf ich mich einkleiden lassen. Der Weg dorthin führt über Wasser. Mit einer Barkasse und Auskünften einiger Passanten komme ich ans Ziel. Eine Kakiuniform, Mütze und Hemden füllen eine große Tüte. Wieder an Bord ziehe ich die neuen Sachen an. Jetzt gehöre ich eindeutig zur Mannschaft, bin nicht mehr der Neue in Zivil. Schulterstücke mit Zahnrad sind Symbol für technischen Dienst. Nautiker erkennt man am Stern.

 

Rostock

Am nächsten Tag verlassen wir Hamburg in Richtung Ostsee. In Rostock weht heftiger Wind. Deshalb dürfen die Kräne nicht arbeiten. Damit habe ich nichts zu tun. Aber ich erkenne, dass die längere Liegezeit Landgang ermöglichen könnte. Die Vorbereitungen dafür sind nicht so ganz einfach. Ich Deutscher bin Ausländer in Deutschland! Mit Unterstützung des 1. Offiziers bekomme ich Kontakt zu einem DDR-Beamten an Bord. Ich erhalte ein Dokument und Uhrzeit für den folgenden Tag.

Das Wetter ist gut. Der Wind hat sich gelegt. Ich verlasse das Schiff und gehe zum Tor, das auch Zollgrenze ist. Mein Dokument wird gründlich geprüft. „Sie können einsteigen.“ Kein Auto, kein Bus. „Wann kann ich einsteigen?“ „Die Türe ist offen, Sie können sofort einsteigen.“ Das merkwürdige Gebilde hatte ich für einen LKw gehalten, auf dem eine riesige Holzkiste liegt. Hinten ist tatsächlich eine Türe offen. Ich muss etwa einen knappen Meter ohne Stufen hinauf hüpfen. „In der Stadtmitte können Sie aussteigen. Nach zwei Stunden werden Sie genau dort abgeholt.“ Die Türe wird geschlossen. Es wird dunkel, nein beinahe. Was ist das? Die Türe hat innen keine Klinke. Sie ist von außen verriegelt. Eine kleine Fensterscheibe im oberen Bereich erlaubt das Hinausschauen. Das Auto ruckelt los. Meine Position kann ich nicht beibehalten. Nirgendwo gibt es eine Möglichkeit zum Festhalten. Die Fahrt wird flotter. Ich torkele herum, erkenne, dass ich mich setzen muss. Ich lehne mich gegenüber der Tür mit dem Rücken in Fahrtrichtung an die Wand. Das Holz riecht wie frisch gesägt. Hat man das Ding extra für mich zusammengenagelt? Meine Augen gewöhnen sich an das Dämmerlicht. Ich finde keine Festhaltemöglichkeit, auch kein Astloch! Dass ich gefangen bin, ist mir bewusst. Aber das ist bestimmt keine böse Absicht. Man schenkt mir ein Abenteuer, eine bleibende Erinnerung! Meine weite und geheimnisvolle Welt beginnt in Rostock. Die Kurven sind die i-Tüpfelchen, die sich zu dem ständigen Bollern des harten Bodens hinzugesellen. Das...